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Kulturfürsorger im Clinch

Nach dem Vorbild der Lebensmittel-Tafeln Kulturtickets an sozial benachteiligte Menschen vermitteln - das war die Idee der "Kulturloge Potsdam". Doch nun musste sich die Initiative umbenennen. In der Szene gibt es Streit um das richtige Konzept.

Von Moses Fendel | 16.06.2013
    "Partner und potenzielle Partner wurden mit Briefen von Frau Rektorschek über unsere Arbeit informiert, und dass wir eben keine echte Kulturloge seien, so hat sie es formuliert und quasi vor einer Zusammenarbeit mit uns gewarnt und das hat uns natürlich auch immer wieder in Erklärungsnot gebracht."

    Claudia Steinwegs ist enttäuscht. Mit drei Kommilitoninnen hat die Potsdamer Studentin im April die Kulturloge Potsdam ins Leben gerufen. Eine Initiative, die nach dem Vorbild der Lebensmittel-Tafeln Kulturtickets an sozial benachteiligte Menschen vermittelt. Langzeitarbeitslose etwa, denen der Zugang zum kulturellen Leben in ihrer Stadt oftmals verwehrt bleibt. Das Prinzip: Die teilnehmenden Kulturinstitutionen, etwa Theater oder Konzerthäuser, überlassen den Logen ihre nicht verkauften Tickets. Die ehrenamtlichen Mitarbeiter der Kulturlogen rufen daraufhin die Bedürftigen an und laden sie zu einer Veranstaltung ein. Wenn die Gäste zusagen, können sie die Eintrittskarten direkt an der Abendkasse abholen, ohne sich als bedürftig outen zu müssen. Das Konzept ist längst bundesweit verbreitet. Nur einen Monat nach ihrer Gründung hat sich die Potsdamer Kulturloge nun in "Kultür Potsdam" umbenannt. Gezwungenermaßen. Seit Monaten gibt es Streit in der Szene. Im Kern geht es um die Frage, wer sich Kulturloge nennen darf und wer nicht.

    "Die Idee gehört, denke ich, der ganzen Welt. Ich bin morgens damit aufgewacht und ich glaube, dass es einfach reif gewesen ist, dass diese Idee geboren wurde. Und ich finde es einfach nicht richtig, dass überhaupt jemand auf die Idee kommt, dass diese Idee jemandem gehören sollte."

    Christine Krauskopf ist so etwas wie die Erfinderin der Kulturloge. 2008 brachte die damalige Zeitungsredakteurin in Marburg das Projekt auf den Weg. Sie beauftragte Hilde Rektorschek, die jahrelange Erfahrung aus ihrer Arbeit bei der Tafel mitbrachte, ein Konzept zu schreiben. Anfang 2009 brachten die beiden Frauen in Marburg die bundesweit erste Kulturloge an den Start. In Berlin und in anderen Großstädten gründeten sich bald ähnliche Initiativen, die zunächst zusammenarbeiteten. Doch schon bald gab es Schwierigkeiten. Hilde Rektorschek, die das Konzept entwickelt hat, möchte, dass alle Logen nach einheitlichen Grundsätzen arbeiten. Einige Initiativen bezeichnet sie als Trittbrettfahrer, die ihr Konzept verwässern.

    "Wer den Namen Kulturloge benutzt, der muss behutsam, würdevoll und nachhaltig mit dem Projekt umgehen, das heißt, da gibt es bestimmte Sachen einzuhalten. Wir möchten nicht bei der Kulturloge, dass die Menschen dort ihre Bescheide vorzeigen und wir haben auch nicht das
    Recht, das so zu machen."

    Studentin Claudia Steinwegs aus Potsdam hält dagegen.

    "Jede Stadt ist anders. In Potsdam ist es so, dass wir eine recht kleine Stadt sind, also mit 160.000 Einwohnern, und dass viele der einkommensschwachen Personen nicht bei einem sozialen Partner angemeldet sind, sondern frei sind und sich direkt bei uns anmelden. Ein Viertel unserer Gäste meldet sich direkt bei uns an."

    Es geht nicht nur um das Verfahren bei der Anmeldung. Was passiert etwa, wenn Gäste wiederholt ihre reservierten Karten verfallen lassen? Bei einigen Logen gilt die Regel, dass sie zumindest vorübergehend aussetzen und sich nach einer Pause erneut anmelden müssen. Hilde Rektorschek ist dagegen, in irgendeiner Form Druck auf die Gäste auszuüben. Inzwischen haben sich zwei Lager gebildet. Ideengeberin Christine Krauskopf hat die Arbeitsgemeinschaft der Kulturlogen Deutschland gegründet, der vor allem die Logen in den Großstädten angehören. Konzeptentwicklerin Hilde Rektorschek konterte, indem sie ihrerseits den Bundesverband deutsche Kulturlogen gründete. Die Marke Kulturloge wollte sie sich 2011 beim Deutschen Patent- und Markenamt in München schützen lassen. Das Patentamt lehnte ab: Der Name sei nicht unterscheidungskräftig genug. Auf europäischer Ebene klappte es schließlich doch mit dem Markenschutz. Daraus ergibt sich eine juristische Grauzone, die wohl nur vor Gericht geklärt werden könnte. Vor einem Rechtsstreit scheuen die Beteiligten aber bislang zurück. Die Fronten sind verhärtet. Mehrere Gruppen beklagen die Einflussnahme Hilde Rektorscheks. Im Ruhrgebiet etwa habe Rektorschek Kulturpartner vor einer Zusammenarbeit mit der dortigen Kulturloge gewarnt. Rektorschek streitet das ab.

    "Nein, das ist umgedreht der Fall. Ich habe zum Beispiel aus einer Tafel gehört, dass da die Kulturloge rausgeflogen ist. Ich kriege eigentlich Beschwerden darüber, wie die Leute der Kulturloge arbeiten, die wollen nichts mehr mit der Kulturloge zu tun haben."

    Was 2008 in Marburg als gemeinsame Initiative begonnen hat, hat sich zu einem bizarren Streit entwickelt. Die Auseinandersetzung hat die Ehrenamtler viel Zeit und Energie gekostet, die sie lieber effektiv in die Arbeit vor Ort gesteckt hätten. Sie sehnen sich nach einem Ende der Zwistigkeiten. Doch ein Kompromiss ist nicht in Sicht. Hilde Rektorschek pocht darauf, dass die Kulturlogen sich strikt nach ihrem Konzept richten. Wer das nicht wolle, müsse sich eben umbenennen. Die Trennung in zwei Lager stört sie nicht. Im Gegenteil. Konkurrenz belebt das Geschäft, so ihre sinngemäße Aussage zum Thema. Auch ihre Kontrahentin Christine Krauskopf glaubt derzeit nicht an eine Lösung.

    "Bei dem ganzen Streit darf man nicht vergessen, worum es eigentlich geht: nämlich dass Menschen, die außerhalb der Gesellschaft stehen durch ihre finanzielle Lage, dass die wieder hineingeholt werden in die Gesellschaft. Dass Menschen wieder zusammen im Publikum sitzen, dass sie miteinander reden, egal ob sie nun Hartz IV bekommen oder irgendein Manager-Gehalt. Und ob dann Frau Rektorschek und Frau Krauskopf miteinander reden oder nicht reden, das spielt dabei überhaupt gar keine Rolle mehr."