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Kunstwerk: Landschaft

Unter dem Titel "Heaven and Earth" stellt die Tate Britain in London das Werk von Richard Long aus, einem der bekanntesten und herausragenden Land-Art-Künstler. Kreise, Linien, Hügel, Geraden und Spiralen aus Stein, Sand oder Schlamm sind sein Objekte. Es ist Kunst, die durch das Wandern in Landschaften und die Auseinandersetzung mit der Natur entsteht.

Von Hans Pietsch | 05.06.2009
    "Ich liebe es, aus nichts etwas zu machen", sagt Richard Long. Genau das tut er auch in seiner Kunst. Schon im ersten Raum, dessen zwei Arbeiten der Schau ihren Titel geben: "Himmel” und "Erde”, zwei Bilder aus Schlamm, die jeweils eine ganze Wand bedecken und auf das chinesische Buch I Ging zurückgehen.

    "Himmel” mit sechs durchgehenden Linien und "Erde” mit sechs durchbrochenen sind zwei der acht Trigramme des uralten Orakels, das die Welt erklärt. Aus mit Wasser verdünntem Schlamm der Flussmündung des Avon hat er sie, in schneller, aber konzentrierter Arbeit, mit den Händen auf die Wand gemalt. Ein elegantes Durcheinander von braunen Wirbeln und Schlieren, so vergänglich wie vieles in seiner Kunst: Am Ende der Schau werden sie zugeweißelt.

    In den letzten 40 Jahren hat Long unzählige Wanderungen durchgeführt, in der Nähe des alten Schulhauses, in dem er lebt und arbeitet, am Rand der Hügel von Dartmoor und überall in England, Schottland, Wales, Irland, aber auch an abgelegenen, exotischen Orten: auf dem Kilimandscharo und in den Anden, in Japan und in Alaska, in der Sahara und der Mongolei.

    Oft verankert er seine Wanderung thematisch: Er trägt etwa einen Stein von der Ostküste zur Westküste Englands und dann in umgekehrter Richtung. Er wandert von der Mündung der Loire landeinwärts, bis er die erste Wolke sieht. Er wandert in mehreren genau ausgemessenen konzentrischen Kreisen.

    Auf dem Weg hinterlässt er Spuren, wie ein Tier auf freier Wildbahn. Doch seine Interventionen sind ganz bescheiden. Er lässt nicht, wie die amerikanischen Vertreter der Land Art, Bagger auf die Salzwüste von Utah oder einen Krater in Arizona los. "Die Natur hat einen größeren Einfluss auf mich als ich auf sie”, sagt er.

    Er schichtet aus Steinen einen Kreis auf, aus Zweigen baut er ein Kreuz, mit den Hacken seiner Stiefel kerbt er eine Linie in den Boden. Niemand weiß, wo diese Werke zu finden sind, wer über sie stolpert, wird sie kaum als das erkennen, was sie sind. Oft werden sie wieder zu Natur oder Wasser überspült sie. Gerade Linien, manchmal in Form eines Kreuzes, Kreise und Ellipsen sind die bevorzugten Zeichen, die er setzt. Seine Füße sind seine Augen, mit denen er die Welt sieht und erfährt. Auf dem Stempel, den er auf Briefen unter seine Unterschrift setzt, ist ein Fußpaar mit zwei in die Sohlen eingelassenen Augen zu sehen.

    Und dann bringt er Beweise seiner Tätigkeit als Wanderer ins Museum: eine gerahmte Landkarte, auf die er den Verlauf seiner Wanderung gezeichnet hat, Pfeile deuten Windrichtungen an; ein Foto einer Arbeit im Freien oder einfach nur einer Landschaft; Worte als Untertitel oder an der Wand, die beschreiben, was er getan, gesehen, gedacht hat, ganz unpoetisch und pragmatisch; und am augenfälligsten die Skulpturen aus Stein oder Zweigen und die Wandbilder aus verdünntem Schlamm, mit Händen oder Füßen an der Wand oder auf dem Fußboden angebracht.

    Und so geht man von Raum zu Raum an Fotos vorbei, alle mit ähnlichem Format, schwarz-weiß, nur später gelegentlich in Farbe. Reine Natur: Bergpanoramen, Wasserläufe; dann Aufnahmen seiner kargen Arbeiten in der Landschaft. Dazwischen Wandtexte wie "Wald, weiße Schmetterlinge, einen Bach überqueren, Tierkot, schlüpfrige Felsbrocken, Torfmoor... "; die Wandbilder, beeindruckend mit ihrer Leichtigkeit und Symmetrie; und der riesige zentrale Raum, der einem fast den Atem nimmt: sechs Steinarbeiten aus den letzten 20 Jahren - eine Linie aus Schiefer, vier Kreise aus Flint, Schiefer und Basalt sowie eine Ellipse, ebenfalls aus Basalt. Farben von Weiß über Grau und Rostrot bis zu Schwarz, ein Hauch von Mystik schwebt im Raum. Verglichen damit wirken die Fotoräume davor trocken, fast eintönig.

    Und da ist noch ein anderes, fundamentaleres Problem, das in der Ausstellung deutlich spürbar wird. Longs Schlüsselwerk stammt von 1967, er war damals 22 Jahre alt. Für "A Line Made By Walking” lief er auf einer mit Gänseblümchen übersäten Wiese solange hin und zurück, bis das heruntergedrückte Gras eine Linie bildete. Das körnige Schwarz-Weiß-Foto, das das Resultat der Aktion festhält, ist ein Höhepunkt der Konzeptkunst, streng, konzentriert, dicht, und es stellte Bildhauerei und Land Art auf den Kopf.

    Eigentlich hätte er nach diesem Werk aufhören können, seine Kunst hat sich seither nicht wirklich weiterentwickelt. Was nicht heißen soll, dass man in der Ausstellung vor einigen Werken wie den riesigen Wandbildern, der einen oder anderen Textarbeit und vor allem im Skulpturenraum nicht doch ein leichtes Prickeln auf der Haut verspürt.