Mittwoch, 08. Mai 2024

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Kurzkrimi-Reihe: Episode 1
Sticks auf den Tisch!

In Computer und Kommunikation schleicht sich ab sofort das Verbrechen ein: Jeden Samstag im Advent ermittelt Kommissar Plock, ein Mann mit extrem kurzem Oberkörper. Die Beweise stecken immer in einem kleinen bunten Stick, dem USB-Stick. Episode 1: Lungenflügel.

Ein Kurzkrimi von Maximilian Schönherr | 29.11.2014
    Ein schwarzer USB-Stick in einer Nahaufnahme.
    Die Beweise sind in einem kleinen Stick versteckt. (picture alliance - Romain Fellens)
    Personen:
    • Erzählerin
    • Kommissar Plock
    • Herr Schmidt (schelmisch, ruhig)
    • Anette Klaus (scharfzüngig)
    • Der Chef (nur schluchzend)

    "USB-Sticks auf den Tisch", befahl Plock. Keiner verzog die Mine. Nur Schmidt, der blasse, von Woche zu Woche blassere Schmidt, schien die Hand Richtung Hosentasche zu führen. Ein Reflex aus seiner Zeit als Wachmann vielleicht.
    Zuhause hatte Plock, der Kommissar, eine Art Hochstuhl, um in Augenhöhe mit seiner Nichte speisen zu können. An einem normalen Konferenztisch wie diesem war für die Anwesenden nur sein Kopf zu sehen, aus dessen rundem Mund die unmissverständliche Ansage kam:
    "Einer von Euch hat sie, die Daten."
    Schweigen im Raum. Ein kleines Besprechungszimmer der Firma, aus der nicht nur Pläne über ein neues Schmelzverfahren verschwunden waren, sondern auch die Chefsekretärin. Seit Freitag. Jetzt war Montag. Der Chef saß in der linken Ecke, mit dem Kopf an einen Schrank gelehnt und schluchzte in sein Papiertaschentuch. Anette Klaus, die Chemikerin, dreht ihren Kopf weg von Plock, weg von allen anderen und sprach wie angewidert: "Was sind schon Daten!"
    "Stimmt, was sind schon Daten", wiederholte der blasse Schmidt und betrachtete Anettes glattes blondes Haar von hinten.
    "Starr mich nicht so an, du Spanner! Zieh lieber deinen Stick heraus", raunte sie ihm zu, ohne ihn anzusehen. Schmidt, der Blasse aus der Buchhaltung, fingerte jetzt nervöser an seiner rechten Hosentasche herum. Plock konnte sich davon wegen seines kurzen Oberkörpers mühelos ein Bild machen. Er musste den Kopf nur ein wenig zur Seite kippen, um alles, was sich über und eben auch unter dem Tisch abspielte, zu überblicken.
    "Tragen Sie den Stick eigentlich immer rechts, Schmidt?" fragte der Kommissar.
    "Ich habe meinen Stick gar nicht dabei, wenn Sie's genau wissen wollen."
    Plock wusste, dass er log, und er wusste, dass an diesem Raum etwas nicht stimmte, als wäre in diesem Raum eine Person mehr. Anette Klaus fauchte dem schluchzenden Chef in der Ecke bei dem Metallschrank zu: "Hören Sie doch endlich mal auf zu heulen!"
    Der Kommissar wusste die Eigendynamik solcher Veranstaltung zu schätzen - und mit seiner geballten Autorität zu unterbrechen:
    "Wir haben hier den Verdacht von Werksspionage; die Erfindung eines neuen Schmelzverfahrens ist aus der Firma verschwunden. Und wir haben den Verdacht einer Entführung, denn seit Freitag ist die Sekretärin verschwunden. Deshalb, meine Damen und Herren, ich sage es nicht noch einmal: Die Sticks auf den Tisch, und zwar dalli!"
    Und schon lagen sie da und glänzten im Licht der Mittagssonne, das durchs Fenster hereinfiel. Wie bunt sie waren! Der vom Chef der Firma mit bescheidenen 256 Megabyte sah wie ein Ohrring aus. Anette Klaus' schwarzer Stick trug einen roten Deckel mit zwei Hörnern. Einer fehlte.
    "Alle Sticks auf den Tisch, auch Ihrer, Schmidt!"
    "Hab keinen Stick."
    "Raus damit! Rechte Hosentasche."
    Der ertappte, immer blassere Schmidt beförderte den kleinen Datenspeicher wie unter Qualen aus seiner Hose auf den Tisch. Der Kommissar steckte ihn in seinen Notebook-Computer.
    "Von wegen Sie haben keinen Stick, Schmidt. Von wegen."
    Plock grinste. Auf Schmidts Stick waren offenbar heimlich aufgenommene Fotos von Anette Klaus' Po zu sehen. Einige hundert.
    "Sie sollten sich ein Handy mit besserer Kamera kaufen, Schmidt", riet ihm der Kommissar und warf ihm den Stick über den Tisch zurück.
    Auch der Chef hatte Bilder auf seinem Stick gespeichert, Bilder, die ihn, den glücklich Verheirateten mit vier fast erwachsenen Kindern, ohne Ehefrau und fast erwachsene Kinder zeigte, sondern in Shorts am Strand mit seiner Sekretärin.
    "Selbstauslöser?" fragte Plock.
    Der Chef der Firma nickte.
    "Die Datenspionage ist mir egal, Herr Kommissar. Ich will nur meine Margit wieder haben."
    "Wusste gar nicht, dass die Ziege Margit heißt", murmelte Anette Klaus.
    Der Inhalt ihres rot-schwarzen USB-Sticks mit den beiden Teufelshörnchen zeigte nur die Daten einer CT-Aufnahme. Plock warf den Beamer an. Nun sahen sie alle an der Wand des Besprechungsraums Anettes süße kleine Raucherlunge. Was aber nur der Kommissar sah, war ein Feld mit grell weißen Pünktchen, unten in den Spitzen des rechten Lungenflügels. Ein kurzer Klick darauf dechiffrierte diese im Bild versteckte Botschaft, und an der Wand stand nun das Flussdiagramm des neuen Schmelzverfahrens.
    "Warum, Frau Klaus, haben Sie die Daten Ihrer Werksspionage nicht einfach mitgenommen, sondern chiffriert in das CT ihrer Lunge eingebaut?"
    "Fragen Sie mich lieber, wo die Chefsekretärin geblieben ist, Margit, dieses Biest. Dort hinten im Schrank, an den der Chef dauernd seinen Tränenschädel legt."
    "Sie hat Sie beim Übertragen der Daten des Schmelzverfahrens auf den Stick gestört?" fragte Plock.
    "... und musste deshalb kurz ruhig gestellt werden", ergänzte Frau Klaus.
    "Kurz ruhig gestellt? Wie lange ist sie schon da drin?"
    "Na, seit Freitagnachmittag", antwortete Anette Klaus. Der Sekretärin befahl sie durch die Schranktür: "Komm raus, gestörtes Kind! Es ist vorbei."
    Dass es vorbei war, wollte eigentlich Plock sagen. Aber jetzt hatte sie es gesagt. Während der Chef den Metallschrank aufbrach, rief der Kommissar Verstärkung und einen Notarzt. Es war noch nicht ganz vorbei, auch nicht mit der Sekretärin, die bewusstlos aus dem Schrank in die Arme des Chefs kullerte und sich an ihn anschmiegte.