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Land in Sicht

Mauerfall und Wiedervereinigung haben der deutschen Gegenwartsliteratur thematisch ein neues und weites Feld erschlossen, das von den Literaten aus Ost und West inzwischen auch fleißig beackert wird. Erfreulicherweise finden sich unter den einschlägigen, literarischen Bewältigungsversuchen auch immer häufiger solche, die den Themenkomplex nicht mit bierernster Betroffenheitsgeste oder inquisitorischer Entlarvungswut angehen, sondern mit leichter Hand - ironisch, satirisch, unterhaltsam.

Klaus Modick |
    Dazu gesellt sich nun der Roman "Land in Sicht" des Autorenduos Norbert Klugmann und Peter Mathews, deren langjährige und erfolgreiche Koproduktion bislang vor allem Krimis hervorgebracht hat, jedoch auch den seinerzeit (1990) sträflich unterschätzten, satirischen Gesellschaftsroman "Die Scheidungsparty". Der neue Roman kombiniert beide Elemente, insofern er eine satirisch eingefärbte Geschichte aus der unmittelbaren Nachwendezeit erzählt, die geschickt mit einigen Suspense-Momenten angereichert wird. Auch literarisch ist hier zusammengewachsen, was in guter Unterhaltungsliteratur zusammengehört: Ein intelligent eingefädelter Plot und eine Prise Kolportage, vorgetragen in einer schnörkellosen, leicht ironisch angehauchten, unsentimentalen Sprache, die gelegentlich - und wohl durchaus nicht zufällig - an die Erwachsenenromane Erich Kästners erinnert.

    Im Mittelpunkt der Handlung steht die etwas naive, aber durchaus lebenspraktische Ballettänzerin Lili Martin. Den Fall der Mauer am 9. November 1989 erlebt sie mit - aber nicht als umwälzende Staatsaktion, sondern als Ereignis, das ihre privaten Nöte und Hoffnungen stört: Den Tod ihres Vaters und ihren ersten Auftritt als Solotänzerin an einem Westberliner Theater, der im Getöse der Weltgeschichte untergeht. Ihr Vater vermacht ihr zwei Dinge, nämlich eine Brosche und den Wunsch, auf der Insel Hiddensee, seiner Heimat, beigesetzt zu werden. Zwei Jahre später erscheint Lili, die Urne mit der Asche ihres Vaters im Gepäck, in der Inselpension "Weltfrieden", deren Leiterin ihre Tante sein soll. Doch die bleibt unsichtbar, wie überhaupt vieles in diesem geheimnisvollen Haus undurchsichtig, unsichtbar oder unter den Teppich gekehrt scheint.

    Bald stellt sich nicht nur heraus, daß die Brosche aus dem sagenumwobenen Inselschatz stammt, sondern daß die Pension "Weltfrieden" höchst merkwürdige Gäste beherbergt, darunter ein groteskes Trio abgehalfterter DDR-Politiker, in denen, wer will, leicht die Genossen Krenz, Schabowski und Mielke erkennen kann. Zu Lilis Glück hat das Beitrittsgebiet aber auch pralleres Leben zu bieten, zum Beispiel den Saisonkellner Alexander, einen charmanten Schürzenjäger, der ihr bei ihren Nachforschungen zur Seite steht und auch die Mauer im Kopf mittels seiner körperlichen Vorzüge einzureißen versteht.

    Wie und warum sich die Ereignisse schließlich dramatisch zuspitzen, um in einem ebenso wilden wie grotesken Showdown zu enden, sei an dieser Stelle nicht verraten. Das sollte man selber nachlesen, im nächsten Urlaub zum Beispiel - am besten am Strand von Hiddensee. Die heimliche Heldin dieses Romans ist nämlich die Insel selbst - ihre Landschaft, der Himmel darüber, das Meer und die Menschen: "Der Frieden, den Wasser und Land ausstrahlten, ergriff Lili mit einer Macht, der sie sich willig hingab. Sie hatte von gestern auf heute nicht nur die Orte gewechselt, sondern die Welten. Hier war nichts wie in der nervösen großen Stadt, jeder Anblick war frisch und unverbraucht - ein Licht, das trunken machte; Wasser und Wellen, die dem Blick bedächtig, aber unwiderstehlich ihren Rhythmus aufzwangen; und ganz hinten, was war das, ein Schiff oder Land? Es wäre interessant gewesen, das zu wissen, aber gleichzeitig war es nicht beunruhigend, im ungewissen zu bleiben." "Land in Sicht" ist vieles in einem: Ost-West-Satire und Romanze, Urlaubsgeschichte und Krimi - und eine große Liebeserklärung an Hiddensee.