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Leidenschaft mit Übersetzungshilfe

Länder und Regierungen haben Interessen, im besten Fall gemeinsame. Leidenschaft füreinander, das lehrt das Einmaleins der Realpolitik, kennen sie nicht. Auch wenn uns dies die Medien am Beispiel von 50 Jahren Elysée-Vertrag gerne suggerieren.

Von Martin Gerner |
    Merkwürdig gefühlsduselige Wortbildungen wie Merkozy oder Merkollande verfestigen dabei nur den Schein von Zweisamkeit. Real ist im Europa von heute - mehr noch als zu Zeiten Adenauer - de Gaulles oder Schmidt und Giscards - die Reduzierung komplexer EU-Zusammenhänge auf persönliche Umarmungen. Ein Schelm, wer Schlechtes dabei denkt.

    Mit der Leidenschaft ist das ohnehin so eine Sache: Als kollektives Versprechen gibt es sie nicht, Umfragen hin oder her. Funktionieren kann sie nach wie vor am Besten über die Sprache. Aber hier sieht es bekanntermaßen düster aus. Der Bilingualismus, den manche Gymnasien im Angebot führten, ist vielfach wieder beerdigt. Nur wenige lebende deutsche Autoren finden eine französische Übersetzung für ihr Buch. Für junge Franzosen kommt die Sprache Goethes weit abgeschlagen hinter Englisch. Mit Englisch allein aber kommen sich Deutsche und Franzosen auch nicht näher, sonst hätte man den gegenseitigen Sprachunterricht vermutlich schon längst abgeschafft.

    Bei Nähe besehen haben Marianne und Michel über Jahrzehnte immer wieder neugierig in den Garten des Anderen geschaut. Empathie in der Breite hat sich nur gelegentlich entwickelt. Manches riecht nach Stillstand. Die Meinungsmacher zum Thema sind seit einem Vierteljahrhundert bis auf wenige Ausnahmen die Selben. Neue Gesichter und Thesen täten gut.

    Überhaupt gibt es so etwas wie ein Neugier-Defizit. Außer Berlin interessieren junge Franzosen wenige deutsche Städte. Und Croissants zu backen diesseits des Rheins, die wirklich so wie in Frankreich schmecken, ist in 50 Jahren Elysée-Vertrag noch keinem deutschen Bäcker gelungen.

    Auch verpassen wir gerade einen Kulturkampf bei unseren Nachbarn. Frankreich protestiert gegen das Adoptivrecht schwuler Ehepartner, eines von Hollandes Wahlversprechen. Rechte und Linke, Christen, Atheisten und Araber finden ein seltener Eintracht: nur Mann und Frau sollen ein Kind zeugen und groß ziehen dürfen. Soviel religiös geprägtes Ethos lässt aufhorchen, angesichts des gewohnten Fortschrittsglaubens und laizistischer Tradition.

    Typisch deutsch erscheint im Vergleich dazu der Kampf der Geschlechter. Mitfahrzentralen für Frauen haben in Frankreich nie wirklich Konjunktur gehabt.
    Der Grad an Kampfeslust bis hin zu ideologischer Triebabfuhr, den man hierzulande in der Kommunikation zwischen ihm und ihr gelegentlich antrifft, gibt da eher zu denken.

    So bleibt vieles übersetzungsbedürftig. Selbst wenn man sich versteht - sprachlich-, hat man sich eben noch nicht unbedingt verstanden. Klar ist: die Feindbilder sind verblasst. Dafür gibt es jetzt neue gemeinsame äußere Feinde. Zum Beispiel in Mali, wo Frankreich gerade kriegerisch interveniert. Ob das die Moderatoren beim deutsch-französischen Kulturkanal ARTE mitbekommen haben? Zum 50. Jahrestag des Elysée-Vertrags hat einer von ihnen versprochen, deutsche und französische Studiogäste "mit Fragen zu bombardieren". Na dann.