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Leistungssportreform
Paradebeispiel für Interessenkonflikte

Trotz des weltweiten Doping-Problems wollen das zuständige Bundesinnenministerium und der Deutsche Olympische Sportbund eine Leistungssportreform nach dieser Prämisse: Medaillen, Erfolg, weltweite Konkurrenzfähigkeit. Die Sportjournalistin Bianka Schreiber-Rietig wirft in ihrem Kommentar einen Blick auf die politischen Mechanismen der Reform.

Von Bianka Schreiber-Rietig | 08.10.2016
    Die deutsche Olympiamannschaft wird am Frankfurter Römer von Bundespräsident Joachim Gauck empfangen.
    Die deutsche Olympiamannschaft wird am Frankfurter Römer von Bundespräsident Joachim Gauck empfangen. (imago sportfotodienst)
    Die Leichtigkeit des Seins ist dahin: Deutsche Sportfunktionäre, die sich in den letzten Jahrzehnten nicht besonders anstrengen oder gar rechtfertigen mussten, um für den Spitzensport beim Bundesinnenministerium Geld locker zu machen, stoßen zu ihrer Überraschung plötzlich auf Widerstand und Einmischung. Nicht erst seit es um die Spitzensportreform geht, drängt sich nun die Frage auf, wer eigentlich im deutschen Sport das Sagen hat.
    Der Reformentwurf wird als gemeinsames Papier von BMI und Deutschem Olympischen Sportbund verkauft, zeigt aber die deutliche Handschrift des Ministeriums. Das traut dem DOSB-Führungspersonal offensichtlich schon länger nichts mehr zu. Dass ein anderer sportpolitischer Wind weht, zeigte sich bereits beim Antidoping-Gesetz. Auch da übernahm die Politik das Kommando.
    Nähe entpuppt sich als nutzbringender Klüngel
    Politik und Sport, das war Jahrzehnte lang ein launiges Miteinander, bei dem nur selten schlechte Stimmung aufkam. Mit steigender Bedeutung des Sports wuchs die Anspruchshaltung der Sportfunktionäre gegenüber der Politik. Die Symbiose Politik und Sport funktioniert aber - die gegenseitige, so harmlos scheinende Nähe entpuppt sich als nutzbringender Klüngel der führenden Zirkel. An die Autonomie des Sports glaubt ohnehin niemand mehr, hängt der Sport doch am finanziellen Infusions-Tropf der Politik.
    Zwischen Bundesminister Thomas de Maizière und DOSB-Präsident Alfons Hörmann hat sich so etwas wie eine Männerfreundschaft entwickelt. Das Reformpapier kommt beiden zupass: der Minister rechtfertigt damit, dass Steuermittel nicht für Loser ausgegeben werden. Der Präsident kann endlich seine Träume vom Medaillen-Unternehmen DOSB realisieren. Und die Mitgliedsverbände, die vor der Tür standen, während der Präsident mit dem von ihm und dem Minister geführten Beratergremium vorkonzipierte, fragen sich nun, welche Interessen er eigentlich vertreten hat.
    Medaillen und Podiumsplätze als Maß aller Dinge
    Klarheit, Wahrheit und Glaubwürdigkeit sind Lieblingsworte beider Protagonisten. Doch wie steht es damit, wenn Medaillen und Podiumsplätze als Maß aller Dinge gefordert werden - und zwar ohne Doping? Was hat die Macher getrieben - völlig losgelöst von jahrzehntelangen Erfahrungen, jüngsten Enthüllungen und Skandalen - sich an Erfolgsmustern eines besonders im Sport inhumanen DDR-Regimes zu orientieren? Einer gesellschaftspolitischen Diskussion gingen Politiker und der "Scheinriese" DOSB aus gutem Grund aus dem Weg. Denn in letzter Zeit mussten sie erfahren, dass Bürger und Bürgerinnen sich nicht nur in Referenden gegen Olympiabewerbungen dem Spitzensport gegenüber kritisch zeigen.
    Jetzt will der Bundestags-Sportausschuss, der lange tatenlos dem Reformtreiben zuschaute, mit einer Anhörung am 19. Oktober die vermisste Debatte führen. Sie kommt viel zu spät, denn rund sechs Wochen später soll die DOSB-Mitgliederversammlung über die Reform abstimmen. Und was soll dabei noch herauskommen? Die Anhörung ist auch unter den Stichworten Glaubwürdigkeit und Unbefangenheit fragwürdig. Denn Ausschussmitglieder aus der Koalition sind gleichzeitig amtierende Sportfunktionärinnen und Funktionäre, was viele bei einer sachlichen Entscheidungsfindung als Problem sehen: Die Gremien-Vorsitzende Dagmar Freitag ist u.a. Vizepräsidentin beim Deutschen Leichtathletikverband, sitzt im Aufsichtsrat der Nationalen Antidoping-Agentur und diversen sportnahen Kuratorien.
    Ihre SPD-Parteifreundin Michaela Engelmeier gehört dem Präsidium des Deutschen Judo-Bundes als Vizepräsidentin an. CDU-Mann Eberhard Gienger, einst Leistungsport-Vize im Deutschen Sportbund, wirbelt in der Deutschen Sporthilfe und einer Reihe anderer Sport-Stiftungen. Sein Kollege Frank Steffel ist Präsident des Spitzen-Handballvereines Füchse Reinickendorf, und Ingo Wellenreuter gehört zum DFB-Vorstand. Soviel zur Unbefangenheit. Von der großen Empörung wird am Ende vermutlich wenig bleiben. Es werden wieder alle dafür gesorgt haben, dass sie nicht als Loser vom Platz gehen. Nur sind sportliche Werte ganz sicher auch diesmal auf der Strecke geblieben.