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Liberalisierung
Das geplante TiSA-Abkommen und die Folgen

TiSA lautet die Abkürzung für das internationale Handelsabkommen, das parallel zum viel bekannteren TTIP ausgearbeitet wird. TiSA steht für "Trade in Services Agreement". Heißt: Mehr Wettbewerb im Dienstleistungssektor. Kritiker befürchten jedoch, dass der Dienstleistungsgedanke künftig dem Profit weichen muss.

Von Stefan Maas | 03.07.2014
    Eine Frau legt eine Tüte mit Restmüll in eine Mülltonne.
    Im TiSA-Abkommen soll der Dienstleistungmarkt liberalisiert werden. (dpa / picture alliance / Bernd Weißbrod)
    Der Müllwagen fährt schon an, während die Müllmänner noch schnell die Tonnen zurückschieben. Die Autofahrer, die in der engen Straße hinter dem großen Wagen der Berliner Stadtreinigung warten mussten, fahren ungeduldig an. Eine Szene wie bestellt, denn mit genau dieser Art der Dienstleistung beschäftigt sich Tanja Buzek. Vielmehr mit deren Zukunft. Sie arbeitet im EU-Verbindungsbüro der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi und beobachtet mit einiger Sorge, worüber die EU für ihre 28 Mitgliedsstaaten seit einiger Zeit unter anderem mit den USA, Australien, Kanada, der Schweiz, der Türkei und noch einigen anderen Ländern in Asien und Lateinamerika verhandelt.
    TiSA lautet die Abkürzung für das internationale Handelsabkommen, das parallel zum viel bekannteren TTIP ausgearbeitet wird. TiSA steht für "Trade in Services Agreement". Dabei geht es darum, schreibt das Bundeswirtschaftsministerium, den Marktzugang im Dienstleistungsbereich zu verbessern. Heißt: mehr Wettbewerb. Das könnte aber auch Dienstleistungen betreffen, die bislang weitestgehend in öffentlicher Hand sind, fürchten Kritiker wie Verdi-Frau Buzek:
    "Da fällt alles darunter, was eigentlich grenzüberschreitend als Dienstleistung erbracht wird. Von Telemedizin, Finanzdienstleistungen, die ja gerade sehr kritisch beäugt worden sind, Gesundheitsbereich. Gerade die für uns besonders sensiblen Bereiche der öffentlichen Dienstleistungen, die letzten Endes für eine Liberalisierung geöffnet werden, wo nicht mehr das öffentliche Interesse im Vordergrund steht, sondern eigentlich Profitgewinne als Maßgabe für die Dienstleistung."
    Profit statt Dienstleistung
    Der Deutsche Städtetag fürchtet, dass das auch für soziale Dienste gelten könnte und fordert, diesen Bereich explizit auszuschließen. Der Verband kommunaler Unternehmen hat ähnliche Befürchtungen für die kommunale Wasserversorgung. Gerade mit deren Privatisierung hätten Kommunen – auch in Deutschland - in der Vergangenheit oft die Erfahrungen gemacht, sagt Tanja Buzek:
    "...dass dann die Dienstleistungen zu minderer Qualität höheren Preisen angeboten worden sind. Weshalb wir auch eine Erfahrung gesehen haben, dass Kommunen mehr auch zur Re-Kommunalisierung greifen. Sprich diese Dienstleistungen, weil sie weder in der Qualität noch in der Preisbildung den Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger entsprechen wieder zurück in die öffentliche Hand führen. Das Problem ist bei TiSA, dass das nicht möglich ist."
    Denn sind Bereiche erst einmal für den Markt geöffnet, gebe es mit TiSA kein Zurück mehr in die öffentliche Hand, warnt sie:
    "Selbst wenn Bürgerinnen und Bürger in einem politischen Entscheid durch Wahlen ihrer Regierung sagen, wir wollen das, wären die Regierungen daran gebunden, dieses Niveau der Liberalisierung zu halten. Festgezurrt im TISA-Vertrag."
    Außerdem gilt, "dass per se alle Dienstleistungen liberalisiert sind, die nicht vorher auf einer Liste aufgeführt werden."
    Gefahren der Liberalisierung
    Das war bei früheren Abkommen anders. Da galt: Nur was auf der Liste steht, fällt auch unter die neuen Regeln.
    Nur einige Straßen und wenige Minuten mit dem Fahrrad entfernt von Tanja Buzek findet an diesem Morgen auch Stefan Marotzke ein paar Minuten Zeit, um über mögliche Auswirkungen des TiSA-Abkommens auf seinen Bereich zu sprechen. Marotzke ist Abteilungsdirektor Kommunikation und Medien beim Deutschen Sparkassen und Giroverband. Auch das Geschäftsmodell der Sparkassen wird international von Manchen kritisch beäugt – auch von der EU-Kommission, die mehr Wettbewerb fordert:
    "Es trifft in vielen Teilen der Welt immer wieder auf Unverständnis, dass es eben Bereiche gibt, die man nicht kaufen kann."

    Wie die Sparkassen. Das Besondere an ihrem Geschäftsmodell:
    "Dass Sparkassen eben in ihrer Region tätig sind, für alle gesellschaftlichen Gruppen tätig sind in der Region. In der Region Anlagen von den Kunden annehmen und diese Einlagen nur in der Region in Form von Krediten wieder herausgeben. Das heißt, sie sind nicht an internationalen Finanzmärkten aktiv. Sie müssen nicht maximale Renditen erzielen. Sie sind für die Menschen in der jeweiligen Region da."

    Mit einem liberalisierten Finanzdienstleistungssektor verträgt sich dieses Modell nicht. Denn andere Banken – zum Beispiel internationale - dürfen keine Sparkasse übernehmen.
    "Wir haben ganz bewusst in Deutschland gesetzliche Regelungen im Kreditwesengesetz, die eben sicherstellen, dass wo Sparkasse draufsteht, auch Sparkasse drin sein muss."
    Und dass diese Besonderheiten auch bei den TiSA-Verhandlungen berücksichtigt würden, darauf vertraue er, auch aufgrund der parallelen Verhandlungen über das TTIP-Abkommen, sagt Marotzke.
    So argumentiert auch das Bundeswirtschaftsministerium. Und schreibt in einer Stellungnahme:
    "Es ist nicht Inhalt oder Ziel der TiSA-Verhandlungen, öffentliche Dienstleistungen zu privatisieren. Für den Bereich der Daseinsvorsorge werden von Deutschland keine Verpflichtungen zur Marktöffnung in TiSA übernommen."
    Für den Bereich der Daseinsvorsorge solle auch zukünftig gelten, dass privatisierte Dienstleistungsbereiche wieder in die öffentliche Hand zurückgeführt werden können sollen, versichert man. Das überzeugt nicht alle:
    "Diese Abkommen, die da zur Zeit verhandelt werden, sind ein Staatsstreich."
    Wenn Klaus Ernst von TTIP und TiSA spricht, dann ist der Linkenpolitiker in seinem Bundestagsbüro in kürzester Zeit von Null auf hoher Erregungsstufe.
    "Das bedeutet, dass die Regeln, die wir uns in den Sozialstaaten gegeben haben, in den letzten 100 Jahren, dass diese Regelungen alle dem Dogma einer möglichst liberalen Welt, in der jeder machen kann, was er will, im Bereich Produktion, Dienstleistung und Handel, zum Opfer fallen."
    Geheimsache TiSA
    Noch schlimmer findet er nur eines: Wie die "Really Good Friends of Service", die "sehr guten Freunde der Dienstleistung" wie sich die Gruppe der verhandelnden Staaten nennt, das Abkommen erarbeitet:
    "Uns liegt das Deckblatt der Teaser Vereinbarung vor. Da heißt es: USA confidential. USA Geheim. Dieses Papier darf fünf Jahre lang nicht einfach veröffentlicht werden. Und nur in gesicherten Räumen aufbewahrt werden. Selbst wenn es nicht abgeschlossen werden sollte, sind die Papiere geheim zu halten."
    Seltsam, findet auch Tanja Buzek von ver.di:
    "Wenn es tatsächlich die ganzen Zusagen gibt, dass die öffentlichen Dienste nicht davon betroffen sind, dass es keine Absenkung des Niveaus gibt und so weiter, wer fürchtet sich dann vor der Veröffentlichung."