Montag, 29. April 2024

Archiv


Licht und Schatten

Atmosphärenphysik. - Die Erdatmosphäre ist weit davon entfernt eine homogene Gasschicht zu sein. Über Europa und Nordamerika klart der Himmel immer weiter auf, so dass immer mehr Sonnenstrahlen durchdringen, über Asien dagegen verdunkelt der Smog der Industrialisierung die Luft.

Von Volker Mrasek | 16.08.2012
    Wie viel Solarstrahlung dringt bis zur Erde durch? Wie viel wird von Wolken oder von Schmutzpartikeln schon in der Atmosphäre abgefangen? Wie stark dimmen sie das einfallende Sonnenlicht? Das sind wichtige Fragen, wenn es darum geht, Erwärmungstrends an der Erdoberfläche richtig einzuschätzen. Atmosphärenforscher wie Martin Wild von der ETH Zürich haben dabei Datensätze aus den letzten 60 Jahren im Blick. Die aktuellsten Zahlen sind von 2011:

    "Und in diesen Datensätzen sieht man, daß weltweit die Entwicklung nicht mehr so homogen ist, wie wir das in den 90er-Jahren gesehen haben, wo wir eine starke Zunahme der Solarstrahlung an der Erdoberfläche beobachtet haben."

    Das hatte mit Maßnahmen zur Luftreinhaltung zu tun, vor allem mit der Entschwefelung von Kohle-Kraftwerken. Dadurch ging die Belastung mit schmutzigem Sulfat-Schwebstaub in vielen Regionen stark zurück. Dort wurde die Luft in der Folge sauberer und dadurch auch durchlässiger für Sonnenstrahlung. Es kam zum Global Brightening, wie Experten sagen, zu einer Aufhellung am Erdboden. Davor hatte es Jahrzehnte mit einem Global Dimming gegeben – mit einer Verdunkelung der Sonne durch die Schmutzpartikel. Das war zwar gut fürs Klima, weil es die Erwärmung am Erdboden bremste - aber schlecht für die Gesundheit der Bevölkerung, weil die dicke Luft Atemwegserkrankungen zur Folge hatte. Wild:

    "Wir hatten in den 1950er bis 1980er-Jahren eine Phase, wo wir eine starke Abnahme des Sonnenlichtes an der Erdoberfläche hatten. Vor allem wegen der Zunahme der Luftverschmutzung. Und in dieser Zeit ist auch die Temperatur nicht angestiegen, weil der Treibhauseffekt durch diese Abnahme der solaren Einstrahlung kompensiert wurde oder maskiert wurde."

    Es folgten zwei Jahrzehnte der Aufhellung, verbunden mit einem starken allgemeinen Temperaturanstieg am Boden. Inzwischen sieht der Zürcher Hochschullehrer die Welt in Phase 3:

    "Ab dem Jahr 2000 ist der globale Trend etwas unklarer. Wir haben Regionen mit zunehmender Einstrahlung, wir haben Regionen mit abnehmender Einstrahlung. In Europa haben wir weiterhin eine Zunahme der Einstrahlung."

    Das hat aber nichts mehr mit Maßnahmen zur Luftreinhaltung zu tun. Die sind inzwischen offenbar ausgereizt. Sauberer kann die Atmosphäre über Europa praktisch nicht mehr werden. Die anhaltende Aufhellung hat andere Gründe:

    "Wir haben eine Reduktion der Bewölkung in Europa, die weiterhin dazu beiträgt, daß die Solarstrahlung zunimmt. Etwas Ähnliches sehen wir auch in den USA. Auch da haben wir eine Zunahme der Einstrahlung. Das ist auch vor allem darauf zurückzuführen, daß die Bewölkung sich reduziert hat über die letzte Dekade."

    Warum das so ist, kann Martin Wild nicht mit Bestimmtheit sagen. Die heutigen Klima-Simulationsmodelle liefern leider keine schlüssige Antwort:

    "Es gibt Modelle, die eine Zunahme der Bewölkung vorhersagen. Aber es gibt auch Modelle, die eine Abnahme der Bewölkung vorhersagen. So einfach ist der Zusammenhang nicht. Jetzt auf diesen kurzen Zeitskalen ist es sehr schwierig zu erklären, wieso da die Entwicklung in der oder einer anderen Richtung stattfindet. Ein großer Teil darin ist auch natürliche kurzfristige Variabilität."

    Ganz anders als in Europa und Nordamerika ist die Situation in Asien. Dort beobachtet auch Gert König-Langlo einen gegenläufigen Trend. Der Meteorologe vom Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven betreut die Datenbank des wichtigsten internationalen Strahlungsmessnetzes:

    "Man kann leider heutzutage auch wieder feststellen: In den Ländern, wo diese Luftreinhaltepolitik nicht betrieben wird und wo immer mehr Kohlekraftwerke, zum Teil ungefilterte, entstehen wie zum Beispiel in Indien und China – dort sinkt die solare Einstrahlung wieder ab."

    Forscher vom Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz veröffentlichten kürzlich eine neue Studie. Danach könnte die Luftverschmutzung in Ost-Asien Mitte des Jahrhunderts sogar dreimal so hoch sein wie heute. Dort dürfte sich der Himmel also wieder stärker verdunkeln, so daß die Erwärmung am Boden abgemildert wird. Das mag nach einem Vorteil gegenüber Europa oder den USA klingen. Doch der Preis für den regionalen Abkühlungseffekt in Ost-Asien ist hoch: Denn mit den Luftschadstoffen werden auch Atemwegserkrankungen in der Bevölkerung wieder zunehmen.