Archiv


Lieber frei als links

Der Magdeburger Landtag will in ein paar Tagen per Gesetz alle verbliebenen Mini-Gemeinden in Sachsen-Anhalt zwangsweise eingliedern lassen. Viele Dorfmitglieder haben Angst um ihre Eigenständigkeit. Dieser Unmut bringt Zulauf bei den Freien Wählern.

Von Susanne Arlt |
    Der Magdeburger Landtag will in ein paar Tagen per Gesetz alle verbliebenen Mini-Gemeinden in Sachsen-Anhalt zwangsweise eingliedern lassen. Viele Dorfmitglieder haben Angst um ihre Eigenständigkeit.

    Es geht da nicht nach Verstand und Sachkunde, sondern eben nach Parteibuch und das kann es nicht sein. Das ist doch nicht normal. Das ist unser Geld.

    Die vierzehn Männer, die im Nebenzimmer des Ratskellers in Dessau-Roßlau an einem lang gestreckten Holztisch Platz genommen haben, reden sich in Rage. Zum Lachen ist ihnen nicht wirklich zumute. Viele von ihnen sind ehrenamtlich als Bürgermeister tätig. So wie Frank Stolzenberg in der kleinen Gemeinde Peißen. Doch bald ist der 57-Jährige seinen Job los. Denn: Der Magdeburger Landtag will in ein paar Tagen per Gesetz alle verbliebenen Mini-Gemeinden in Sachsen-Anhalt zwangsweise eingliedern lassen. Unsere Dörfer verlieren ihre Eigenständigkeit, wettert Stolzenberg.

    "Das kann´s nicht sein, das kann´s nicht sein."

    Doch nicht nur über die von CDU und SPD beschlossene Gemeindereform schütteln sie die Köpfe. Bei jeder Investitionsentscheidung redet das Land mit, regt sich Günther Weiße auf. Er war CDU-Mitglied, heute ist er Sprecher des Landesverbandes der Freien Wähler, für die er im Stadtrat von Naumburg sitzt und sich jetzt über die da oben ärgert.

    "Und in dieser Arbeit an der Basis, das sehen wir eigentlich tagtäglich, wir können uns abstrampeln, wir können Mehrheiten schaffen, wir können mit den Leuten auf der Straße reden, durch Landes- und Bundesgesetze kommen wir nicht mehr weiter. Mit Verlaub gesagt, es ist einfach unzumutbar, wenn man so gegängelt wird, das ist keine freie demokratische Arbeit."

    Alle am Tisch nicken zustimmend. Den großen Parteien fehlt der Bezug zu den einfachen Menschen, zischt ein älterer Herr und schaut grimmig durch seine Brille. Die wissen schlichtweg nichts von unseren Nöten, fügt Frank Stolzenberg hinzu. Er nennt die kommunale Abgabenordnung als Beispiel. Allein der Gedanke daran treibt dem Bürgermeister Schweißperlen ins Gesicht. Dieses Gesetz schreibt nämlich vor, welche Straßen gefördert werden und welche die Einwohner selbst bezahlen müssen. Der Bürgermeister kann sich den Unmut seiner Bürger schon ausmalen: Denn nicht alle Bewohner in Peißen werden sich an der Straßenfinanzierung beteiligen müssen. Das findet das Gemeindeoberhaupt schlichtweg unsolidarisch.

    "Das ist ein Landesgesetz, da sind einfach Regelungen drin, die das einfach so bestimmen und ich habe mich dagegen gewehrt, ich hatte keine Chance. Am Ende ist es so, dass es bei uns Straßen gibt wo die Leute sage ich mal 200 Euro bezahlen und es gibt welche, die bezahlen 4000. Und da können sie sich vorstellen was da auf einem Dorf los ist und das muss einfach weg"

    Wieder einhelliges Nicken. Mario Rudolf, ein Finanzbeamter, war einst Bürgermeister der Gemeinde Bornum. Seine vier Dörfer wurden jüngst nach Zerbst eingemeindet. Seitdem ist Mario Rudolf seine ehrenamtliche Tätigkeit los. Für meine Dörfer kann ich nichts mehr ausrichten, sagt er und hebt hilflos die Arme. Damit soll jetzt Schluss sein.

    "Wenn wir 12,5 Prozent schaffen, sitzen wir im Landtag und dann werden wir das Zünglein an der Waage sein, ist auch klar. Eins unterscheidet uns aber doch von den ganzen großen Parteien. Wir wollen hier in Sachsen-Anhalt eine Erneuerung der Demokratie."

    Am Programm der neuen Partei wird – zwei Tage vor der Gründungsversammlung - noch gefeilt. Wichtigster Punkt: Die Freien Wähler fordern mehr direkte Demokratie. Sie hoffen, damit gerade die Nichtwähler anzusprechen. In Sachsen-Anhalt sind das immerhin 40 Prozent. Gefragt nach weiteren Themen sprudeln die Männer nur so: Direktwahl des Ministerpräsidenten, Abschaffung der Fünf-Prozent-Hürde bei den Landtagswahlen, niedrige Quoten für Volksbegehren, längeres gemeinsames Lernen an den Schulen. Wir haben Schnittpunkte mit allen demokratischen Parteien, sagt Frank Stolzenberg ausweichend auf die Frage nach möglichen Koalitionspartnern.

    "Wenn wir uns ein Ziel gesetzt haben, dann setzen wir das durch mit denen, mit denen es geht. Wir werden jetzt also nicht eine Koalition eingehen, und vielleicht dabeibleiben in dieser Koalition nur um diese Macht zu halten. Das muss ich jetzt einfach mal so sagen, wir sind vom Naturell anders. Wir sind keine Karriereleute, die da irgendwo hinwollen, sondern wir wollen einfach unsere Ziele durchsetzen"

    Auf kommunaler Ebene finden die freien Wählergruppen immer mehr Anhänger. Dass sie im März aber den Sprung in den Landtag schaffen, sehen Politologen eher skeptisch. In Sachsen-Anhalt seien die bürgerlichen Gruppierungen lange nicht so stark verankert wie in Bayern. Außerdem fehle es an einer Identifikationsfigur. Mario Rudolf macht eine wegwerfende Handbewegung. Die Identifikationsfiguren, sagt er, das sind doch wir.

    Ein paar Tage später. Garitz liegt mitten im Naturpark Fläming. Das Dorf ist eingebettet in eine sanfte Hügellandschaft, umgeben von Wälder, Wiesen und Ackerflächen. Mario Rudolf ist hier geboren und kann sich für seine Familie keinen besseren Ort zum Leben vorstellen. Heute hat er sich freigenommen.

    Es gibt noch viel zu tun bis zur Parteigründung. Rudolf hat es eilig. Er ist unterwegs, Mitglieder zu gewinnen. Er läuft die Dorfstraße entlang zum kleinen Bungalow von Astrid Scholz. Die Krankenschwester hat schon Interesse an der neuen Bürgerpartei signalisiert.

    "Also wir gründen ja am Samstag die Landesvereinigung der Freien Wähler und wir würden uns auch freuen, wenn so viele Menschen wie möglich daran teilnehmen. Wenn auch du … ja würde ich kommen, natürlich."

    Astrid Scholz nickt. Keine Frage, natürlich sei sie dabei.

    "Mich interessieren die Ziele die sie haben. Und ich hoffe, dass sie wirklich was bewegen für unsere na ja kleinen Dörfer und Gemeinden. Die Sparmaßnahmen werden uns alle härter treffen als das was wir vorher eben hatten und ich denke in den großen Städten wird immer was passieren, aber die Dörfer werden untergehen."

    Mario Rudolf hat ein gutes Gefühl. Diese Stimme ist seiner Partei schon so gut wie sicher. Wer weiß, vielleicht werden die Freien Wähler bei der Landtagswahl im kommenden März das Zünglein an der Waage sein. Noch hat sie keiner so richtig auf der Rechnung, doch ein Überraschungscoup ist ihnen durchaus zuzutrauen.