Aber keine Bange, der Selbstvergewisserungsaufsatz basiert auf bravem Sammelfleiß, man kann ihn überspringen und sich gleich den Fremdbildern widmen. Sie stammen – hah! – zu zwei Dritteln von deutschen Akademikern. Natürlich Kenner des jeweils beschriebenen Landes, was vornehmlich heißt "Kenner der Literatur des Landes", und die Damen und Herren Philologen und Literaturwissenschaftler betreiben einen überkommenen Götzendienst am Kunstbegriff vergangener Tage. "Literatur, begriffen als Experimentierfeld sozialer Phantasie", lobt Hubert Orlowski, "bietet einige Chancen, kontingente Erkenntnisse so mancher hektischen Feldforschung in Sachen Deutschlandbild(er) der Falsifizierung zu unterziehen, und verhilft somit, Referenzen der langen Dauer aufzubauen." Danke, danke, danke! tönt der internationale Chor von öffentlicher Missachtung gedemütigter Schriftsteller und Kulturgötter, während die Sozialwissenschaftler davor zittern, ihre empirisch ermittelten Ergebnisse nun von Belletristen falsifiziert zu bekommen! Warum dann aber der unvermittelte Rückzug auf der Linie? "Abzuwägen allerdings," so Orlowski weiter, "ist selbstverständlich immer wieder der kontextualisierte Stellenwert der Aussage, der Grad referenzieller Gewichtigkeit."
Will heißen: Was in englischen, spanischen, polnischen, italienischen Büchern über Deutschland Gutes oder Schlechtes steht, spiegelt zunächst einmal die Privatmeinung eines Literaten wider, und nur sehr schwer lässt sich daraus eine allgemeingültige Aussage ableiten. Weitaus schwerer jedenfalls als in der immerhin um Eichung ihrer Instrumente bemühten Sozialwissenschaft. Summa summarum beruhen die "Deutschlandbilder" auf Äußerungen fremder Literaten, gefiltert, interpretiert und zusammengefasst von deutschen Akademikern. Ganz schön oft gebrochen, dieser Lichtstrahl der Erkenntnis, und so verwundert es kaum, dass die Versprechungen auf dem Titelblatt ebenfalls uneingelöst bleiben. Von den angekündigten Kronzeugen der Fremdwahrnehmung – Presse, Film, Funk und Fernsehen – ist bis auf wenige Zeilen im Buch keine Rede. Vom Rundfunk nie, von Fernsehen und Presse nur spärlich, ein bisschen mehr vom Film. Wie gern hätte man den zweimal aphoristisch erwähnten Derrick-Effekt – dass diese hölzerne Krimiserie zu dem Exportschlager deutscher Kultur wurde – einmal tiefgründig analysiert bekommen, aber das erlaubt die philologische Arroganz gegenüber niederen Medienprodukten offensichtlich nicht.
Und wie nehmen sich die zutage geförderten Deutschlandbilder aus? Mit wenigen Abweichungen – etwa Moshe Zuckermanns kluger Analyse der israelischen "Deutschland"-Kodierung – genauso überraschungslos, wie es die Konstruktion des Buches nahe legt. Das deutsche Grundparadox "Offizier und Philosoph" oder "Dichter und Denker" vs. "Richter und Henker" hat sich auch sechzig Jahre nach Kriegsende allenfalls in Nuancen verändert. Historische Stereotypen sind träge, man braucht sie wahrscheinlich nur alle paar Jahrhunderte zu überprüfen. Dem Autor dieser Rezension, treudeutsch bis in die Knochen, wird übrigens am Beispiel einer Literaturkritik vorgeworfen, er könne als typisches Beispiel deutscher Rechthaberei gelten. Chapeau! Mit teutonischem Furor hat er seinen Charakterschaden ums Mal bestätigt ... oder sollte das vorliegende Buch vielleicht doch eine Steißgeburt sein? Lesen Sie selbst.
Klaus Stierstorfer
Deutschlandbilder
Rowohlt, 413 Seiten, 14,90 Euro