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Liebestod zwischen Kitsch und Konzept

Romeo und Julia, Shakespeares nach wie vor mitreißendes Liebesdrama, reizt das Regietheater, zeitgenössische Bezüge herzustellen oder das Stück gänzlich in die Jetztzeit zu verlegen. Andreas Kriegenburg am Hamburger Thalia Theater und Sebastian Hartmann an der Wiener Burg verzichteten auf solche Aktualisierungen, sind aber doch letztlich in die Konzept-Falle getappt.

Von Hartmut Krug |
    Shakespeares tragische Liebesgeschichte zwischen Romeo und Julia gehört zum abendländischen Bildungs- und Bewusstseinskanon. Der alt- und allgemein bekannte Mythos bebildert eine Sehnsucht und ist bekannt von der Schule, aus dem Theater oder zuletzt aus dem Kino mit Leonardo DiCaprio.

    Hatte der Autor Feridun Zaimoglu in der letzten Spielzeit noch geglaubt, die Geschichte im Konflikt zweier Kulturen im heutigen Berlin verankern zu müssen, was zu einer effekthascherischen, läppischen Veräußerlichung führte, so verzichten sowohl Andreas Kriegenburg in Hamburg wie Sebastian Hartmann in Wien bewusst auf jede Aktualisierung.

    Am Burgtheater untersucht Hartmann mit großem Aufwand die Sehnsuchtsbilder, Wunschvorstellungen, Ideen und Ideale, die wir uns mit Romeo und Julia von der Liebe machen. Dafür lässt er das Geschehen in Shakespeares Zeit, das heißt in der Frührenaissance des 13.Jahrhunderts, in das Shakespeare selbst sein Stück vordatiert hat. Es wird in historischen Kostümen gespielt, und jedes szenische Bild ist ein kritisch suchendes Zitat.

    Es beginnt wie in einer Szenerie von Caspar David Friedrich: links eine Klosterruine, rechts Männer an einem flackernden Lagerfeuer, vor blauem Hintergrund vom Licht aus den Wolken umstrahlt. Hartmann baut und befragt eine Unmenge von wunderbaren Kitschbildern. Wie hier der Palast mit Julias Balkon wie ein großes Tor aus dem Boden steigt, wie sich die Kämpfe zwischen den seit alters her verfeindeten Familien auf drehender Bühne in zeichenhafter Landschaft abspielen, das besitzt ästhetische und theatralische Kraft.

    Während Sebastian Hartmann uns mit geschichtlichen und ästhetisierenden Bewusstseinsbildern konfrontiert, spricht Andreas Kriegenburg den Zuschauer in Hamburg direkt an. Dafür hat er im Foyer der alternativen kleinen Spielstätte des Thalia Theaters in der Gaußstraße einen Steg über die Köpfe der Zuschauer gebaut. Dezent historisch gekleidete Figuren mit weißen Perücken, die wie Untote wirken, sprechen das Publikum direkt an, ziehen sich Wolfsmasken über und streiten über den Köpfen des Publikums, aber auch unten zwischen ihm. Das ergibt ein ausgestelltes Spiel, mit Filmprojektion, Mikro und Handy, mit viel englischem Pop und flott frotzelnden Sprüchen unserer Zeit. Wenn Julia sehnsuchtsvoll "Somewhere over the rainbow" singend auf Romeo trifft, der nicht so schön singen kann, kontert der mit "ich kann aber einen tollen Kaffee kochen." So beginnt Liebe.

    Kriegenburg zeigt die Geschichte als Theaterspiel, als echtes und wahres Theater. Daniel Hoevels und Olivia Gräser sind ein strahlendes Liebespaar von herzanrührender Unbedingtheit wie aus dem Bilderbuch. Wenn es im weißen Bühnenraum weitergeht, dient ein von der Decke hängendes großes Brett als bekletterbares, zentrales Spiel- und Bespiel-Utensil. Den Fußboden bedecken leere goldene Patronenhülsen, denn hier wird unentwegt mit Pistolen geballert.

    Die Inszenierung stellt vor allem szenische Effekte aus: es gibt Fahnenschwenkkämpfe, die "es war die Nachtigall und nicht die Lerche"-Szene wird ein halbes Dutzend Mal variiert, und Paula Dombrowski und Ole Lagerpusch spielen als alkoholisierte Mercutio und Benvolio ihre Clownsnummern so herrlich wie schrecklich unendlich aus. So zieht sich die Aufführung mächtig in die Länge und verliert im zweiten Teil ihre ästhetische wie dramaturgische Kraft.

    Das muss man von Sebastian Hartmanns Wiener Inszenierung leider noch viel stärker sagen. Hier wird das Gefühlsleben der Titelhelden nicht erspielt, sondern bildlich ausgestellt und zugleich gebrochen, umspielt, kommentiert und kontrastiert. Dazu hat der Regisseur leider die Rolle eines weiblichen Geistes erfunden, sozusagen ein Transmitter, der zwischen den Figuren steht, auch einmal deren Rolle doppelnd übernimmt, der Handlung erzählt und bewertet.

    Indem Hartmann aber nicht nur Kitschbilder ausstellt, sondern alles immer zugleich zu ironisieren sucht, verrennt er sich in seinem hochgreifenden Konzept. Zu dem ein selbst Drogen ausprobierender Pater Lorenzo gehört, während die Pest, bei Shakespeare nur ganz kurz erwähnt, hier allgegenwärtige Drohung in einer Weltuntergangs- und Endzeitstimmung ist.

    Wenn schließlich blutige Rümpfe vom Himmel prasseln und das tote Liebespaar von blutig-nackten Untoten zwischen die aufgetürmten Körperteile gezogen wird, versucht der Geist der (schlimmen) Geschichte, mit riesigen Flügeln gen Himmel zu flüchten. Schließlich verschwinden Romeo und Julia zwischen den heutigen Passanten einer Filmprojektion, und der Engel schwebt schluchzend davon.

    Auch bei Andreas Kriegenburg gibt es keine Versöhnung über dem toten Liebespaar wie bei Shakespeare. Doch während der allzu gewalttätig und ehrgeizig die alte Geschichte befrachtende Sebastian Hartmann zwischen Bilderwut und Gedankenwucht im schlimmen Regietheater-Gehampel landete, bei dem die Schauspieler vergessen schienen und sich im Chargieren zu retten suchten, überzeugt Andreas Kriegenburgs wenn auch allzu lange Inszenierung in ihrem ästhetischen und spielerischen Zugriff. Viel Jubel in Hamburg, ein Buhgewitter für den Regisseur in Wien.