Mittwoch, 08. Mai 2024

Archiv


Liederzyklus in namhafter Tradition

• Musikbeispiel: Zemlinsky - "Liebe & Leben"

Von Frank Kämpfer | 01.08.2004
    Einunddasselbe in zwei Varianten: Fauna und Flora erscheinen dem Liebenden anders als jenem, der Partnerschaft meidet und sich ungeliebt fühlt. Textautor Carl Pfleger versteht die Natur als Spiegel der Seele - die Musik des zweistrophigen Lied’s hingegen artikuliert die polaren Gefühle direkt: erst überbordend, dann stockend und introvertiert.

    Als Alexander von Zemlinsky zur Jahreswende 1889/90, mit achtzehn Jahren, seinen ersten Liederzyklus notiert, reiht er sich in namhafte Tradition. Ähnlich wie Loewe, Schumann und Brahms bedient er sich romantischer Sujets und Autoren. Gesangs- und Klavierpart verlangen nach Virtuosen, Musik und Text bedingen einander höchst artifiziell.

    Die hier erstmals auf CD vorgestellte Miniatur "Liebe und Leben" findet sich in einem Mitte der 90er Jahre erschienenen Nachlass-Band, den der Zemlinsky-Forscher und Dirigent Anthony Beuamont zusammengestellt hat. Unter den knapp 40 Songs gibt es zwei Brettl-Lieder, die Zemlinsky angeregt von einem Wien-Gastspiel des Berliner Kabaretts "Überbrettl" 1901 komponiert. Bemerkenswert, wie souverän sich der inzwischen gereifte Komponist hier ästhetisch auf einen Grenzgang begibt: das chromatisch verfeinerte Idiom des Kunstlieds und der schwungvolle Brettl-Ton sind kaum zu trennen und bilden eine aparte Liaison.

    • Musikbeispiel: Zemlinsky - "In der Sonnengasse zu Sankt Goar"

    "In der Sonnengasse zu Sankt Goar" - ein Brettl-Lied von Arno Holz, komponiert von Alexander von Zemlinsky. Mezzosopranistin Hermine Haselböck und Pianist Florian Henschel bewältigen den ästhetischen Grenzgang zwischen unterhaltend und ernst souverän und mit Spaß. Der vielgefragte junge Liedbegleiter immerhin saß am Klavier bei Fischer-Dieskau’s Melodramen-Konzerten; die Gesangsschülerin von Rita Streich verfügt über einige Opern-Erfahrung, ihr Liedrepertoire ist auf die Zeit um 1900 hin konzentriert.

    Beider vor Jahresfrist in Sion produzierte CD, die beim Schweizer Label Pan Classics erschien, enthält ausschließlich Musik Zemlinskys. Neben insgesamt 14 Songs aus dem Nachlass bietet die Platte gleichfalls kaum bekannte Walzer-Gesänge op. 6 nach toskanischen Liedern (eine versuchte Symbiose von Kunstlied und Folklore) und die berühmten Gesänge op. 13 nach Texten von Maurice Maeterlinck. Als Letztere kurz vor dem Ersten Weltkrieg entstehen, befindet sich der Komponist inzwischen auf dem beruflichen Gipfel. Als Leiter der Oper im Deutschen Landestheater in Prag komponiert er wenig - doch die entstehenden Werke begründeten seinen Ruf als Bindeglied zwischen romantischer Tradition, Atonalität und Dodekaphonie.

    Zemlinskys Maeterlinck-Vertonungen von 1913 kreisen um Vergänglichkeit, um Sterben und Tod der Geschlechter. Die Modernität der Sprache erhält musikalisch manche Entsprechung, Wohl bleibt Zemlinsky auch hier im Grenzbereich der Tonalität, doch wirkt deren Gefüge hörbar gestört, ja in Frage gestellt, wie das symbolistische Schluss-Stück "Sie kam zum Schloss gegangen" belegt.

    • Musikbeispiel: Zemlinsky - "Als ihr Geliebter schied"
    Titel: "Songs by Zemlinsky"
    Solisten: Hermine Haselböck, Mezzosopran
    Florian Henschel, Klavier
    Label: Pan Classics
    Labelcode: LC 1554
    Bestellnr.: 10162