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"Beim Blick auf den Buddhismus haben wir eine rosarote Brille auf"

Der Religionswissenschaftler Perry Schmidt-Leukel kritisiert das einseitige Buddhismus-Bild in Deutschland. Es sei ein Missverständnis, diese Religion auf einen toleranten und friedfertigen Lebensstil zu reduzieren, sagte Schmidt-Leukel im DLF.

Perry Schmidt-Leukel im Gespräch mit Gerald Beyrodt | 15.05.2017
    Der Professor für Interkulturelle Theologie, Perry Schmidt-Leuke, in der Universität in Münster. (Foto: Westfälische Wilhelms-Universität/dpa)
    Der Religionswissenschaftler Perry Schmidt-Leukel. (dpa / Westfälische Wilhelms-Universität)
    Gerald Beyrodt: Herr Schmidt-Leukel, sind wir in Deutschland geneigt, den Buddhismus durch eine rosa Brille zu sehen?
    Perry Schmidt-Leukel: Das charakterisiert die Situation über weite Strecken vollkommen richtig. Es hat sich in den letzten Jahrzehnten, in der populären Wahrnehmung des Buddhismus, ein Bild entwickelt, das mit der Realität des asiatischen Buddhismus und auch des klassischen Buddhismus eigentlich wenig bis gar nichts zu tun hat.
    Beyrodt: Wo sind denn die Hauptverzeichnungen?
    Schmidt-Leukel: Vielleicht etwas überspitzt gesagt, gibt es in Deutschland die verbreitete Vorstellung, der Buddhismus sei eine Religion ohne irgendwelche Dogmen oder Glaubensinhalte. Überhaupt, eine Religion, in der es gar nicht um Glauben gehe. Eine Religion ohne Gebote, in der jeder tun und lassen kann, mehr oder weniger, was er will. Eine Religion, die allem gegenüber tolerant sei. Eine Religion, die immer friedfertig sei. Eine Religion, die eigentlich gar keine Religion ist, sondern eher eine Art Lebensstil ausmacht, der besonders passend ist für die gegenwärtigen Lebensumstände in den westlichen modernen Gesellschaften.
    "Im Buddhismus-Bild spiegelt sich Unzufriedenheit mit kirchlichem Christentum"
    Beyrodt: So, wie Sie das jetzt zusammenfassen, hört sich das ein bisschen so an, als ob die Leute im Buddhismus all das sehen, was sie im Christentum, in ihrem Alltag in Deutschland vermissen. Kann man das so sagen?
    Schmidt-Leukel: Ja, ich denke, das kann man wirklich so sagen. Ein großer Teil dieses eben skizzierten Buddhismusbildes spiegelt eher eine Unzufriedenheit mit den kirchlichen Formen des Christentums wider, wie es hier in unseren Breiten erlebt worden ist. Und daraus entwickelt sich dann die Vorstellung, was für eine Religion man gerne hätte - und das hat man irgendwie dann auf den Buddhismus projiziert.
    Beyrodt: Im Englischen sagt man: Das Gras ist grüner auf der anderen Seite des Hügels.
    Schmidt-Leukel: Ja, die Vorstellung also, das Gras der Nachbarn ist immer grüner als das eigene. Nur in dem Fall liegt hier eben einfach zugrunde, dass man kaum eine gute Kenntnis des Buddhismus hat. Das mag sich in letzter Zeit etwas ändern, dadurch, dass es ja jetzt auch eine verstärkte Präsenz von Buddhisten – nicht nur in Deutschland, sondern in einer ganzen Reihe von westlichen Ländern – gibt und dass auch die Informationen über den Buddhismus etwas zuverlässiger werden. Aber dieses klischeehafte Bild des Buddhismus ist nach wie vor anzutreffen.
    Beyrodt: Am Katholizismus kritisieren viele den Zölibat. Den gibt es im Buddhismus durchaus auch. Wie kommt es, dass uns das eigentlich gar nicht so übel aufstößt?
    Schmidt-Leukel: Das ist eine gute Frage. Das religiöse, institutionelle Rückgrat des Buddhismus ist der Mönchsorden und, teilweise, der Nonnenorden. Obwohl der Nonnenorden seine eigenen Probleme hat, weil er in einer Reihe von buddhistischen Ländern de facto ausgestorben ist. Aber eben, sowohl für den Mönchs- wie auch Nonnenorden: Insgesamt gesprochen, haben wir in den meisten Formen des Buddhismus nach wie vor ein Mönchtum mit Zölibat. Und mit ausgesprochen strengen Regeln.
    "Immer gibt es Menschen, die auf dem Weg schon weiter sind"
    Beyrodt: Der Buddhismus in Deutschland wäre ohne die 68er und all das, was nach ihnen kam, wahrscheinlich ja nie so populär geworden, wie er es dann geworden ist – und trotzdem ist, in vielen Formen des Buddhismus, die Beziehung zwischen Schüler und Meister sehr wichtig. Also ein klares Autoritätsverhältnis, ein Hierarchiegefälle – und wir haben gerade im Beitrag gehört, welche Blüten das treiben kann. Aber, wenn man das Hierarchiegefälle und das Autoritätsverhältnis für sich nimmt: Wie kommt es, dass die 68er und die, die nach ihnen kamen das alles so klaglos hingenommen haben?
    Schmidt-Leukel: Ich glaube nicht, dass alle das klaglos hingenommen haben, aber es trifft sicherlich auf einige zu. Dahinter steckt dann vielleicht auch ein Wunsch nach mehr Orientierung, die einem vielleicht etwas verloren gegangen ist. Auch hier, muss man sagen, sind die Tendenzen im Buddhismus zwiespältig. Einerseits gibt es durchaus so eine Betonung der Autonomie der menschlichen Erkenntnis im Buddhismus. Es gibt eine häufig zitierte Aussage in den frühen Texten des Buddhismus: Man möge sich eben vor allem nach der eigenen Erkenntnis und der eigenen Erfahrung richten - und das Wort der Weisen und die Autorität "heiliger Texte", sozusagen, nur als eine zusätzliche vergleichende Messlatte hinzuziehen. Auf der anderen Seite genoss natürlich das Wort des Buddhas selber allerhöchste Autorität! Und dahinter steckt die Überzeugung, dass es im Buddhismus, wie in vielen anderen indischen Religionen, primär um eine innere spirituelle Entwicklung geht. Das heißt also, die Religion hat einen Prozess-, einen Wegcharakter. Und man hat immer das Gefühl, es gibt Menschen, die auf diesem Weg einem schon deutlich weiter voraus sind. Und von diesen Menschen muss man lernen, von ihnen muss man sich führen lassen. Und nur diejenigen können einen auch, sozusagen, auf dem eigenen religiösen Weg dann weiterbringen.
    "Den" Buddhismus gibt es nicht
    Beyrodt: Andere Kulturen, andere Religionen wirklich zu verstehen, wirklich kennenzulernen, ist nicht furchtbar leicht und es gibt da zwei Gefahren: Man kann in einer anderen Religion das ganz Ähnliche sehen, häufig ist das beim Judentum so, dass Leute sagen: Das ist ja wie bei uns, es gibt einen Gott. Prima, genau dasselbe! Die Unterschiede sieht man dann nicht. Oder man sieht das ganz Andere - häufig beim Islam. Aber aus dem, was Sie jetzt gesagt haben, würde ich auch eher schließen: Man sieht im Buddhismus in Deutschland, häufig positiv, das ganz Andere.
    Schmidt-Leukel: In meinen Augen verhält es sich, hinsichtlich der Unterschiede und Ähnlichkeiten zwischen den Religionen so, dass in jeder großen Religion eine enorme Bandbreite und Vielfalt innerreligiöser, unterschiedlicher Ausprägungen besteht. Das heißt: Es gibt nicht sowas wie "den Buddhismus", es gibt nicht "den Islam", "das Christentum", "das Judentum" und so weiter. Sondern sehr, sehr viele verschiedene, heterogene, teilweise gegensätzliche Ausprägungen. Und das hat zur Folge, dass die Religionen weder einander alle gleich sind, noch völlig voneinander verschieden sind. Sondern sie ähneln sich, im Grunde genommen, in der Bandbreite der Vielfalt, die sich in jeder dieser Religionen finden lässt. Was allerdings das populäre westliche Buddhismusbild betrifft, gut, so beruht dieses auch auf einigen Anhaltspunkten, die es im Buddhismus gibt, ist aber zum anderen Teil – und vielleicht sogar zum größeren Teil – die Frucht der Unzufriedenheit mit den Erfahrungen des Christentums.
    Beyrodt: Das ist ja auch Ihre Theorie, die Sie immer wieder vertreten: Dass alle Religionen eine große Unterschiedlichkeit in sich haben und einander auch vergleichbar sind. Sie schreiben in der Einleitung Ihres Buches, dass Sie die Welt durch eine buddhistische Brille betrachten möchten, dass Sie auf die Welt mit buddhistischen Augen gucken möchten. Wie geht das denn?
    Schmidt-Leukel: Ja, das ist natürlich genau der springende Punkt. Der Anhängerin und dem Anhänger des Buddhismus, dem geht es ja nicht um Buddhismus! Sondern es geht ihnen um die ganz normalen Fragen des Lebens. Es geht darum, wie bekomme ich eine Arbeit? Oder wie behalte ich eine Arbeit? Wie ernähre ich meine Familie? Was kann ich für das Glück meiner Kinder tun? Wie reagiere ich auf die Katastrophen im Leben? Wie interpretiere ich das Erfreuliche im Leben? Und so weiter und so fort. Und das ganze geschieht, sozusagen, dann durch die Brille des Buddhismus. Das heißt, der Buddhismus liefert genau diese Interpretationskategorien, der Buddhismus hilft, das Leben in einer gewissen Weise zu verstehen. Und wenn wir deswegen den Buddhismus verstehen wollen, dann dürfen wir nicht auf den Buddhismus sehen, sondern wir müssen versuchen eben, uns diese Brille aufzusetzen und durch die Brille des Buddhismus genau auf jene Lebensfragen und Herausforderungen zu blicken, die auch uns aus unserem eigenen Leben bekannt sind.
    Idealisiert und weichgespült
    Beyrodt: Also, wir haben in unserem Gespräch eine Reihe von Missverständnissen aufgezählt, wo der Westen eigentlich durch eine rosa Brille auf den Buddhismus geguckt hat, den Buddhismus verzeichnet hat. Wie kommt es, dass wir uns in dieser Religion auf eine Weise so geirrt haben?
    Schmidt-Leukel: Auch hier sind die Gründe vielschichtig. Zunächst einmal müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass der Buddhismus über viele Jahrhunderte hinweg, eine für den Westen relativ unbekannte Religion gewesen ist. Das heißt, man hat zwar gewusst, dass es Buddhisten gibt – auch da waren die - in die frühe Neuzeit hinein – die Vorstellungen waren diffus. Man hat, zum Beispiel, nicht erkannt, dass der Buddhismus in Südasien irgendwie zusammenhängt mit dem Buddhismus in Ostasien. Aber man hatte, sozusagen, wenig konkrete Informationen. Die ersten konkreten Informationen kamen durch Missionarsberichte - vom, sagen wir mal, sechzehnten, siebzehnten Jahrhundert an - die waren aber auch noch sehr, sehr selektiv. Und die ersten buddhistischen Texte wurden eigentlich im neunzehnten Jahrhundert bekannt im Westen und allmählich rezipiert und zur Kenntnis genommen, so dass sich im neunzehnten Jahrhundert eigentlich dann die Grundzüge eines bestimmten klischeehaften Buddhismusbildes herausbilden. Und die bleiben über lange Zeit relativ stabil, insbesondere auch in der westlichen Religionswissenschaft. Und dann gibt es eine weitere Welle, eben dieser populären Buddhismusrezeption, die dann insbesondere im zwanzigsten Jahrhundert, vor allem eben auch dann erst in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts, einsetzt und die dann eben so ein weichgespültes, idealisiertes Bild des Buddhismus produziert, wohingegen vorher wir es eher mit einem übertrieben negativen, pessimistischen Bild gegenüber dem Buddhismus zu tun haben.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    Perry Schmidt-Leukel: Buddhismus verstehen. Geschichte und Ideenwelt einer ungewöhnlichen Religion, Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2017