Dienstag, 07. Mai 2024

Archiv


Lohn im Jenseits

Meg Finn ist erst 14 und schon ein Geist. Die kriminelle Halbwüchsige aus einer kleinen irischen Stadt hat ein Ding gedreht, und es ist schief gegangen. Mit ihrem Kumpel Belch wollte sie bei einem Rentner einbrechen, doch dann kam es zum Streit zwischen den beiden jugendlichen Gangstern. Belch richtet seine Schrotflinte auf Meg, er schießt, eine Kugel läuft irr, ein Gastank explodiert, und alle, Meg, Belch und dessen Hund Raptor fliegen in die Luft. Meg findet sich in einem blauen, pulsierenden Tunnel wieder. Hinter ihr fliegen Belch und Raptor, die zu einer bestialischen Einheit verschmolzen sind. Dann verzweigt sich der Tunnel, oben geht’s in den Himmel, unten in die Hölle.

Von Tanya Lieske | 26.06.2004
    Aha, sagte sich Meg Finn, ich bin tot. Sie wartete darauf, dass die Erkenntnis sie mit voller Wucht traf. Nichts. Kein Schock. Kein Geschrei, kein wildes Schluchzen. Es war, als hätte der Tunnel ihr Gehirn betäubt. Andererseits war ihr Leben ohnehin nicht gerade ein Knüller gewesen. Wahrscheinlich sollte sie froh sein, dass sie es hinter sich gelassen hatte. Vielleicht würde sie sogar Mam wiedersehen. Aber ihre Mutter war bestimmt im Himmel, und Meg bezweifelte, dass sie selbst dort landen würde.

    Meg hat eine elende Kindheit hinter sich, sie glaubt an Himmel und Hölle, sie hat Zweifel an ihrem Seelenheil. Damit sind die Eckpfeiler für diesen Roman gesetzt. Eoin Colfer setzt bei der Schilderung des Jenseits auf Comic Effekte. In der Hölle schwingen Satan und sein Unterhändler Beelzebub ihren Dreizack, sie verdampfen Seelen, spucken Feuer und Rauch und können sich, da etliche Computerprogrammierer in der Hölle landen, mit jeder Menge High Tech ausstatten. Oben, im Himmel, geht es gemächlicher zu. Petrus sitzt auf seinem Thron vor dem Himmelstor. Er muss seine Bücher noch mit der Hand führen, die Güte der Seelen nach einem komplizierten Punktesystem berechnen, und ist eher gelangweilt, so dass er einem kleinen Unterhandel mit Beelzebub nicht abgeneigt ist.

    Petrus verdrehte die Augen. Schon wieder Beelzebub. Kriegte dieser Dämon denn nichts allein auf die Reihe?
    Er meldete sich. "Ja?"
    "Ich bin’s, Beelzebub."
    "Was du nicht sagst."
    "Ich habe hier ein kleines Problem, compadre."
    Ich dachte, du magst Probleme."
    "Aber nicht diese Art. Mein Job steht auf dem Spiel."
    "Oh", sagte Petrus. "Das ist in der Tat ein Problem."


    Meg Finns Seele ist dem Teufel entwischt. Satan will sie haben, um jeden Preis, und er hat Beelzebub auf sie angesetzt. Es ist ein Patt entstanden, denn Meg hat nicht genug Punkte, um in den Himmel zu kommen. Petrus und Beelzebub einigen sich auf die zweite Chance: Meg darf als Geist zur Erde zurückkehren, mit der Auflage, dass sie dem Rentner, den sie anfangs überfallen wollte, hilft, seine letzten vier Wünsche zu erfüllen. Beelzebub und Satan setzen Meg einen Verfolger auf die Fersen: es ist der Hundmensch Belch, dem für eine Extraportion Bosheit noch ein Elektrochip implantiert wurde. Für Meg steht jetzt alles auf dem Spiel: Sie will zu ihrer Mutter zurück, deren Seele im Himmel auf sie wartet. Und sie steht unter Zeitdruck, denn ihre Lebenskraft als Geist reicht nicht aus, um lange auf der Erde zu bleiben. Sie hat einen blutrünstigen Verfolger und einen Partner der gar nicht so einfach zu motivieren ist.

    Der Rentner Lowrie McCall hat sich nämlich längst dem Suff hingegeben und glaubt nicht daran, dass sich Wünsche überhaupt erfüllen lassen. Lowrie McCalls Wünsche von bemerkenswerter Schlichtheit. Er will einen verpassten Kuss nachholen, ein Tor in Dublins größtem Sportstadium schießen, den Erzfeind aus seiner Jugend verprügeln und einmal noch über ein bestimmtes Kliff spucken. Meg Finn und Lowrie McCall stellen schnell fest, dass es mit einer rein pragmatischen Zusammenarbeit nicht getan ist. Erst als ihre Zuneigung aufkeimt, hat das ungleiche Paar genügend Energie, um seinen Plan umzusetzen. Unter der aufwändigen Konstruktion des Romans schlummert also eine ganz einfache Generationengeschichte, die die Annäherung von zwei Menschen zum Gegenstand hat, die Enkel und Großvater sein könnten.

    "Ich bin doch bloß hier, weil ich muss, schon vergessen?"
    Lowrie schüttelte den Kopf. "Das weiß ich, aber vielleicht bist du ja auch mit dem Herzen dabei."
    "Nein, McCall. Verlassen Sie sich nicht auf mich. Das ist vergebliche Liebesmüh. Ich konnte noch nie jemandem helfen, nicht einmal mir selbst."
    "Na, wer jammert denn jetzt?"
    "Ach, halten Sie die Klappe, Sie rührseliger Opa."
    "Reizend. Hat man dir nie beigebracht, älteren Leuten Respekt entgegenzubringen?"
    "Sie sind schon zu alt, um zu den Älteren zu gehören."
    "Sehr witzig. Wenn ich hundert Jahre jünger wäre ..."
    Und so sprossen die ersten Keime der Zuneigung zwischen dem Menschen und dem Geist.


    Eoin Colfers Roman lebt von dem, was ihm auch schon mit seiner "Artemis Fowl"-Serie viel Erfolg eingebracht hat: Humor und Sprachwitz, der Steigerung sentimentaler Klischees ins Plakative sowie der gelungenen Schilderung einer Parallelwelt, die an HighTech wesentlich mehr zu bieten hat als die Erdenbewohner. "Hundert Prozent positive Energie" nennt Beelzebub jene Funken, die sprühen, wenn Meg Finn und Lowrie McCall etwas uneigennützig Gutes tun. Und das müssen sie, denn nur so kommen sie ans Ziel. Nur wenig verkürzt lautet die Botschaft dieses Romans: Tue Gutes auf Erden und sichere dir den ersten Platz im Paradies. Das ist ein ziemlich altmodischer Hut, allerdings versteckt Eoin Colfer ihn in einer aufwändig renovierten Hutschachtel.

    Eoin Colfer
    Meg Finn und die Liste der vier Wünsche
    List Verlag, 240 S., EUR 18,-