Dienstag, 14. Mai 2024

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"Macbeth" in Paris
Üppiger Bilderbogen, polternder Theaterfuror

Ariane Mnouchkine hat mit ihrem Théâtre du Soleil Shakespeares "Macbeth" in Paris inszeniert. So beeindruckend das Bühnenbild ist, so wenig überzeugt die Darstellung des Macbeth. Den Schauspielern bleiben nur wenig Chancen, etwas anderes zu spielen als Illustrationen des Geschehens.

Von Eberhard Spreng | 08.05.2014
    Landhaustische flitzen auf die Bühne, Lüster, Balustraden und Rosenbüsche. In rasantem Wechsel entstehen diverse Salons, Festsäle, neblige Nachtszenen und Schlachtfelder vor den Augen der Zuschauer. Ariane Mnouchkine inszeniert Macbeth als üppigen Bilderbogen und leistet sich noch für jede kurze Szene ein eigenes Bühnenbild. Seine Teile scheinen herbeizufliegen; im Laufschritt bringen die zahllosen Ensemblemitglieder Mobiliar, Lampen, Mäuerchen. Das beherrscht die Sonnentheaterprinzipalin wie kein anderer: die Generalmobilmachung der Theatermittel. Diverse gewaltige Teppiche werden entfaltet, für jedes Interieur ein anderer. Und zweimal kann man drei Meter über der nächtlichen Bühne in spärlichem Licht Schwaden aus Bühnennebel schweben sehen, so als wär's eine nächtliche Wolke im Mondschein.
    So schön manches Bild ist, so schwierig ist es, Shakespeares Stück über die blutigen Folgen falscher Hexenhörigkeit aus einer linearen Chronik der Ereignisse, aus dem kruden Bilderbogen zu erschließen. Daran nicht ganz unschuldig ist der Macbeth des Serge Nicolaï, der nie gefährliche Unberechenbarkeit, nie eine fatale Besessenheit spielt, sondern immer nur polternden Theaterfuror.
    Etwas zu einfach und billig
    Auch am Ende, wenn selbst die Kumpanin seines blutigen Ehrgeizes, die Lady Macbeth, vor seiner verrückten Blutherrschaft in den Tod geflüchtet ist, scheint seine Untergangslust nicht aus einer perversen Obsession zu kommen, sondern aus aggressivem Übermut. Ebenso wenig unheimlich wie dieser ausgeflippte Usurpator sind die Hexen in dieser Inszenierung, nicht drei an der Zahl wie bei Shakespeare, sondern ein ganzer Tross. Als hämische Frauen in bunten Lumpen erinnern sie ein wenig an die Erinnyen aus Mnouchkines Atridenzyklus. Sie sind Ewigkeitsgeschöpfe, die sich über den Irrsinn der Männer amüsieren und einmal auch in einem der hübschen Salons Stühle rücken und Poltergeist spielen. Dann fliegen die Silberschalen in hohem Bogen von den verlassenen Festtischen des misslungenen Gastmahles, dann kreiseln die aufgegebenen Sitzgruppen zum Hexentanz lustig um die eigene Achse. Den Hexenhumor mag man verzeihen. Wenn aber Macbeth bei einer seiner Befragungen des Schicksals zusammen mit den Wahrsagerinnen hinter einem Computerbildschirm hockt, dann ist die Gleichung von Internet, Hexenkessel und Orakel doch etwas zu einfach und billig.
    In dem unterhaltsamen Bilderbogen, in dem auch eine Operettenversion des Stücks gut aufgehoben wäre, setzt sich also die sichtbare Welt vehement gegen unsichtbare Mächte und das Okkulte durch. Aber so bleiben auch für die Schauspieler des vielköpfigen Ensembles nur wenig Chancen, etwas anderes zu spielen als Illustrationen des Geschehens. Nirupama Nityanandan, einst die Iphigenie in der legendäre Atriden-Tetralogie, gelingt als Lady Macbeth die Zeichnung einer modernen Frau, die ihren polternden Ehemann bei Gesellschaften immer wieder vor sich selbst schützen muss. Auch umringt von den Mikrofonen und Kameras der Hofberichterstatter bleibt sie stets beherrscht-charmant. In einer schönen Regiefindung hält sie ein großes Glas mit blutroten Rosenblättern in einem Arm und streut sie dem väterlichen König Duncan in den Weg: Ein roter Teppich, der den schottischen König einem Mord zuführt, mit dem die Mittäterin drei Akte später nicht mehr zurechtkommen wird.
    Abschweifungen ins Melodramatische
    Astrid Grant zeigt in einer kurzen Szene eine eindringliche Lady MacDuff, eine adelige in einem von den Männern verlassenen Schloss, Sébastien Brottet-Michel ihren Mann, der sich zusammen mit dem Sohn des gemordeten Königs Duncan, Malcolm, zum Bürgerkrieg gegen den Blutherrscher rüstet. Gegen Ende des mit vier Stunden deutlich zu langen Macbeth-Panoramas geht Mnouchkines Regiekonzept besser auf, da das Stück jetzt mehr Raum gibt für die Ausdeutung der Nebenfiguren. Dennoch: Die Regisseurin, die in ihren letzten Arbeiten deutliche Anleihen beim Kino genommen hat, beim epischen Erzählen mit Abschweifungen ins Melodramatische, entfaltet das Stück als äußere Folie, nicht aber als die Analyse einer Seele, in der sich Traum, Wahn und Wirklichkeit, Es, Ich und Über-Ich heillos verwirrt haben.