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Maghreb-Staaten als sichere Herkunftsländer
Zustimmung der Grünen weiter ungewiss

Ob die Einstufung von Marokko, Algerien und Tunesien als sogenannte sichere Herkunftsstaaten im Bundesrat eine Mehrheit findet, ist weiter fraglich. Denn viele Politiker der Grünen, die in vier Bundesländern mitregieren, lehnen dies ab. Aus den drei nordafrikanischen Ländern kommen aber immer weniger Menschen nach Deutschland.

Von Gudula Geuther | 15.06.2016
    Ein Mann mit einem Esel und drei Frauen in traditioneller Kleidung gehen auf einer Straße bei Ait-Ben-Haddou (Marokko).
    Auf einer Straße bei Ait-Ben-Haddou in Marokko. Über die cEinstufung von Marokko, Algerien und Tunesien als sichere Herkunftsstaaten wirtd gestritten. (picture alliance / ZB / Jens Kalaene)
    Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Hessen, Niedersachsen. Vier Bundesländer mit grüner Regierungsbeteiligung haben noch nicht endgültig entschieden, wie sie in zwei Tagen im Bundesrat abstimmen werden. Der grüne Außenpolitiker Jürgen Trittin rief die Länder dazu auf, der Einstufung von Marokko, Algerien und Tunesien als sogenannte sichere Herkunftsstaaten nicht zuzustimmen. "Homosexualität wird in allen drei Ländern mit Gefängnis bestraft", sagte der Bundestagsabgeordnete unter anderem der "Westdeutschen Allgemeinen Zeitung". Journalisten und Oppositionelle würden verfolgt. In einigen Polizeistationen werde Folter als normales Mittel der Beweisführung angesehen.
    Im Bundestag hatte die Fraktion geschlossen gegen die Verschärfung gestimmt. Auch in den Ländern sehen die Grünen das Institut der sicheren Herkunftsstaaten als solches skeptisch – und zweifeln erst recht im Fall der drei Staaten. Landespolitisch heikel ist die Frage besonders in Baden-Württemberg. Dort sieht der Koalitionsvertrag die Einstufung vor. Das allerdings nur, wenn die – wie es heißt – "hohen verfassungsrechtlichen Voraussetzungen vorliegen". Der Flüchtlingskoordinator und Chef des Bundeskanzleramts, Peter Altmaier, hatte gestern Gespräche mit allen Zweiflern angekündigt. Schritt für Schritt solle analysiert werden, welche Befürchtungen es gebe und wie man diese entkräften könne.
    Menschenrechtliche Defizite eingeräumt
    Der Landesvorsitzende der Grünen in Baden-Württemberg, Oliver Hildenbrand, sagte im rbb, er sei skeptisch, ob die Gespräche zu Ergebnissen führen könnten. Dass sich sein Parteifreund, Ministerpräsident Winfried Kretschmann, noch nicht auf eine Enthaltung festgelegt hat, kritisiert Hildenbrand in dem Interview nicht. Man diskutiere die Frage in der Partei respektvoll. Aber: "Ich wäre durchaus enttäuscht, wenn eine grün geführte Landesregierung dem Vorhaben zustimmt. Es geht ja tatsächlich um die Anforderungen unserer Verfassung an der Stelle. Und ich habe vor allem auch die große Befürchtung, dass ein solches Etikett "sicherer Herkunftsstaat" künftig all denen unter die Nase gehalten würde, die sich in diesen Ländern für die Menschenrechte einsetzen."
    Deutlicher als bei früheren Entscheidungen über sichere Herkunftsländer hat die Bundesregierung im Fall der drei Maghreb-Staaten schwerwiegende menschenrechtliche Defizite eingeräumt. Das Deutsche Institut für Menschenrechte kritisiert, sollten die Staaten trotzdem als sicher eingestuft werden, verändere sich damit die Praxis auch für die Zukunft. Bestehende Hürden würden damit faktisch abgebaut.
    Kaum noch Schutzsuchende aus Maghreb-Staaten
    Tatsächlich kommen immer weniger Menschen aus den drei Ländern nach Deutschland. Waren es im Januar noch 3356, registrierten die Behörden im Mai nur noch 374. Die Anerkennungsquote ist nach den neuesten Zahlen weiterhin niedrig. Für Marokko sind es 2,2 Prozent, für Algerien 1,4. Die Zahl der Tunesier, die hier Schutz suchen, ist sehr gering. Die Schutzquote ist mit 0,5 Prozent am niedrigsten. Angesichts der geringen Ankommenszahlen relativierte der Berliner Regierende Bürgermeister Michael Müller in der ARD das Problem. Abschiebungen in die drei Länder nehmen – trotz Bemühungen von Bundesinnenminister Thomas de Maiziere, der vor Ort Vereinbarungen über die Rücknahme geschlossen hatte – kaum zu.
    Das liegt offenbar auch an deutschen Schwierigkeiten im Datenaustausch. Der SPD-Politiker Michael Müller kritisierte außerdem: "Die Bundesregierung ist hier in einer Pflicht, auch zu verhandeln, wie die Menschen gut aufgenommen werden. Wir reden hier nicht darüber, dass wir Pakete zurückschicken. Sondern es geht um Schicksale, es geht um Menschen. Mit denen muss man auch in den Herkunftsstaaten gut umgehen. Und das zweite ist, dass ich immer wieder deutlich mache, dass man sich am Instrument der Abschiebung nicht besoffen reden darf. Darum geht es schlichtweg nicht. Sondern wir müssen uns darüber auseinandersetzen, wie wir mit den Menschen, die hier bleiben, gut umgehen werden. Das ist der zentrale Punkt, wenn wir mit der Kanzlerin zusammenkommen."
    Bis zum Freitag tagt im Saarland die Innenministerkonferenz. Auch dort stehen die Abschiebungen auf der Agenda.