Donnerstag, 28. März 2024

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Sichere Herkunftsländer
"Wir kratzen nicht am Grundrecht auf Asyl"

Der CSU-Innenexperte Michael Frieser hat die Grünen aufgefordert, im Bundesrat der Einstufung der Maghrebstaaten als sichere Herkunftsländer zuzustimmen. Er hoffe, dass der baden-württembergische Ministerpräsident Kretschmann nicht auf Taktik spiele, sagte Frieser im Deutschlandfunk.

Michael Frieser im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 10.06.2016
    Der CSU-Innenpolitiker Michael Frieser
    Der CSU-Innenpolitiker Michael Frieser (Rainer Jensen/dpa)
    Frieser versicherte, an der Qualität des Asylrechts werde durch die Einstufung von Tunesien, Marokko und Algerien als sichere Länder nichts geändert. Es gehe nicht darum, Menschenrechtsverletzungen in diesen Ländern kleinzureden. Alle Ankömmlinge hätten nach wie vor ein Anrecht auf ein volles Asylverfahren.
    Die Argumente der Grünen gegen die Neuregelung seien vorgeschoben, meinte der CSU-Politiker. Man wolle offenbar "über den Bundesrat etwas politische Intrige" starten. Die Grünen wären aber gut beraten, hier keine Machtprobe zu versuchen: "Ich hoffe inständig, dass auch gerade die grünen Kommunalpolitiker sich durchsetzen, die ja allesamt dafür sind."
    Es gehe darum, Länder und Kommunen bei der Bearbeitung von Asylanträgen zu entlasten.

    Das Interview in voller Länge:
    Dirk-Oliver Heckmann: Im vergangenen Jahr sind eine Reihe von Westbalkan-Staaten zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt worden. Das Ziel: Personen, die aus diesen Ländern kommen und deren Asylanträge ohnehin meist abgelehnt werden, schneller wieder in ihre Heimat zurückbringen zu können. Damals stimmte der grüne Ministerpräsident Wilfried Kretschmann dafür, doch das könnte sich diesmal ändern. Diesmal nämlich gibt es erhebliche Bedenken, ob Marokko, Tunesien und Algerien auf die Liste der sicheren Staaten gesetzt werden können. Das Ganze sorgt für politischen Sprengstoff, denn die Große Koalition, die will schließlich Handlungsfähigkeit unter Beweis stellen. Am Telefon ist jetzt dazu Michael Frieser von der CSU. Er ist Mitglied des Innenausschusses des Deutschen Bundestages. Guten Tag, Herr Frieser.
    Michael Frieser: Einen schönen guten Tag!
    Heckmann: Herr Frieser, der Bundestag will die Maghreb-Staaten auf die Liste sicherer Herkunftsländer setzen lassen. Die grün mitregierten Länder wie Schleswig-Holstein oder auch Nordrhein-Westfalen haben bereits ihr Nein angekündigt. Können Sie Ihren Antrag im Bundesrat gleich wieder zurückziehen?
    Frieser: Aber niemals! Erst mal muss der Bundestag ja eine Haltung vorlegen und er hat ja gute Gründe, warum mit einer derartig überwiegenden Mehrheit die Einstufung gerade dieser Staaten als notwendig erachtet wird. Nicht umsonst ist der Bundesinnenminister in diese Staaten gefahren, um sich von der Lage vor Ort erstens zu überzeugen und über die Rückführung der jeweiligen Personen auch mit den jeweiligen Staatschefs und den Regierungen zu sprechen. Ich glaube, wir halten nicht nur diesen Antrag aufrecht, sondern er ist auch absolut notwendig und unverzichtbar im Augenblick. Und jetzt, wenn man ehrlich ist, ist die Situation und die politische Auseinandersetzung doch ziemlich hochgekocht und nicht mehr ganz nachzuvollziehen.
    "Anrecht auf volles Asylverfahren"
    Heckmann: Aber Herr Frieser, Sie haben die Gegenargumente ja gehört im Bericht, und selbst der Innenminister gibt ja zu, dass es da nicht zum Besten bestellt ist mit der Menschenrechtslage. Die Grünen sagen, es ist völlig unverantwortlich, diese Länder auf die Liste der sicheren Herkunftsstaaten zu setzen. Homosexuelle werden verfolgt, auch Journalisten und Blogger. Und das Asylrecht, das ist schließlich ein Grundrecht für jeden, der hier herkommt.
    Frieser: Das ist überhaupt keine Frage und wir kratzen ja gerade eben nicht am Grundrecht des Asyls. Und das Zitat des Innenministers hätten Sie vielleicht noch ein Stückchen weiterlaufen lassen müssen, denn dann begründet er, dass es auch bei diesem Antrag überhaupt nicht darum geht, die Menschenrechtsverfehlungen, die es auch in diesen Ländern wie leider in vielen Ländern auf der Welt gibt, in irgendeiner Art und Weise kleinzureden. Alle, die tatsächlich unter diese Beispiele fallen als Verfolgte, haben natürlich nach wie vor trotz der Einstufung als sichere Herkunftsstaaten ein Anrecht auf ein volles Asylverfahren.
    Heckmann: Aber auf ein volles und schnelles Verfahren, ein verkürztes Verfahren.
    Frieser: Nein, nein! Es wird in der Qualität und in der Tiefe ja überhaupt nichts geändert. Es werden nur die Gründe, die ohnehin vorgetragen werden, die werden natürlich zusammengefasst. Wenn der Schutzsuchende aber tatsächlich beweisen kann und deutlich machen kann, dass die Verfolgung in seiner Person - übrigens das ist der Wortlaut des Asylgrundrechts - liegt, dann hat er selbstverständlich einen Anspruch aufs Verfahren. Die einstelligen Anerkennungsquoten, die wir aus diesen Staaten im Augenblick haben, die würden sich überhaupt nicht ändern. Diese Personen würden ganz genauso den Schutz eines Asylverfahrens bekommen. Insofern ist dieses Argument doch sehr, sehr vorgeschoben und hat überhaupt nichts mit den eigentlichen Menschenrechtsverletzungen in diesen Ländern zu tun.
    "Der Großteil stellt sich noch nicht mal dem Asylverfahren"
    Heckmann: Herr Frieser, einerseits sagen Sie, das Grundrecht wird nicht angetastet dadurch, dass diese Länder auf diese Liste der sicheren Herkunftsstaaten kommen. Gleichzeitig geben Sie das Signal aus, wir tun was dafür, dass diese Personen ohne Bleibeperspektive schnell abgeschoben werden. Es kann doch nur eins von beiden wirklich stimmen.
    Frieser: Nein, eben gerade nicht! Es ist ja eindeutig, dass die Quoten aus den Personen, zum Beispiel den 3.000, fast 3.500 Personen im Januar, die erscheinen ja in der Großzahl gar nicht zu den jeweiligen Verfahren. Das ist leider Gottes so. Der Großteil stellt sich noch nicht mal dem Asylverfahren, in dem er vortragen könnte, dass er verfolgt wird. Das ist ja genau unser Ansatzpunkt, dass wir sagen, hier scheint die Motivation doch tatsächlich eine andere zu sein. Ich glaube, dass diese Gründe etwas vorgeschoben sind, weil man jetzt merkt, dass man versucht, über den Bundesrat etwas politische Intrige starten zu können. Das ist aber leider Gottes dem Verfahren nicht geschuldet. Denn deutlich ist: Erstens funktioniert dieses System, indem wir deutlich gemacht haben, wenn man hier mit anderer Motivation als als Schutzsuchender kommt, dann hat man auch keine Chance auf Bleiberecht, und deshalb sind die Zahlen im März ja auf unter 500 gesunken. Das zeigt bereits, das Signal ist eindeutig, kommt auch an. Wenn wir jetzt aber nicht glaubhaft es auch durchführen, dann verpufft dieses Signal natürlich.
    "Kapazitäten für andere offenhalten, die es wirklich brauchen"
    Heckmann: Die grüne Katrin Göring-Eckardt, die hat heute Früh bei uns im Deutschlandfunk gesagt, es gibt eine viel bessere Alternative, als diese Länder auf die Liste zu setzen, nämlich die Verfahren zu beschleunigen. Denn das BAMF, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, das arbeitet ja immer noch Hunderttausende Altfälle ab. Und da mehr Leute einzustellen, das müsste doch schnell gehen.
    Frieser: Aber wir haben doch die Kapazitäten dieses Amtes verdreifacht. Wir haben die wirklichen Fristen und wir haben die Bearbeitungszeiten drastisch nach unten geführt. Jetzt kann ich nur noch sagen als jemand, der aus Nürnberg, dem Ort des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge kommt: Die Menschen tun dort ihr Menschenmöglichstes. Und trotzdem ist es sinnvoll, dass man für bestimmte Länder, wo man eine Einschätzung der Situation, aber auch der Menschenrechtslage hat, dass man diese Einschätzung etwas verkürzt, zusammenfasst, aber damit die Rechte des jeweiligen Schutzsuchenden nicht beschneidet. Deshalb muss man ganz deutlich sagen: Hier geht es eigentlich im Kern nicht um die Frage des Asylrechts, sondern hier geht es genau darum, dass man die Kapazitäten für andere, die es wirklich brauchen, die einer Verfolgung obliegen, die wirklich vortragen können und auch möchten, dass sie und warum sie verfolgt sind, diese Kapazitäten offenzuhalten. Und gerade deshalb muss man diese sicheren Herkunftsstaaten aussondern und deutlich sagen, hierfür muss es eine Form von schnellerer, übersichtlicherer Form der Gestaltung des Verfahrens geben.
    Heckmann: Was erwarten Sie jetzt von den Grünen im Bundesrat, vornehmlich von Ministerpräsident Kretschmann?
    Frieser: Ich hoffe mal, dass auch er nicht nur auf Taktik spielt. Das heißt, ich warte mal so lange, ob es auf meine Stimmen ankommt oder nicht, und dann werde ich mich entscheiden. Sondern ich hoffe, dass vor allem die Länder - denn übrigens die sind ja die Leidtragenden, ees geht ja um die Bundesländer und die Kommunen; wir schützen doch hier nicht die Bundesrepublik, sondern wir schützen tatsächlich die Kommunen, um diese Kapazitäten freizumachen. Deshalb glaube ich, dass die Grünen gut beraten sind, sich noch mal zusammenzusetzen und zu sagen, das ist das falsche Signal, an dieser Stelle eine Machtprobe zu versuchen.
    "Ich bin kein Freund von Schwarz-Grün"
    Heckmann: Dass die grün mitregierten Länder ihre Zustimmung womöglich verweigern, zeigt das aus Ihrer Sicht die Grenzen von schwarz-grünen Bündnissen auf?
    Frieser: Na ja. Dass man in bestimmten zentralen Fragen einfach nicht übereinkommt, das wird wohl deutlich. Das wird man aber mit jeder anderen Konstellation auch so sagen können. Deshalb, glaube ich, ist es jetzt an dieser Stelle nicht gerade ein Indiz. Ich bin kein Freund von Schwarz-Grün. Aber das, glaube ich, sind Dinge, die man miteinander bearbeiten kann. Und die Zustimmung der Herkunftsstaaten Bosnien-Herzegowina etc. hat ja gezeigt, dass das sehr wohl auch die grüne Seite vor allem auf der föderalen Ebene einsehen kann, dass so etwas notwendig ist. Warum das jetzt gerade in diesem Fall nicht notwendig sein soll, das bleibt bei den Grünen auch in der Argumentation bisher unbeantwortet.
    Heckmann: Was denken Sie, wie geht die Sache nächste Woche Freitag im Bundesrat aus?
    Frieser: Es wird ja noch ein Treffen geben. Auch werden sich die Ministerpräsidenten untereinander noch einmal abstimmen. Gegebenenfalls muss das eine oder andere Land ja auch mal über die Haltung nachdenken können. Aber ich hoffe ganz inständig, dass auch gerade die grünen Kommunalpolitiker, die ja allesamt dafür sind, dass das passiert, dass die sich noch bei den Grünen durchsetzen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.