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Malender Philosoph

Der italienische Maler Renato Guttuso verband stets politische und künstlerische Arbeit. Indem er für seine fortschrittlichen Inhalte nach adäquaten malerischen und formalen Mitteln suchte, schuf er eine ganz eigene Form sozialistischer Malerei.

Von Anette Schneider | 18.01.2007
    "Die Erde rot. Links drei Männer mit Gewehren. Vor ihren Gewehrläufen zwei junge Männer. Auf dem Boden drei Erschossene. Ihr Blut mischt sich mit der roten Erde Süditaliens, die fast den ganzen Bildgrund bedeckt."

    Die "Erschießung” entsteht 1938. Da ist Renato Guttuso 26 Jahre alt, lebt in Rom, arbeitet in antifaschistischen Zirkeln und ist befreundet mit linken Künstlern wie Giacomo Manzú und Alberto Moravia. Wenig später wird er Verbindungsoffizier der Partisanen und tritt, wie viele Intellektuelle seiner Zeit, in die Kommunistische Partei ein. Und er malt, was ist. Dafür greift er kubistische und expressive Formen auf, und zeigt:

    "kämpfende Partisanen, arbeitende Fischer, Bergarbeiter, Holzfäller, Stillleben mit den elementaren Dingen des Alltags - einem Strohstuhl, darauf ein Laib Brot, Maiskolben, ein Messer, das auch als Waffe verwendbar ist - und stets irgendwo ein rotes Buch, ein rotes Tuch, eine rote Gardine."

    "Ins Bild kommt eben immer die Welt beziehungsweise ein Stück davon und der Maler, der auch ein Teil dieser Welt ist","

    so Renato Guttuso 1973. Und weiter:

    ""Die Welt draußen, die wir sehen und erleben, und die Welt, die in uns ist, bilden im Kunstwerk eine sonderbare Einheit. Diese Dialektik zwischen Objekt und Subjekt ist für mich in der Kunst fundamental."

    Renato Guttuso ist einer der wichtigsten realistischen Maler des 20. Jahrhunderts. 1912 als Sohn eines armen Landvermessers auf Sizilien geboren, wächst er auf mit der Macht der Latifundienbesitzer, der Gewalt der Mafia, der Armut und dem Analphabetismus der Bauern. Mit 18 geht er nach Rom. Malen bringt er sich selbst bei. Vorbilder sind ihm vor allem Picasso, van Gogh und Goya.

    Ende der 40er Jahre reist Guttuso zurück nach Sizilien, um Bauern zu unterstützen, die brach liegendes Latifundienland besetzen. Das Militär greift ein, es gibt zahlreiche Todesopfer.

    "Inbesitznahme des unbebauten Landes"

    heißt das Bild, das kurz danach entsteht. Auf 200 mal 300 Zentimetern zeigt Guttuso:

    "eine weite, hügelige, baumlose Landschaft, im Vordergrund, dicht gedrängt und in dynamischer Bewegung, eine Gruppe Menschen: laufende Frauen, Kinder, junge und alte Männer mit Arbeitsgeräten und einer roten Fahne. Einer, den anderen ein Stück voraus, rammt einen Pfeiler in den Boden."

    In den Ausmaßen eines Historienbildes zeigt Guttuso den Versuch als das zu Erreichende. Sein Leben lang führt Renato Guttuso Leben und Malerei, Politik und praktisches Handeln zusammen: Er ist Mitglied des Weltfriedensrates, seit 1951 Mitglied des ZK der Kommunistischen Partei, seine Werke werden in Rom und London, Prag und New York, Mailand und Budapest gezeigt, und auf jeder Biennale erhält er eine eigene Ausstellung.

    Den 68er Mai erlebt er in Hamburg. Dort entsteht auch ein collagenhaftes Bild, in dem er die Ereignisse zusammenfasst.

    "eine riesige Barrikade aus Wohlstandsmüll, eine Reihe martialisch ausstaffierter Polizisten, glitzernde Bürotürme, Erschießungsszenen aus dem Vietnamkrieg, Rassenhass in den USA, der tote Che Guevara, demonstrierende Studenten mit einem Meer roter Fahnen."

    Um die Wirklichkeit fassen und Zusammenhänge aufzeigen zu können, fügt Guttuso seit Anfang der 60er Jahre Versatzstücke aus unterschiedlichen Zeiten und von unterschiedlichen Orten zu Bildern seiner Epoche zusammen. Seine Farben sind leuchtender geworden, der Farbauftrag heftiger.

    "Es geht mir um das ganze Leben, selbst wenn ich nur einen Stuhl male: Ich will komplexe Gestaltung der Wirklichkeit. Kunst ist ja eigentlich nichts anderes als eine bestimmte Form der Philosophie. Malerei außerhalb von Philosophie ist mir jedenfalls nicht vorstellbar. Wenn ich male, teile ich nicht nur Gefühle mit, gebe ich nicht bloß Eindrücke wieder, ich äußere doch mit meinen Farben und Linien auch Gedanken, ich urteile."

    Indem Guttuso für seine fortschrittlichen Inhalte stets nach adäquaten malerischen und formalen Mitteln suchte, schuf er eine ganz eigene Form sozialistischer Malerei. Er arbeitete daran bis zu seinem Tod am 18. Januar 1987. Und ob Partisanen, Landbesetzer, die Dächer Roms, Stilleben, Demonstrationen oder Frauenakte - immer leuchtet irgendwo sein typisches Rot auf, über das Pier Paolo Passolini schrieb:

    "Dein Rot, Guttuso, wird in die Geschichte eingehen, als ein Fluss, der in die Wüste verströmt. Dein Rot wird das Rot sein; das Rot des Arbeiters und das Rot des Dichters, ein einziges Rot, aussprechend die Realität des Kampfes, der Hoffnung, des Sieges und des Mitleids."