Donnerstag, 16. Mai 2024

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"Man wollte versuchen, so viel wie möglich aus einzelnen Liedern rauszuwringen"

Dutzende US-amerikanische und britische Interpreten haben ihre englischen Songs noch einmal neu auf Deutsch eingesungen – und sich dabei quasi selbst gecovert. Manche schafften es in die Hitparade. Andere, wie Musik-Größe Johnny Cash, landeten auf Deutsch in der Sackgasse.

Bernd Matheja im Gespräch mit Adalbert Siniawski | 26.12.2011
    Siniawski: Herr Matheja, Sie schreiben es: Johnny Cash war der erste US-Amerikaner, der auf Deutsch sang – aber den Stein zum Rollen gebracht hat ein gewisser Udo Jürgen Bockelmann.

    Matheja: Udo Jürgen Bockemann wurde später bekannt als Udo Jürgens, der war Ende der 50er-Jahre noch Auftragskomponist, und irgendwie ist er darauf gekommen, einen amerikanischen vorliegenden Titel einzudeutschen, und zwar griff er sich "Don’t take your guns to town" von Johnny Cash. Ein deutscher Text wurde angefertigt, der hieß dann "Leg’ die Knarre weg", und da sieht man schon, wie mit solchen Texten zum Teil umgegangen worden ist. Als die amerikanische CBS dann merkte, beziehungsweise der Musikverlag, in Deutschland wurde angefragt, ob man dieses "Don’t take your guns to town" verwenden und eindeutschen könnte, hat man sich gedacht: Diesen Cash, den schicken wir dann selbst mal ins Studio, denn man wusste, er war ja von 1951 bis _54 in Landsberg am Lech als Soldat stationiert gewesen, konnte also einige Brocken Deutsch und gar nicht mal so schlecht. Und man schickte ihn ins Studio, es wurden mehrere Titel aufgenommen. Allerdings bekam man kalte Füße und sie verschwanden im Archiv, das war 1959, und sie wurden erst als eine Cash-Tournee in Deutschland anstand, 1965, wieder entstaubt und zwei davon wurden gleich auf den Markt gebracht. Inzwischen hat man insgesamt sechs gefunden.

    Siniawski: Was waren die Gründe dafür, dass gerade Deutschland zur Zielscheibe für dieses Selbstcovern wurde?

    Matheja: Also es hat bestimmt mit der unrühmlichen Vergangenheit zu tun. Es war ja an Deutschtümelei nicht mehr auszuhalten gewesen in den 30er-, 40er-Jahren und auch Anfang der 50er. Und das Kuriose ist gewesen, als es dann hier wieder erlaubt war, internationale Titel anzuhören, haben die Verantwortlichen bei den Plattenfirmen gesagt: ja, viele Leute können überhaupt kein Englisch hier, also müssen wir ihnen, also wollen wir ihnen die Gelegenheit geben, diese Lieder, die sie mögen, diese Melodien auch mit deutschen Texten zu hören. Und so ist es dazu gekommen, dass einmal entweder die Originalinterpreten gezwungen wurden, ins Studio zu gehen, denn das hat kaum jemand freiwillig gemacht, oder es wurden auch deutsche Schlagersänger mit diesen Titeln bedacht, mir amerikanischen Originalen, die aber inzwischen einen deutschen Text bekommen hatten.

    Siniawski: Aber es waren sicherlich auch ökonomische Gründe, der große Hörermarkt!

    Matheja: Ja natürlich, auf jeden Fall, denn man wollte versuchen, so viel wie möglich aus einzelnen Liedern rauszuwringen oder rauszudrücken. Die Erfolge waren, wie sich dann über die Jahre herausstellte, nicht unbedingt so groß. Und trotzdem hat man immer weiter gemacht.

    Siniawski: Wie wurden die Amerikaner und Briten auf das Singen auf Deutsch vorbereitet?

    Matheja: Zum Teil überhaupt nicht! Es gibt das Beispiel von Wanda Jackson, ganz bekannt vom Tennessee Waltz, die wurde ins Flugzeug gesetzt zu Aufnahmen in Köln und während des Fluges, und das ist verbrieft die Sache, hat sie erfahren: Ja schön, aber du musst in Deutsch singen. Sie konnte kein einziges Wort Deutsch, also wurden diesen Interpreten – und es ging fast allen so – Deutschlehrer an die Seite gestellt. Oder, wenn sie es dann etwas schon gelernt hatten, wie im Falle Connie Francis, da gab’s dann diese quasi prähistorischen Teleprompter, die da oft auf der Rückseite von Tapeten aufgeschmiert wurden und hingehalten wurden. Und so konnten die sehen, wie sie nun klarkamen damit. Es hat auch zum Teil Handgreiflichkeiten gegeben, die sind auch überliefert, das betraf Gene Pitney 1962, der hat sich in einem Hamburger Studio als er "Bleibe bei mir" einsingen sollte – das war "Town without pity" in deutscher Fassung – fasst mit dem A&R-Mann der Plattenfirma auf gut Deutsch ins Kloppen gekriegt, weil er nun partout kein Umlaut hinbrachte und es war immer "Gluck, Gluck, Gluck" und es sollte ja eigentlich "Glück, Glück, Glück" sein.

    Siniawski: Sie beschreiben ihre Funde in Ihrem Buch als "akustische Attentate" und eine "Diskografie des Schreckens" – Wer schneidet denn beim Deutschsingen am besten ab und wer liegt denn völlig daneben?

    Matheja: Als beim Deutschsingen ganz vorne ist sicher weit vorne, auch weil es die Masse gemacht hat, Connie Francis. Die hat ja 35 Singles in deutscher Sprache eingesungen. Cliff Richard hatte 20 und Petula Clark waren 21. Kein Wunder, dass die natürlich mit jeder neuen Platte, die sie auf den Markt gebracht haben, mit jedem neuen Lied, das sie neu eingesungen haben, immer besser wurden. Sie konnte man wirklich gut verstehen. Es gab dann aber auch einige, mit denen man überhaupt nicht richtig zurande kam und ein Beispiel dafür ist schon früh gewesen der Twist-König Chubby Checker.

    Seine Aussprache geht ja eigentlich noch, aber es ist natürlich diese Vermischung von Deutsch und Englisch. Was aber damals sehr gut ankam. Wenn er einen Satz singt: "Wenn ich durch die Tannel schankel ist es Stock und very dankel", allein das Wort Stock, weil man ihm wohl "stockdunkel" gesagt hatte. Es ist schon kurios, was den Leuten zum Teil wirklich zugemutet wurde, denn die konnten sich ja nicht wehren.

    Siniawski: Nun könnte man denken, in den miefigen Nachkriegsjahren der 50er und 60er hat man sich über schräg singende Ausländer auch gern lustig gemacht – stimmt denn dieser Eindruck?

    Matheja: Ich weiß nicht, ob man sich nur darüber lustig gemacht hat, vielleicht war es auch ein Mitfühlen. Weiß ich nicht.

    Siniawski: Hat sich der ganze Aufwand bezahlt gemacht? Waren die deutschen Coverversionen der englischen Hits in den Charts gut platziert?

    Matheja: Es sind ungefähr 450 bis 500 Interpreten, die mit Deutsch gesungenen Titeln aus England, also Engländer und Amerikaner, auf den Markt gekommen sind.

    Siniawski: Eine Menge, ne?

    Matheja: Das ist eine Riesenmenge! War mir selbst, als ich mit der ganzen Sache begonnen hatte auch überhaupt nicht bekannt. Und Erfolge hatten wirklich nur… ja es war ein Dutzend vielleicht. Also es sind unglaublich populäre Interpreten völlig durchgerasselt mit dieser Art. Also es sind im Beat-Bereich Manfred Mann, die Spencer Davis Group, die Merseybeats sind durchgerasselt. Von den Soulinterpreten: die Supremes, Marvin Gaye, Temptations und Dionne Warwick nichts geschafft, Johnny Cash nichts geschafft, Billie Nelson nichts geschafft. Selbst spätere Interpreten wie – ach, die Beach Boys natürlich auch gescheitert – auch David Bowie nichts, Frank Zappa, Roy Orbison.

    Siniawski: Vielleicht ein Grund, warum dann Mitte oder Ende der 70er Jahre der Trend dann wieder abebbte. Wie kam es denn dazu, dass das Singen auf Deutsch nicht mehr gefragt war?

    Matheja: Als dann so dieser Punk-Umschwung kam, Pup-Rock-Punk Mitte der 70er-Jahre, es änderten sich einfach die Hörgewohnheiten und die Moden und das ist daran sehr, sehr gut auch ablesbar, dass dann wirklich nur noch einzelne Interpreten gekommen sind.

    Siniawski: Wie sind Sie auf die Idee gekommen, dieser speziellen Musikgeschichte nachzugehen?

    Matheja: War ein absoluter Zufall. Ich war in einem Hamburger Secondhand-Plattengeschäft und sah auf dem Tresen eine Single liegen von den Tempations. Und Temptations waren mir nun gut bekannt und mochte ich auch ganz gern – "My girl", ihr großer Hit – und da sah ich diese deutsche Single mit Bildhülle und da stand dann oben drauf "Mein Girl". Und ich dachte: Ach, mal wieder eine Fehlpressung und verdruckt auf dem Cover, könnte ich ja mal mitnehmen. Dann sagte mir der Händler: Ja also – das war noch in Mark – also 90 Mark müsste er dafür haben. Ich dachte erst, ich glaube es nicht! Und dann sagte er: "Ist ja Deutsch gesungen!" Das war im Grunde das Lostreten. Ich habe sie dann gekauft, die Single: Dann ging es weiter über Listen, Sammler, Auktionen, auf Flohmärkten habe ich geguckt, auf Börsen. Das meiste war damals noch recht günstig, aber es war eine unglaubliche Wuselarbeit, weil es bis dahin kaum einen Artikel überhaupt darüber gegeben hat über dieses Thema.

    Siniawski: Und jetzt muss ich Sie ein bisschen outen, es tut mir leid, Sie selbst haben einmal auch einen deutschen Text für einen US-amerikanischen Sänger geschrieben. Wie kam es denn dazu?

    Matheja: Ja, outen ist gar nicht so schlimm, steht auch im Buch die ganze Geschichte. Es war kurios: Ich wurde eines Nachmittags von Uwe Tessnow, das war der Chef von Line Records in Hamburg, angerufen, er hätte einen Künstler, Randy California, den Gitarristen der Band "Spirit, und für die LP "Euro-American" sollten zwei Titel auch in deutscher Sprache erscheinen. Der Anruf kam um so gegen drei und um halb sechs sollte ich da sein – mit dem fertigen Text natürlich, und habe dann so schnell wie möglich gedichtet, reim dich oder ich fress’ dich, und dann haben wir das Ganze in Lautschrift auf diese zusammengeklebten Papierseiten gemacht. Der Randy California hat das wirklich hervorragend gemacht. Auch er konnte überhaupt kein Deutsch, der hat das erst im Studio erfahren. Also genau, wie das, was 20 Jahre vorher sich abgespielt hat, hat sich hier wieder genau so abgespielt.

    Siniawski: 82 war das, "Großer Herrscher" hieß der Song. Was bedeutet eigentlich der Titel ihres gesammelten Werkes "1000 Nadelstiche"?

    Matheja: Den hat mir im Grunde die Band The Searchers geliefert – oder der deutsche Texter. Als die Searcher mit "Needles and Pins" einen so riesen Erfolg gehabt haben, war er schlau genug und hat eben aus "Needles and Pins" "1000 Nadelstiche" gemacht, und ich fand’ das war sehr passend für die weit über 1000 Nadelstiche, die im Buch dann genannt sind.

    Siniawski: Die akustischen Nadelstiche, nehme ich an.

    Matheja: Ja.

    Siniawski: Tja, "1000 Nadelstiche", so heißt das Lied der Searchers und so heißt auch das Buch und die CDs von Bernd Matheja. "Amerikaner und Briten singen Deutsch", so der vollständige Titel. Herr Matheja, herzlichen Dank für das Gespräch.

    Matheja: Ich danke Ihnen, Herr Siniawski.