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Mardi Gras 2008 in New Orleans

Obwohl einige Stadtviertel New Orleans auch über zwei Jahre nach Hurrikan Katrina hinter der Fassade des für die Touristen aufgeputzten French Quarter immer noch wie eine Trümmerlandschaft aussehen, bereitet sich die US-amerikanische Stadt an der Mississippi-Mündung in diesen Tagen auf Mardi Gras 2008 vor. Mardi Gras, das ist der traditionelle Karneval in New Orleans, der seinen Höhepunkt am 5. Februar, am "Fat Tuesday", am Karneval-Dienstag findet. Michael Kleff berichtet.

    "Let us in now! Housing now! Let us in now! Housing now! ... "

    New Orleans im vergangenen Dezember. Hunderte von Menschen versuchen vergeblich im Rathaus der Stadt gegen den Abriss von 4.500 Sozialwohnungen zu protestieren. Den der Stadtrat - seit den Kommunalwahlen vor zwei Monaten zum ersten Mal seit vielen Jahren mit einer "weißen" Mehrheit - gerade beschlossen hat. Und das, obwohl fehlender Wohnraum einer der Gründe dafür ist, dass noch immer über 100.000 New Orleanians im ganzen Land verstreut und teilweise von ihren Familien getrennt leben.

    Der trotz Wiederwahl umstrittene schwarze Bürgermeister Ray Nagin setzt beim Wiederaufbau seiner Stadt auf den Sound von New Orleans als Standortfaktor. Mit einem geräumigen Jazz-Center nebst Hotel und Themenpark will er die Touristen in die Stadt zurück bringen. Doch was nützt das den Menschen, die im August 2005 alles Hab und Gut verloren haben, fragt Malik Rahim. Da es weder Wohnungen noch Arbeitsplätze für sie gibt. Der Mitbegründer der Hilfseinrichtung Common Ground Collective lebt selbst in einem der vom Sturm am schlimmsten betroffenen Stadtteile.

    "Die meisten der Häuser, die Katrina nicht völlig zerstört hat, wurden von der Stadt abgerissen. Davon sind hier nur noch die Grundstücke zu sehen. Als stumme Zeugen für das Fehlen jeglicher staatlicher Hilfe auf allen Ebenen. In anderen Bezirken im Lower Ninth Ward mit vornehmlich weißer Bevölkerung sieht es besser aus. Aber hier, in meiner Nachbarschaft, weiß ich gerade einmal von einem Haus, dass wieder völlig neu aufgebaut wurde."

    Kritiker, die schon kurz nach der Katastrophe gemutmaßt hatten, dass die meist weißen Stadtplaner und Investoren einen Umbau von New Orleans ohne Ghettos mit Armen und Schwarzen planen, scheinen Recht zu bekommen. Dieser Ansicht ist auch Kali Akuno. Er ist Direktor von People´s Hurricane Relief Fund, einer privaten Organisation, die Familien bei der Wohnraum- und Arbeitsplatzsuche hilft sowie bitter benötigte Kinderbetreuung und Gesundheitsversorgung anbietet.

    "Sogar öffentliche Krankenhäuser sind in New Orleans geschlossen oder abgerissen worden. Und auch das öffentliche Schulsystem der Stadt wird systematisch abgebaut und privatisiert. Das alles ist Teil eines groß angelegten Experiments, das gleich nach dem Sturm von der Heritage Foundation und anderen konservativen Gruppen geplant wurde. Was hier passiert, ist die Umsetzung dieses Programms."

    "Der mangelnde Fortschritt beim Wiederaufbau über zwei Jahre nach Katrina ist einfach unfassbar. Das nimmt dir den Glauben daran, dass du von deiner Regierung geschützt wirst. Wir wurden es auf jeden Fall nicht. Angesichts der staatlichen Reaktion kann man es nicht anders ausdrücken."

    Bill Taylor ist Direktor der Tipitina´s Foundation. Die Stiftung des legendären Klubs hilft vor allem Musikern unter den Katrina-Opfern. Taylor ist überzeugt davon, dass New Orleans wieder auferstehen wird. Doch nur Dank einer Bevölkerung, die die Hoffnung nicht aufgibt und Dank vieler Freiwilliger aus dem ganzen Land, die vor Ort unermüdlich helfen.

    "Wir unterstützen Musiker ganz konkret. Einem Kind ein Instrument zu geben, ist beispielsweise sehr wichtig. Die wirkliche Arbeit wird hier überall auf Bürgerebene geleistet. Die Menschen, die ihre Stadt kennen und wissen, was zu tun ist, packen an. "

    Im Herzen von New Orleans hat der Radiomoderator Nick Spitzer sein Studio. Er sagt, dass manche der von den Fluten aus der Stadt vertriebenen Menschen dort, wo sie jetzt leben würden, vielleicht sogar eine bessere Arbeit und eine schönere Wohnung gefunden hätten. Aber, sie hätten ihr Zuhause, ihre Heimat verloren.

    "Auch für New Orleans ist das schlecht. Denn viele dieser Menschen sind Träger der Kultur dieser Stadt, die in der ganzen Welt geschätzt wird. Nur offensichtlich nicht von allen im Rathaus und in der Geschäftswelt. Zu viele Entscheidungsträger betrachten Kultur offensichtlich als etwas Gegebenes. So ist es aber nicht. Du musst etwas für die Familien und kleinen Geschäfte tun, die diese Kultur am Leben halten. "

    In der Karnevalskultur von New Orleans geben auf den Straßen neben den umherziehenden Jazzkapellen vor allem die Stämme der schwarzen Indianer -der Mardi Gras Indians - den Ton an. Doch die Diaspora, in der viele Mitglieder der schwarzen Karnevalsgesellschaften leben, gefährdet diese vibrierende Tradition. Noch einmal Bill Taylor von der Tipitina´s Stiftung.

    "In New Orleans gibt es eine lebendige Musikkultur. Das ist keine Musik, die du aus dem Regal nimmst, um sie dir anzuhören. Sie ist Teil der Identität dieser Stadt. Dazu brauchst du die Älteren, Jüngere, die diese Musik Abend für Abend spielen und Kinder, die sie lernen. Das ist ein Zyklus. Wenn er unterbrochen wird, besteht die Gefahr, dass du das verlierst, was diese Traditionen ausmacht. "

    Stimmen, die noch Anfang 2006 zu hören waren, Mardi Gras abzusagen - aus Respekt vor den Katrina-Opfern - sind längst verstummt, sagt Ned Sublette - Autor eines gerade erschienenen Buchs über die Kulturgeschichte von New Orleans. Nicht nur, weil die Stadt finanziell davon abhängig ist. Sondern vor allem, weil Mardi Gras den Menschen Hoffnung gibt.

    "Es ist ein beeindruckendes Gefühl, wenn du schon im Morgengrauen spürst, dass eine ganze Stadt am Tag von Mardi Gras etwas zusammen machen wird. Vor allem die Protagonisten der Mardi Gras Indians und der der Kultur des schwarzen New Orleans haben in den vergangenen beiden Jahren trotz aller Not, die sie erfahren haben, ihren Überlebenswillen gezeigt. Sie werden das auch bei diesem Mardi Gras tun. Und das Überleben des schwarzen New Orleans bedeutet das Überleben von ganz New Orleans. "