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Martinswein

Am 11.11. wird in Prag traditionell der Martinswein zum ersten Mal verkostet. Martinswein zu trinken ist eine alte Tradition aus dem Weinbaugebiet Mähren im Südosten Tschechiens, die seit 2005 bewusst vom Tschechischen Winzerfonds propagiert wird und wieder auflebt.

Von Iris Riedel | 13.11.2011
    Es ist Freitag, der 11.11. elf Uhr. Vor der Astronomischen Uhr am Altstädter Ring in Prag reckt ein Pulk an Touristen die Hälse und beobachtet entzückt, wie sich das technische Wunderwerk zu regen beginnt. Die Apostel drehen ihre Runde und der Tod läutet die Glocke. So faszinierend die wackelnden Figürchen neben den monumentalen Zifferblättern auch sind, die eigentliche Attraktion spielt sich heute nur ein paar Meter weiter auf dem Winzermarkt vor dem Rathaus ab.

    Mit geübtem Griff zieht Zdenek Veteška den Korken aus der Rotweinflasche, gefolgt von den erwartungsvollen Blicken der Umstehenden, die sich an seinem Stand versammelt haben. Sie sind gekommen, um den ersten Wein des Jahres zu kosten, den Martinswein. Na dann – Na zdraví – Zum Wohl!
    "Ein sehr guter Wein", "

    … lobt Boris Šmic, und nickt dem Weinverkäufer respektvoll zu.

    ""Frisch, jung und schmackhaft. Nur die Gans fehlt noch, aber die gibt es erst am Wochenende."

    Inzwischen haben auch die drei Damen angestoßen, die zusammen mit Boris Šmic bis zum ersten Glockenschlag ausgeharrt haben.

    "Einfach vorzüglich,"

    lautet das einstimmige Urteil der drei Frauen.

    "Er ist jedes Jahr gut, aber dieses Jahr ist er besonders wohlschmeckend. Wir kommen jedes Jahr am 11.11. um 11:00 Uhr, um miteinander anzustoßen."

    Die Frauen nehmen sich am Martinstag extra Urlaub, um die Ersten an Zdenek Veteškas Stand zu sein. Martinswein zu trinken ist eine alte Tradition aus dem Weinbaugebiet Mähren im Südosten Tschechiens, die seit 2005 bewusst vom Tschechischen Winzerfonds propagiert wird und wieder auflebt. Waren es im ersten Jahr gerade mal 2000 Flaschen, die für den Handel produziert wurden, sind es 2011 schon zwei Millionen. Zwar erfreut sich der Wein immer größerer Beliebtheit, aber auch viele Tschechen wüssten nicht so genau, warum es den Martinswein eigentlich gibt, bemerkt Weinverkäufer Zdenek Veteška.

    "Die Tradition kommt daher, dass früher am 11.11. die Saison endete. Der Weinbauer bestellte seinen Winzer ein und gemeinsam kosteten sie vom ersten Wein. War der Weinbauer zufrieden, wurden die neuen Verträge für das nächste Jahr unterzeichnet und es gab ein großes Fest. Na, und die Gans war am Ende der Saison fett gefüttert! Das passte gerade gut!"

    Die ersten Belege für Martinswein stammen aus Zeiten Josephs II. Im Vielvölkerstaat Österreich-Ungarn schwappte der Brauch nach Mähren über, wo er bewahrt wurde, während er in Österreich in Vergessenheit geriet. Auch in Tschechien drohte dem Martinswein dieses Schicksal, entsinnt sich der Direktor des Tschechischen Weininstituts Petr Psotka.

    "Im Sozialismus bestand einfach nicht der Bedarf, eine Tradition zu pflegen. Da hat man extensiven Weinbau betrieben. Je mehr Trauben an der Rebe, desto besser. Heute ist das eher umgekehrt. Man achtet auf die Qualität."

    Klein aber fein. Das gilt auch für die tschechischen Weine. Zwar kennt man aus Frankreich den Beaujolais Noveau, aber der kann nicht mit so einer langen Historie aufwarten wie der Martinswein. Und darauf sind die Tschechen stolz, was man daran erkennen kann, dass den Verkaufszahlen nach der Martinswein den Beaujolais zumindest in Tschechien überflügelt hat.

    Boris Šmic hat sich inzwischen entschieden. Eine Flasche roter und eine Flasche weißer Martinswein sinken in seinen Beutel. Er hat mit den Jahren in harter Probierarbeit das Weingut seines Vertrauens gefunden. Allein 102 Weine sind an diesem Tag auf dem Altstädter Ring in Prag vertreten. Aber das Siegel mit dem Reiter dürfen die Winzer nicht beliebig auf ihre Flaschen drucken. Eine Kommission hat in diesem Jahr über 400 angemeldete Weine verkostet, 365 von ihnen wurden zugelassen. Der Sommelier Martin Pastyřík ist Mitglied der Martinswein-Kommision.

    "Die Weine sind leicht und fruchtig, manchmal haben sie noch einen Rest Kohlensäure, so ein Stück Lebendigkeit. Für den Martinswein dürfen nur fünf frühe Rebsorten verwendet werden, drei für Weißwein und zwei für Rotwein. Der Martinswein unterscheidet sich auch dadurch, dass er noch nicht so viel Alkohol enthält, maximal 13 Prozent."

    Pastyřík fühlt sich den frühen Weinen nicht nur beruflich verpflichtet, sondern auch seines Vornamens wegen. Er heißt Martin und hat am 11. November seinen Namenstag, in Tschechien so etwas wie der zweite Geburtstag.

    Martin Pastyříks Namensvetter, der heilige Martin, reitet soeben auf dem Altstädter Markt ein, gefolgt von Rittern, Spielleuten und Gauklern. Der Reiter wird gebührend begrüßt und die versammelten lassen ihn leidenschaftlich hochleben.

    Ein Spielmann reicht dem Heiligen Martin einen Zinnbecher mit Wein. In Tschechien kommt der Heilige der Sage nach auf einem weißen Ross und bringt den Schnee. Zwar ist es der erste kalte Tag, aber die Sonne zeigt sich von ihrer goldenen Seite und nirgends ist ein Flöckchen zu sehen. Wenn schon der Heilige Martin seine Arbeit nicht gemacht hat, dann wenigstens die Winzer, das muss auch der Reiter zugeben. Wie schmeckt dem heiligen Martin der Martinswein?

    "Ich denke, dieses Jahr ist er ausgezeichnet."