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Matthias Dell
Über den selbsternanntesten Beruf von allen

Kritik an Journalisten zu äußern, ist schwierig, findet unser Kolumnist Matthias Dell. Für diese These sprechen verschiedene Gründe - und ein Lehrstück aus der jüngeren Vergangenheit.

Von Matthias Dell | 05.10.2017
    Jahresrückblick des ZDF: Der Moderator Markus Lanz bei der Aufzeichnung der Sendung "Menschen 2014".
    Markus Lanz: Wie aus einer Petition ein Hype wurde - und sich dann der Wind wieder wendete. (picture alliance / dpa / Tobias Hase)
    Journalistenschelte ist ja gerade so ein Thema. Ob sie überzogen oder sündenbockhaft, berechtigt oder hilfreich ist, das lässt sich nicht leicht sagen. Feststeht: Journalismuskritik ist schwierig. Aus zwei Gründen.
    "Journalisten mögen Kritik an sich nicht so gern"
    Zum einen wegen einer gewissen Angst und professioneller Nähe. Wenn ich jetzt hier die Kollegin Soundso kritisiere, kann es sein, dass sie darüber nicht amüsiert ist. Es kann aber passieren, dass besagte Kollegin Soundso eines Tages meine Redakteurin hier wird, und dann erinnert sie sich womöglich an meine Kritik, die sie nicht so amüsiert hat, und, zack, macht diese Kolumne jemand anderes.
    Zum anderen: Journalisten mögen Kritik an sich nicht so gern. Ja, man könnte sogar sagen, Journalisten können sehr gut mit Kritik umgehen - solange sie es sind, die sie äußern. Denn ihre Arbeit besteht ja häufig aus nichts anderem. Die Politjournalistinnen kritisieren die Politik, die Filmkritiker die Filme, die wenigsten Sportreporterinnen die Sportpolitik. Komischerweise führt das aber nicht dazu, dass Journalisten auch bereit wären, für Kritik an ihrer Arbeit offener zu sein als Fünfjährige, die im Kindergarten einem anderen Kind die gelbe Rassel weggenommen haben.
    Zu tun hat das auch mit Statusängsten. Unter denen leiden Journalistinnen in unseren digitalen Zeiten eh. Also seit nicht mehr die vier Sender, acht Zeitungen und zwei Magazine, bei denen sie arbeiten, die einzigen Wege sind, um öffentlich wahrgenommen zu werden.
    Die Lanz-Petition
    Ein legendäres Beispiel ist die sogenannte Lanz-Petition von 2014. Eine Zuschauerin hatte sich inhaltlich geärgert über den unfairen Umgang des ZDF-Talkmasters mit einer Politikerin. Da diese Zuschauerin keinen Zugang zu den rituellen Talkshow-Besprechungen der Onlineportale hatte, äußerte sie ihre Kritik in Form einer Online-Petition. Und weil andere Zuschauer sich auch geärgert hatten, unterschrieben sie.
    Matthias Dell (Foto: Daniel Seiffert)
    @mediasres-Kolumnist Matthias Dell (Daniel Seiffert)
    Dann entdeckten die Medien die Petition und berichteten darüber - schließlich ärgerten sie sich laufend über Lanz. Da kam die Petition nur recht. Das ist doch mal was anderes, was Originelles, guckt mal, jetzt gibt es unsere Lanz-Kritik sogar schon als Petition. Wie niedlich.
    Durch diese Berichterstattung - das hätte man als Medium auch vorher wissen können - wurden aber noch mehr Leute auf die Petition aufmerksam, weshalb immer mehr Menschen unterschrieben. Das Ding wurde ein Selbstläufer, von mir aus auch ein Hype, aber die Petition hatte auch etwas getroffen. Einfach eine Petition aufzusetzen, in der man sagt, Kollege Soundso ist doof und dann unterschrieben da 50.000 - so funktioniert das nicht. Genauso stellten die Medien die Sache aber dar. Denn denen verging die gute Laune, als die Unterzeichnerzahl die 100.000er-Grenze überschritt. Plötzlich war Schluss mit lustig.
    "Journalist ist der selbsternannteste Beruf von allen"
    Es wurde ordentlich zurückgekeilt, teils mit falschen, auf jeden Fall mit abwertenden Formulierungen. Die Petentin wurde lächerlich gemacht, diese "selbsternannte" Medienkritikerin. Was als Vorwurf von Journalistenseite immer besonders putzig ist, denn Journalist ist der selbsternannteste Beruf von allen. Manche Kritiker fingen sogar an, mit Lanz zu sympathisieren, obwohl sie sich doch immer nur über ihn geärgert hatten.
    Aber das wollten sie eben exklusiv tun: Man kann den Lanz schon kritisieren, aber das macht bitte keiner außer uns. In Wahrheit sah die Fernsehkritik im Erfolg der Petition kurz in den Spiegel ihrer Angst. Wozu braucht es mich, wenn sich die Leute ihre Gedanken selbst machen können?
    Ein Lehrstück. Jetzt sagen Sie, das ist doch schon Jahre her, da werden die Journalisten bei nüchterner Nachbetrachtung doch die richtigen Schlüsse gezogen haben - für die eigene Arbeit, aber auch für einen künftigen Umgang mit Kritik. Haben Sie?
    Hören Sie diese Kolumne in vier Wochen wieder, dann geht es um die Theaterkritikerberichte über die Berliner Volksbühnen-Besetzer. Arbeitstitel: "Was fällt denen eigentlich ein?"