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McLaren-Report
"IOC wird sich nicht länger aus Verantwortung stehlen können"

Nach der Veröffentlichung des zweiten McLaren-Berichts fordert Dagmar Freitag, Vorsitzende des Sportausschusses im Bundestag, einen Ausschluss des russischen Teams von den Olympischen Winterspielen 2018. Sportsoziologe Eike Emrich sieht die Athleten als Mittel zur Demonstration nationaler Repräsentanz.

Von Olivia Gerstenberger | 10.12.2016
    Das russische Team für die Olympischen Spiele in London 2012 während der Eröffnungszeremonie.
    Das russische Team für die Olympischen Spiele in London 2012 (picture alliance / EPA / Jonathan Brady)
    "Für mich als Olympiateilnehmer sollte jeder Athlet oder Offizielle, der sich aktiv an einem solchen Manipulationssystem beteiligt hat, lebenslang von den Olympischen Spielen ausgeschlossen werden, in welcher Funktion auch immer", sagte Thomas Bach nach der Veröffentlichung der Ergebnisse des zweiten McLaren-Berichts. Er ist aber aktuell kein Olympiateilnehmer mehr, sondern Präsident des mächtigen Internationalen Olympischen Komitees. Als solcher vermied er bisher klare Aussagen zu einem möglichen Ausschluss russischer Athleten, sehr zum Bedauern von Dagmar Freitag.
    Die Vorsitzende des Bundestags-Sportausschusses forderte das IOC hier im Deutschlandfunk auf, endlich Konsequenzen zu ziehen. "Das Internationale Olympische Komitee wird sich nicht länger aus seiner Verantwortung stehlen können. Was wir vor den Olympischen Sommerspielen in Rio erlebt haben, war aus meiner Sicht ein einziges Trauerspiel."
    Freitag: "Ausschluss, solange sich nichts ändert!"
    Denn vor Rio hatte das IOC die Verantwortung an die Fachverbände abgeschoben. Nur der Internationale Leichtathletik-Verband und später auch das Internationale Paralympische Komitee reagierten und schlossen russische Sportler von den Wettkämpfen bereits in Rio aus.
    Das erwartet Freitag für die Winterspiele in zwei Jahren nun auch vom IOC und dessen Präsidenten Thomas Bach: "Das kann nicht im Sinne des internationalen Sports sein, der sich so gerne auf hehre Werte zurückzieht wie Fair Play, wie Respekt. Zu Respekt gehört für mich, dass man die Sauberen bestmöglich vor den Betrügern schützt, und das heißt Ausschluss, solange sich in Russland nichts ändert."
    Die Vorsitzende des Sportausschusses des Deutschen Bundestages, Dagmar Freitag (SPD).
    Die Vorsitzende des Sportausschusses des Deutschen Bundestages, Dagmar Freitag (SPD). (dpa)
    Die Ausflüchte aus Russland, dass der Bericht ein Lügenmärchen sei und dass bei anderen Nationen nicht so genau hingeschaut werde, wies Freitag entschieden zurück. "Sicherlich wird woanders auch gedopt, wahrscheinlich sogar in unterschiedlichen Formen überall auf der Welt, aber was Russland angeht, haben wir jetzt eben die Beweise. Und wenn es zukünftig Beweise dafür gibt, dass in anderen Ländern Staatsdoping genauso verankert ist wie in Russland, muss man die gleichen Konsequenzen ziehen. Aber mit Verweis auf die anderen, die dopen ja auch, kann man doch seine eigenen Hände nicht in Unschuld waschen."
    Emrich: Athleten nur noch Mittel zum Zweck
    Für schuldig befindet auch Sportsoziologe Eike Emrich die russischen Athleten, sieht sie aber auch in einer Art Opferrolle, denn sie seien nur noch Mittel zur Demonstration nationaler Stärke: "Das wirkt natürlich nach außen, aber noch mehr nach innen, ins Innere Russlands und sichert die Loyalität der Bevölkerung. Aber gleichzeitig benutzt man Athleten als Mittel zum Zweck und es geht nicht mehr um die Athleten selbst in der Sportförderung und in den Wettkämpfen. Eine echte Instrumentalisierung."
    Es gehe nur noch um die nationale Repräsentanz im Medaillenspiegel. Dieser Trend sei allerdings nicht nur in Russland zu beobachten: In anderer Intensität auch international. Und: Doping sei nicht nur ein exklusives Problem Russlands, betonte der Sportökonom: "Wenn Begabungen normal verteilt sind und Sportförderung in vielen Ländern der Erde ähnlich funktioniert, die wissenschaftliche Betreuung auch, dann stellt sich doch die Frage, wenn Doping wirkt, warum Russland dann nicht mehr Medaillen gewonnen hat."
    Der Sportökonom Eike Emrich aspricht bei einer Veranstaltung am 9. April 2013.
    Der Sportökonom Eike Emrich (imago sportfotodienst)
    IOC kein Kanichenzüchterverein
    Sportökonom Emrich kritisierte im Deutschlandfunk auch die Arbeit des IOC: "Es investiert in den Anschein von ehrlichem Sport. Und offensichtlich ist die Investition in Anschein von sauberem Sport lohnender als die Ehrlichkeit selbst."
    Externe Kontrolleure und mehr Transparenz sowie eine Reform der Abstimmungsmodalitäten wären wichtige Schritte. Das IOC könne man nicht führen wie einen Schweizer Kaninchenzüchterverein!