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Medizin
Das Mysterium Eisenmangel

Weltweit leidet fast jede zweite Schwangere unter Eisenmangel. Das hat Folgen. Je nachdem wie gravierend der Mangel ist, kann er zu starken kognitiven Störungen beim Kind führen. Wenig weiß man bisher darüber, wie der Schaden entsteht und wie man ihn womöglich beheben könnte. Forscher aus den USA untersuchen diese Frage jetzt mithilfe von Ferkeln.

Von Katrin Zöfel | 16.04.2015
    Ferkel drängen sich am im Ferkelaufzuchtbereich des Schweinezuchtbetriebes Seegers in Großenkneten (Niedersachsen).
    Ferkel brauchen bald nach ihrer Geburt den Nährstoff Eisen, weil die Vorräte, die sie im Mutterleib gesammelt haben, nach wenigen Wochen aufgebraucht sind. (picture alliance / dpa)
    Der britische Premier Winston Churchill soll einmal Folgendes gesagt haben: "Ich mag Schweine sehr. Katzen schauen auf uns herab, Hunde zu uns auf. Schweine dagegen sind auf Augenhöhe."
    Rodney Johnson, Forscher von der US-Universität von Illinois, gefällt dieses Zitat, denn er arbeitet mit frisch geborenen Ferkeln, eben weil sie uns Menschen gleichen.
    "Ferkel und neugeborene Babys sind sich sehr ähnlich darin, wie ihr Hirn wächst und sich entwickelt. Auch die Nahrung, die Ferkel brauchen, ähnelt, dem was wir als Neugeborene brauchen."
    Ferkel brauchen bald nach ihrer Geburt den Nährstoff Eisen, weil die Vorräte, die sie im Mutterleib gesammelt haben, nach wenigen Wochen aufgebraucht sind. Die Muttermilch der Sau enthält nicht genug Eisen. Wenn die Ferkel also nicht durch Wühlen im Boden andere Eisenquellen auftun oder vom Züchter Eisen bekommen, leiden sie unter Mangel. Vom Menschen weiß man, dass solch ein Mangel langfristige Folgen haben kann. Betroffene Kinder sind ängstlicher, schneller frustriert, lernen schlechter und können sich nicht so gut konzentrieren.
    "Selbst wenn der Eisenmangel nur sehr kurze Zeit dauert, kann er schlimme Folgen haben. Es kommt darauf an, ob zu dem Zeitpunkt gerade etwas Wichtiges in der Gehirnentwicklung passiert."
    Ferkel mit Eisenmangel lernten äußerst schlecht
    Wann diese kritischen Zeitpunkte sind, und ob die Schäden im Nachhinein noch reparabel sind oder nicht, weiß bisher niemand so genau. Rodney Johnsons Idee war, diese Fragen an Ferkeln zu untersuchen. Er setzte frisch geborene Ferkel in seinem Labor auf Diät, und gab ihnen entweder viel zu wenig oder reichlich Eisen in ihre Flaschennahrung. Dann testete er ihr Lernvermögen, ihre räumliche Orientierung und ihr Gedächtnis. Dazu versteckte er eine Tasse Kakao in einem Labyrinth.
    "Ferkel mögen Kakao sehr gern, also wollen sie unbedingt lernen, wo er versteckt ist. Die Tiere, die genug Eisen bekamen, fanden den Kakao im Labyrinth nach drei, vier Tagen Training absolut zuverlässig."
    Ganz anders die Ferkel mit Eisenmangel: Sie lernten nichts dazu. Selbst nach sieben Tagen Training war es purer Zufall, ob sie den Kakao aufspürten oder nicht. Ein eindeutiges Ergebnis. Doch die reine Beobachtung war Rodney Johnson nicht genug.
    "Wir haben eine Methode entwickelt, um bei den Ferkeln Hirnscans zu machen. Das war viel Arbeit. Bilder zu machen ist ja einfach. Aber es gab keine Vorbilder, nichts womit wir unsere Aufnahmen abgleichen konnten. Deshalb haben wir einen eigenen Hirnatlas für die Ferkel entwickelt. So konnten wir genau bestimmen, welche Hirnregion sich wann wie stark entwickelt und wächst."
    Befund eins: das Hirnwachstum verlief scheinbar immer gleich, egal ob die Ferkel genug Eisen bekamen oder nicht. Befund zwei aber zeigte: Ferkel mit Eisenmangel hatten an bestimmten Stellen im Gehirn weniger weiße Gehirnmasse.
    "Das galt für Hippocampus und Fornix. Dort waren zwar genug Nervenzellen da, aber die Zellen, die sie umhüllen, und für eine schnellere Signalleitung sorgen, fehlten. Das passt zu den Ergebnissen aus dem Labyrinth, denn beide Bereiche sind für räumliche Orientierung und Gedächtnis wichtig. Sie sorgen dafür, dass wir uns in der Umwelt orientieren können."
    Johnson ist sich sicher, dass seine Ferkel ein gutes Modell sind, um den Zusammenhang zwischen Eisenmangel und Hirnentwicklung besser zu verstehen. Sein nächstes Ziel: Er will prüfen, ob es stimmt, dass ein Schaden, der einmal entstanden ist, nie wieder ausgebügelt werden kann. Das ist gängige Lehrmeinung, doch Johnson will das so nicht stehen lassen. Er hofft, dass er von seinen Ferkeln lernen kann, wie man Kindern, die früh mangelernährt waren, auch später noch helfen kann.