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Mein Geschenk

Die Schriftstellerin Marlene Streeruwitz, versteht es mühelos, den Worten das Gewicht der Welt aufzuladen. Auch im Text, den sie für unsere Reihe geschrieben hat. Denn wie sonst gingen die Zeit, der Weltfrieden und eine Puppe namens Cornelia zusammen?

Von Marlene Streeruwitz | 01.01.2010
    Mein Geschenk. Mein Geschenk, ist das das Geschenk, das ich bekomme. Mein Geschenk, ist das das Geschenk, das ich gebe. Mein Geschenk. Das ist dann immer etwas, was dazwischen liegt. Mein Geschenk. Da entscheidet die Richtung des Schenkens, ob das etwas ist, was ich bekomme. Oder. Ob das etwas ist, was ich gebe.

    Wenn klar sein sollte, ob mein Geschenk bei mir bleibt oder von mir wegkommt, dann müsste es immer heißen. Mein Geschenk für dich. Oder. Mein Geschenk von dir. Aber es geht auch ganz einfach. Mein Geschenk. Das sollte der Weltfrieden sein. Und meine alte Puppe. Freundlichkeit für Kinder, damit die Kinder freundlich werden können und die Beine meiner alten Puppe, die bei einer Übersiedlung verloren gingen. Der Weltfrieden müsste natürlich Gerechtigkeit mit sich bringen und Zeit. Es müsste immer viel Zeit geben, den Veränderungen zusehen zu können. Wenn es schon keine Macht gibt, dann sollte es wenigstens die Zeit geben, sich einen Standpunkt verschaffen zu können und nicht, dass es so ist, dass man die Schachtel aufmacht und auf einmal sind keine Beine da. Da liegt der Puppenkörper und die Arme und der Kopf.

    Die Puppe war gleich nach dem Weihnachtsfest damals zerbrochen. Die Halterung der Arme und Beine und des Kopfs war gerissen. Damals war Gummi schnell brüchig und die Puppe wurde in ihre Teile zerfallen in die Schachtel gelegt, in der sie immer noch liegt. Mein Geschenk sollte das Geld für die Zeit sein. Es sollte möglich sein, Zeit zu haben und nicht gleich von Vernichtung träumen zu müssen und am Morgen schon beim Aufstehen an ungeheure Summen und Schlösser denken zu müssen, damit die Arbeitskraft in die Gänge kommt. Der Tag, der notwendig wäre, die notwendige Recherche. Wo werden Puppen repariert. Welcher Puppendoktor ist der günstige und gibt es auch Puppendoktorinnen. Und dann der Transport der Puppe und die Auswahl der Beine. Es müssten ja die richtigen Beine gefunden werden. Auf eBay oder in einer Puppensammlung. Es würde schon einen Tag benötigen. Ein solcher Tag.

    Mein Geschenk sollte ein anderes schlechtes Gewissen sein. Oder gar keines. Vielleicht nur noch ein Gewissen und nicht dieses Zucken des Versagens, das sich durch den Leib schlängelt. Schlechtes Gewissen. Das blitzt ja immer nur. Schlechtes Gewissen. Das zitiert sich leicht und mit dem Blitz durch den Bauch oder durch den Kopf. Da ist dann schon alles getan. Mein Geschenk. Der Weltfriede ist wahrscheinlich in dieser Schachtel mit der alten Puppe, die Cornelia heißt, weil ich mich vor der Cornelia im richtigen Leben am meisten gefürchtet habe, aber den Namen so schön fand und deshalb ist mein Geschenk dieser freie Tag, der von allen getragen sich die Zeit nehmen kann. Heilung ist das dann. Wenn die Beine der alten Puppe, die bei einer Übersiedlung verschwunden waren. Wie konnte es sein, dass diese Beine verschwanden. Was ist da geschehen, dass dieser Verlust zustande kommen konnte. Wenn geklärt werden kann, wo die neuen Beine für die alte Puppe herkommen könnten. Und wenn es dann getan ist und die neuen Beine der alten Puppe wieder anmontiert worden sind.

    Vielleicht kann dann der Weltfrieden aus der dunkelgrüngoldbesternten Schachtel heraus und eine Frage bei der Wahl der Miss World wäre erledigt. Keine Kandidatin könnte den Weltfrieden mehr zitieren und zu ihrer Selbstdarstellung benutzen. Der Weltfrieden wäre frei und könnte hingehen, wohin er oder sie will. Wir kennen ja das Geschlecht des Weltfriedens nicht. Oder vielleicht ist der Weltfrieden ein eigenes Geschlecht und dann wüsste ich endlich, was es bedeutet, wenn am Weihnachtsabend das Evangelium lautet, "sich aufzeichnen zu lassen, ein jeder nach seinem Geschlecht." Der Weltfriede wäre registriert und könnte eine Wirklichkeit werden. Mein Geschenk wäre dann eines von mir an dich und zur gleichen Zeit bekäme ich es auch und es müsste auch nicht immer erst Weihnachten werden. Zuerst muss ich aber diese dunkelgrüngoldbesternte Schachtel wieder finden. Ich glaube, ich weiß, wo sie ist.