Sonntag, 12. Mai 2024

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Film über russisches Staatsdoping
Die Flucht eines Verschwörers

US-Regisseur Bryan Fogel wollte eigentlich einen Film darüber machen, wie einfach es ist, beim Radsport zu dopen. Doch er rasselte in den größten staatlich-gesteuerten Dopingskandal der Geschichte. Denn sein Projektpartner war der Leiter des russischen Anti-Doping-Labors, Grigory Rodchenkov, der während des Films zum Kronzeugen wird.

Von Carsten Upadek | 04.08.2017
    Die russische Mannschaft beim Einzug in das Olympia-Stadion von Sotschi bei der Eröffnungsfeier.
    Die russische Mannschaft beim Einzug in das Olympia-Stadion von Sotschi bei der Eröffnungsfeier. (picture alliance/dpa - Barbara Walton)
    US-Regisseur Bryan Fogel ist Radsportfan und selbst Amateurfahrer. Er ist geschockt, als Lance Armstrong in einem Interview zugibt, jahrelang gedopt zu haben. Deshalb will Fogel im Selbsttest mit verbotenen leistungssteigernden Substanzen zeigen, dass das Kontroll-System nicht funktioniert.
    Bryan Fogel beim Sundance Film Festival in London.
    Bryan Fogel wurde zum Macher des Films über Rodchenkovs Flucht. (imago - Future Images)
    "Wenn ich das könnte und damit davonkäme, könnte das im Prinzip jeder tun und damit davonkommen."
    Rodchenkov wird Partner und Freund von Fogel
    Für den Test wird ihm 2014 der Chef des russischen Antidoping-Labors, Grigory Rodchenkov, empfohlen. Fogel weiß zu diesem Zeitpunkt nicht, dass Rodchenkov der Kopf eines geheimen staatlich gelenkten russischen Doping-Programms ist. Die beiden Männer werden über das private Doping-Projekt Freunde. Doch dann kommt erst die ARD-Doku "Geheimsache Doping – Wie Russland seine Sieger macht" und später der Bericht des Ermittlers Richard McLaren im Auftrag der WADA, der staatlich organisiertes Doping in Russland bestätigt. Rodchenkov sieht sich nun in Gefahr.
    Grigory Rodchenkov, ehemaliger Leiter des russischen Antidoping-Labors und mitverantwortlich für das staatliche gelenkte Dopingsystem (Aufnahme von 2007).
    Grigory Rodchenkov, ehemaliger Leiter des russischen Antidoping-Labors und mitverantwortlich für das staatliche gelenkte Dopingsystem (Aufnahme von 2007). (sportphoto.ru)
    "Ich muss fliehen", berichtet er Fogel via Skype. Der besorgt einen Flug. "Wie werde ich wissen, dass Du es in den Flieger geschafft hast?", fragt Fogel. "Ich weiß nicht", antwortet Rodchenkov. Plötzlich ist Fogel Teil des größten staatlich-gesteuerten Dopingskandals der Olympia-Geschichte. Und der Zuschauer ist mittendrin, wo normalerweise nur einzelne Teile des Puzzles sichtbar werden.
    Das ist die Stärke der Dokumentation "Icarus", die seit heute bei Netflix zu sehen ist. Sie ist faszinierend und erschreckend zugleich.
    Fogel ist plötzlich mittendrin
    In einer späteren Sequenz sitzt Regisseur Fogel an einem Tisch mit Vertretern der Welt-Antidoping-Agentur WADA und des Internationalen Olympischen Komitees. Es ist der 20. Mai 2016. Wenige Tage zuvor hat Rodchenkov in der "New York Times" bestätigt, dass dutzende russische Sportler bei den Olympischen Winterspielen 2014 in Sotschi Teil des staatlich organisierten Doping-Programms waren. Nun zeigt Fogel den Hütern sauberer Spiele Dokumente und Tabellen, erklärt wie Dopingproben manipuliert und vertauscht wurden.
    "Es gab nie eine Doping-Bekämpfung in Russland. In keiner Sportart."
    Sichtlich geschockt scheinen die WADA- und IOC-Vertreter zu erkennen, dass ihre Kontrollen versagt haben, dass der faire olympische Wettkampf an sich in Frage steht. Bitter fragt die Direktorin des Anti-Doping Labors von Montreal Christiane Ayotte über Rodchenkov:
    "Tut es ihm wenigstens leid?"
    "Wem?", fragt Fogel verblüfft zurück.
    Bedauern ist nicht zu spüren
    Nein, Bedauern erlebt der Zuschauer dieser zweistündigen Krimi-Dokumentation bei Grigory Rodchenkov nicht. Wohl aber spürt man seine Angst vor der Rache von Vize-Premier Witali Mutko und Russlands Präsidenten Vladimir Putin.