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Doping
Russland zwischen Verharmlosung und Konsequenz

Vor der Veröffentlichung des zweiten Teil des Untersuchungsberichts über Staatsdoping in Russland macht der Sport einen zerrissenen Eindruck - Doping soll künftig härter bestraft werden, doch die bekannten Vorfälle werden heruntergespielt.

von Tom Mustroph | 04.12.2016
    Das Hauptquartier des russischen Olympischen Komitees in Moskau am 19. Juli 2016.
    Das Hauptquartier des russischen Olympischen Komitees (dpa / picture-alliance / Yuri Kochetkov)
    Wladimir Putin zeigte mal wieder eine harte Hand. Der russische Präsident unterschrieb ein Antidopinggesetz, das eine Haftstrafe von bis zu einem Jahr auch für Ärzte und Betreuer dopender Sportler vorsieht. Allerdings nur dann, wenn entweder der Sportler noch minderjährig war oder der Betreuer Druck auf den Athleten ausübte. Letzteres dürfte nicht ganz einfach zu beweisen sein. Aber immerhin stellt dieses Gesetz eine Reaktion auf den ersten Teil des McLaren-Reports über die Dopingverhältnisse in Russland dar.
    Der Report selbst wird in Russland aber heruntergespielt. Erst recht jetzt, kurz vor der Veröffentlichung des zweiten Teils. In ihm werden vor allem weitere Details zu den Vertuschungsmechanismen selbst erwartet.
    Russische Funktionäre wiegeln ab
    "Ich glaube nicht, dass da neue Sachen herauskommen", sagt lapidar Witali Smirnow, Chef der von Putin eingesetzten russischen Untersuchungskommission.
    Smirnow, immerhin Ehrenmitglied des Internationalen Olympischen Komitees, stellt auch generell die Erkenntnisse des ersten Teil des McLaren-Berichts über den systematischen Betrug infrage: "Ich weiß, dass es das nicht gab. Seit 1970 war ich Teil der Sportführung der Sowjetunion und später Russlands." Und behauptet dann kategorisch: "Es kann nicht sein, dass solche Entscheidungen ohne mein Wissen hätten getroffen werden können."
    Probleme existierten weiterhin
    Der erste Teil des McLaren-Reports legt aber nahe, dass es entweder noch ganz andere Entscheidungsgremien im russischen Sport gab oder aber dass Multifunktionär Smirnow seine Reputation kalkuliert zur Verharmlosung der Probleme einsetzt.
    Die Probleme existierten aber weiterhin – auch nach dem ersten Teil des McLaren-Reports und nachdem etliche russische Sportler gesperrt wurden. Mit vielen Tricks wurden Tests russischer Sportler verhindert. Das beklagt unter anderem Rob Koehler, von der WADA als Koordinator des neuen internationalen Testprogramms in Russland eingesetzt.
    Anzeichen eines Dopingparadieses
    "Die Sportler trainieren in extra Sportstädten. Wir haben keinen Zugang zu ihnen. Wir diskutieren das mit dem Ministerium seit Februar/März. Es wurde immer gesagt, dass das Problem gelöst wird. Es muss endlich gelöst werden", sagt Koehler. "Es sind nicht viele Athleten dort, aber selbst einer ist zuviel, der nicht getestet werden kann."
    Um etwa ein Dutzend Sportler aus dem nationalen Test-Pool, die auf diese Art und Weise jedwede Trainingskontrolle für sich verhindern können, handelt es sich laut Koehler. Anzeichen eines Dopingparadieses.
    Auch einzelne russische Sportverbände mauern. "Wenn sie uns die Listen der Trainingslager und der Wettkämpfe geben, dann liefern sie das entweder im allerletzten Moment oder gar nicht. Wir müssen das ändern, damit man die Tests rechtzeitig planen und korrekt durchführen kann", sagt Koehler.
    Personal fehlt
    Das Kuriose ist: Wenn die Informationen rechtzeitig kämen, dann würde es an Personal für die Tests fehlen. Das ist schon jetzt ein Engpass, klagt Nicole Sapstead, Chefin der britischen Antidopingagentur UKAD. Die britische Agentur ist von der WADA mit den Tests in Russland beauftragt worden.
    "Man kann ja keine Briten oder Personen anderer Nationalitäten einfach so nach Russland bringen", sagt Sapstead. "Visa sind notwendig und die Kontrolleure müssen auch die Landessprache beherrschen. Man muss also lokale Leute einsetzen. Wir greifen dabei auf kommerzielle Anbieter zurück. Die aber waren nicht für solch ein Dopingkontrollprogramm vorbereitet, wie wir es jetzt durchführen wollen."
    Weniger Kontrollen
    Resultat all der offensichtlichen Malaisen ist: In Russland wird derzeit sogar weniger kontrolliert als in den Zeiten, in denen das Sportministerium gemeinsam mit dem Geheimdienst positive Proben verschwinden ließ.
    Rein zahlenmäßig stand das Moskauer Labor in den letzten Jahren nicht einmal schlecht da. Mehr als 15.000 Kontrollen führte es im Jahr 2014 durch - weltweit Platz fünf hinter Los Angeles, Köln, Salt Lake City und Peking. Die Trefferquote von 0,84 Prozent positiven Proben war im Laborvergleich auch nicht übel. Köln etwa lag bei 0,91 Prozent.
    Beim Moskauer Ergebnis kommt hinzu: Laut McLaren-Report wurden zahlreiche positive Proben vertuscht. ohne Eingriffe von oben hätte die Bilanz vielleicht sogar richtig gut ausgesehen.
    WADA fordert Unabhängigkeit der RUSADA
    Welche Proben noch alles manipuliert wurden, möchte natürlich auch WADA-Koordinator Bob Koehler gern herausfinden. Sein Problem: Er kommt für Nachtests noch immer nicht an die alten Proben heran. "Das Labor ist versiegelt durch die polizeiliche Ermittlung. Da hat niemand einen Zugang", sagt Koehler.
    Das immerhin will Smirnow - der russische Funktionär und neue Antidopingbeauftragte - ändern, glaubt Koehler: "Die Wahrheit ist: Er sorgt schon für einen Unterschied. Es passiert etwas. Er treibt die Dinge voran. Wir sind froh, dass er dabei ist."
    Der wichtigste Schritt für WADA-Mann Koehler ist aber, dass nicht ein starker Mann mit direktem Zugang zu Präsident Putin ein paar Hindernisse aus dem Weg räumt, sondern dass ein unabhängiges Kontrollsystem aufgebaut wird.
    "Was auf alle Fälle geändert werden muss, ist die Struktur. Die RUSADA muss unabhängig handeln können und nicht täglich dem Ministerium Bericht erstatten. Die Finanzierung darf nicht an Bedingungen geknüpft sein. Das Budget kann von der Organisation nach eigenem Ermessen eingesetzt werden. Wir brauchen die Unabhängigkeit der RUSADA. Das hat die allerhöchste Priorität."