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Zeit des Verschwindens

John von Düffel kommt durch die Hotelhalle und - woher wohl? Aus dem Pool. Wir wissen es aus Tageszeitungen und Magazinen: John von Düffel schwimmt. Mit Leidenschaft. Nicht von ungefähr heißt und handelt sein erster, positiv aufgenommener Roman auch "Vom Wasser".

Brigitte Neumann | 23.06.2000
    Wegen des zweiten treffen wir uns heute. Bei dem ist das Echo eher verhalten. Und der Roman."Zeit des Verschwindens" scheint die Kritiker zu polarisieren. Manche meinen, man solle Düffel am Schreibtisch festbinden. Andere attestieren ihm, eine flache Geschichte geschrieben zu haben, gemischt aus Pathos und Banalität.

    "Zeit des Verschwindens", ein Roman, der auch "Die Rache des Zwergs" hätte beißen können, handelt von einem Vater, der seiner Familie verlorengeht. Und dabei irgendwie auch sich. Ein Geschäftsreisender, immer unterwegs in einem Auto, der Angst hat, seinem kleinen Sohn zu begegnen. "Das Abschreckende ist, er ist mir vollkommen fremd, und er sieht aus wie ich", denkt der Vater. Er war schon lange nicht mehr zuhause.

    "Die Rache des Zwergs" könnte von Düffels.'Buch gut heißen, denn das stumme Entsetzen des Sohnes löst im Vater endlose Rechtfertigungssuaden aus, die ihn immer ein wenig tiefer in den Morast dieses Konflikts ziehen.

    John von Düffel mit einer Passage aus dem Buch "Zeit des Verschwindens":

    "Es ist mein Vorteil, daß ich erfahrener bin im Sagen von Dingen, die ich nicht meine. Ich bin in fast allen Situationen schon einmal gewesen und habe für jedes Problem ein paar Sätze parat. Auch wenn ich nicht weiter weiß, bin ich immer noch in der Lage, weiterzureden. Es ist unaufrichtig, ich spare das. Nicht, daß ich lügen werde. Ich sage nicht die Unwahrheit, ich sage Nichtssagendes, aber ich rede mich damit heraus. Es ist mir zuwider. Das Gefühl, nur sagen zu können, was alle sagen. Aber ich weiß nicht anders zu helfen und lasse die Sprache sprechen. Ich bin wieder ganz der Erwachsene, fülle den Raum mit Erwachsenenrede. Die Ordnung ist wiederhergestellt. Meine Hilflosigkeit bleibt davon unberührt."

    Hier könnte eine wirklich interessante Geschichte anfragen Aber bei John von Düffel bleibt sie an dieser Stelle stehen. Und dann beginnt er zur Irritation des Lesers noch einen zweiten Handlungsstrang. Die Geschichte von Christina und ihrer toten Schwester. Plot 1 und Plot 2 kommen am Ende zusammen und enden in einem Auteunfidl.

    Gerade mit John von Düffels Erzähltalent hätte "Zeit des Verschwinde'nss"' ein gutes, wichtiges Buch werden können. Denn von Düffel kann seine Figuren sehr genau zeichnen, kommt beim Erzählen ganz nah an sie heran, fast unangenehm nah. Manchmal scheint er sie auch in Formalin einzulegen, damit er sich alles ihnen in Ruhe anschauen kann. Aber diesmal wird es nichts, weil der Vater sein Versagen, seine Angst nur rationalisiert, weglügt, um nur ja nicht von seiner Sehnsucht und von seinem Kind behelligt zu werden. Und dabei bleibts.

    Das ist schade, denn das Vater-Sohn-Thema ist für John v. Düffel ein grundlegendes, das er in vielen seiner Theaterstücke oder in Hörspielen bereits aufgegriffen hat, noch bevor er sich an seinen zweiten Roman machte.

    "Bei "Zeit des Verschwindens" ist es so, dass für mich die Perspektive des Vaters viel wichtiger geworden ist, weil es die kompliziertere Perspektive ist. Weil man im Sohn nicht nur den Rivalen, den Konkurrenten hat, sondern auch ein Wesen, das man beschützen und bewahren möchte - und dass es ein sehr widersprüchlicher Kampf, weil er nicht nur mit Hass, sondern auch mit sehr viel Liebe geführt wird, und weil es ein Kampf ist, auf dem man gleichzeitig Täter und Opfer ist Es ist irgendwie ein Stoff, von dem ich immer weiß, dass er mir nahe gehen wird."

    Ein klassischer Stoff, schon zu Zeiten Schillers, Goethes und Kafkas als Konflikt erkannt, und auch im Jahr 2000 ist das Verschwinden des Vaters noch ein privates Massenphänomen mit großen, auch gesellschaftspolitischen Folgen.

    Alexander Mitscherlich hat sie 1963 in seinem Buch "Auf dem Weg zur vaterlosen Gesellschaft" beschrieben: Rechtsradikalismus, Atominsierung der Gesellschaft, massenhafte Suchtproblematik.

    Düffels "Zeit des Verschwindens" hätte ein Buch werden können über den Vater auf der Flucht, der mit seiner Angst vor Liebe kämpft. Leider ist es nur ein zäh dahinfließendes Werk über lebende Leichen geworden.

    "Ich bin zufrieden," sagt der Vater am Ende zu sich. "Ohne Zorn kann ich feststellen, daß ich alles dafür getan habe, um systematisch um mein Leben betrogen zu werden. Ich vermisse es fast gar nicht."