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Porträt einer Familie

Erich Hackl ist ein Chronist des Unrechts. Sein neues Buch handelt von deutschen Widerstandskämpfern und erzählt die Geschichte von drei Generationen der deutsch-österreichischen "Familie Salzmann".

Von Eva Pfister | 02.02.2011
    "Eine Erzählung aus unserer Mitte" nennt Erich Hackl seinen neuen Roman, der in den 20er-Jahren einsetzt und bis in unsere Gegenwart reicht. Zuerst folgen wir Juliana Sternad auf ihrer Wanderschaft als Dienstmagd aus einem Dorf in der Steiermark nach Bad Kreuznach, wo sie den Kommunisten Hugo Salzmann heiratet. Im November 1932 kommt der kleine Hugo zur Welt, mit ihm wird Juliana ihrem Mann ins Exil nach Paris folgen und sein Schicksal von Illegalität, Verhaftung und Gefängnis teilen. Während aber Hugo Salzmann, der nicht jüdischer Herkunft ist, auch wenn dies sein Name vermuten lässt, das Zuchthaus im hessischen Butzbach überlebt, kommt Juliana ins Konzentrationslager Ravensbrück, wo sie kurz vor Kriegsende an Bauchtyphus stirbt.

    Erich Hackl konnte für seinen neuen Dokumentarroman "Familie Salzmann" auf mehrere Quellen zurückgreifen. In Koblenz wie auch in Graz haben sich Historiker mit der Geschichte der Familie beschäftigt. Zudem konnte er sich auf autobiografische Aufzeichnungen von Hugo Salzmann stützen, der über seine Erfahrungen im Exil und in deutscher Gefangenschaft berichtet.

    "Er versucht in diesen autobiografischen Aufzeichnungen seinen Seelenzustand im Moment, den er gerade schildert, wiederzugeben, auch in der Art, wie er darüber schreibt, dieses etwas Gehetztes, es verrät eigentlich eine große literarische Begabung, das muss ich sagen, und mich hat manches sehr bewegt, unter anderem auch dieses Bewusstsein, das er evoziert, das er damals gehabt hat, während er in einem Arrestwagen durch ganz Deutschland geschleppt wurde, so vereinzelt zu sein, er schreibt einmal, das habe ich auch zitiert: dieses kleine Häufchen Widerstandskämpfer, und auch das Verzweifeln darüber, dass die deutsche Zivilbevölkerung so gar nicht reagiert, dass sie völlig tatenlos ist."

    Im Zentrum des Romans von Erich Hackl steht der Sohn des verfolgten Kommunisten Hugo Salzmann, der von seinem Vater den Namen hat, sonst aber wenig von ihm mitbekam. Denn Salzmann war ein Kämpfer, der im Widerstand nie den Mut verlor, – der jedoch wenig Wärme und Zuneigung für seinen Sohn übrig hatte. Erich Hackl vermeidet es, den Vater zu verurteilen, berichtet aber vorwiegend aus der Perspektive des Sohnes. Denn es war Hugo Salzmann junior, der dem Autor die Geschichte erzählt hat, und zwar, wie Hackl schreibt: "in der Hoffnung, dass ich sie mir zu Herzen nehme".

    Drei Jahre lebte Hugo mit seiner Mutter in Paris. Als Frankreich besetzt wurde und die Eltern erneut fliehen mussten, wurde er bei verschiedenen Familien untergebracht, bis er mithilfe des Roten Kreuzes zu Tante Ernestine in die Steiermark gelangte, in einem erbärmlichen Zustand, wie der Roman anschaulich schildert:

    "Ich stelle mir vor, wie erschrocken sie war über Hugos seelische und körperliche Verfassung, dass sie sich aber nichts anmerken ließ. Sie zog ihn an sich, wann immer ihr danach war, redete munter drauflos, und mit der Zeit entlockte sie ihm sogar die eine oder andere einsilbige Antwort. Den ersten vollständigen Satz bildete er nach vier oder fünf Tagen, wobei er auf das Kreuz über der Küchentür zeigte und mit rauer Stimme, als müsse er das Sprechen mühsam erlernen, fragte: Was hängt denn da für'n Mann druff? Da ahnte Ernestine, dass es nicht leicht sein würde, sich mit ihm gegen die ewig frömmelnde, zugleich martialisch gestimmte Dorfgemeinschaft zu behaupten."

    Beispielhaft zeigt sich in diesem kurzen Ausschnitt Erich Hackls Schreibweise. Manchmal referiert er sachlich, was ihm erzählt wurde, oder er zitiert Briefe, oft tritt ein Autoren-Ich auf und schafft zusätzliche Distanz. Aber im nächsten Moment springt der Text wieder in eine Szene oder in den Kopf einer Figur hinein. So mischt Hackl im Roman durchgängig die Erzählhaltungen und Perspektiven.

    "Das scheint mir auch wichtig, weil es mir vorkommt, als würde ich mit offeneren Karten spielen. Es sind ja immer Versionen, die ich letztendlich nur anbieten kann. Und dann eben, wenn ich auch vorkomme, wo man immer noch diskutieren kann, ist das Ich jetzt der Erzähler oder ist es der Autor - das bin schon ich, nur es ist halt ein Ich mit meiner literarischen Sprache -, dann sollen die Leser auch die Gelegenheit haben zu erkennen, das ist halt immer ein Angebot einer Version, die der Autor ihnen gibt."

    Erich Hackl hat Germanistik und Hispanistik studiert; er übersetzt aus dem Spanischen und lebt in Wien und Madrid. Hat er die Vorbilder für seine Dokumentarromane in der spanischen Literatur gefunden?

    "Ursprünglich schon, wenn man an die ganze Traditionskette der Testimonialliteraturen - novela testimonia in Lateinamerika – denkt, mit den Romanen des Ethnologen Miguel Barnet in Kuba, dann diese verschiedenen Testimonio-Bücher von Leuten, die selbst, das was sie beschreiben, auch erlebt haben, und dann natürlich auch den Argentinier Rodolpho Walsh, den ich jetzt auch übersetzt habe, nämlich gerade das Standardwerk für diese Art von Literatur, die politisch einzugreifen versucht, die deutsche Ausgabe trägt den Titel "Das Massaker von San Martín"."

    Doch die meisten dieser Bücher bleiben näher bei der Reportage als die von Erich Hackl, der sich zwar an den Fakten orientiert, aber diese in eine literarische Form bringt. Er hat sich darum zunehmend an anderen Vorbildern orientiert, etwa an der polnisch-jüdischen Autorin Hanna Krall, und vor allem an Schriftstellern aus Deutschland:

    "Es gibt da so eine Tradition des chronikalen Erzählens, wenn wir denken an die Erzählungen von Heinrich von Kleist zum Beispiel, an die Kalendergeschichten von Johann Peter Hebel, an die von Bert Brecht, an die Erzählungen von Anna Seghers, und dann an einige Autoren wie der Erzähler wie Guntram Vesper zum Beispiel, also ich suche diese Art von Literatur und die ist tatsächlich immer dünner gesät."

    An die Sprache Kleists erinnern tatsächlich manche Passagen in Hackls Büchern, oft die Anfänge, die mit schwungvollen Sätzen in die Situation hineinführen, oder wenn er aufs Tempo drückt und die Handlung so lakonisch wie anschaulich vorantreibt. Im neuen Roman kommt dies allerdings seltener vor. Die Geschichte der Familie Salzmann wird detailliert und mit vielen - fast zu vielen - Nebenfiguren ausgebreitet, denn Hackl war es auch ein Anliegen zu zeigen, wie viele Menschen trotz allem den Nationalsozialisten Widerstand leisteten.

    1948 kam Hugo Salzmann zum Vater nach Bad Kreuznach, wo er aber sich selbst überlassen blieb und in seiner Not in die DDR auswanderte. Zwölf Jahre hielt er es dort aus, dann kehrte er mit seiner Frau nach Österreich zurück, wo er noch heute lebt.

    Das bittere Ende der "Erzählung aus unserer Mitte" spielt jedoch in den 90er-Jahren. Hugos Sohn Hanno arbeitet in Graz bei einer Krankenkasse, und weil er einmal erwähnt, dass seine Großmutter im KZ umgekommen sei, glauben die Kollegen, dass er Jude sei und beginnen ihn auf das Bösartigste zu mobben. Der Konflikt spitzt sich zu, es kommt zu einer Kündigung - und zwar der von Hanno Salzmann! Auch in seiner nächsten Arbeitsstelle muss er solche Anfeindungen erleben, immerhin werden dort die Kollegen zur Rechenschaft gezogen.

    "Aber es ist sozusagen ein sehr prekäres Gleichgewicht, das glaub' ich schon; er selbst ist zurzeit in einem recht guten Zustand, also er hat eine bestimmte Selbstsicherheit zurückgewonnen, und ich glaube, Hanno ebenso wie sein Vater sind auch durch das Erscheinen der Erzählung ein wenig gefestigter worden auch in ihrer Haltung, weil die Erzählung als solche für sie etwas ist, das ihnen zeigt, dass sie nicht ganz alleine sind."

    Damit benennt Erich Hackl den Antrieb für sein Werk. Er schreibt für die Menschen, über die er berichtet. Vielen bisher kaum bekannten Schicksalen, die oft nur als Dokument in einem Archiv existierten, hat er mit seinen Texten ein Denkmal geschaffen: Verfolgten des Nationalsozialismus ebenso wie Opfern der Militärdiktatur in Argentinien, österreichischen Kommunisten, die im Spanischen Bürgerkrieg waren, oder eben deutschen Widerstandskämpfern und ihren Nachkommen. Indem er das real geschehene Unrecht benennt, will er in die Realität eingreifen.

    "Ausgehend von der Art von politisch engagierter Literatur, die es in meiner Jugend gab, und die mir ungenügend scheint, hab ich schon die Idee gehabt, es geht darum, diesen politischen Anspruch nicht fallen zu lassen, den gesellschaftlichen und zwar diesen unmittelbar eingreifenden, nicht aus einer Geschichte einen fiktionalen Text zu machen, wo man sagt, na gut, so was gibt's, aber - Sondern es ist für mich bindend und verbindlich, und das Einzige, was ich mir als Ziel ausrechnen kann, ist, dass ich den Menschen, über die ich schreibe, dass ich ihnen zumindest literarisch Gerechtigkeit widerfahren lasse, nachdem die andere Gerechtigkeit ihnen gegenüber versagt hat."

    Erich Hackl: Familie Salzmann. Erzählung aus unserer Mitte. Diogenes Verlag, Zürich 2010, 192 Seiten, 19,90 Euro.