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Menschen im Stau

Nirgendwo lassen sich Geschichten leichter spinnen und Stimmungen farbiger zeigen, als bei einer Taxifahrt. Tür auf, Tür zu und schon sind Lebenssituationen von Menschen miteinander verbunden, deren Leben vom selben Radiosender in Belgrad bestimmt wird.

Von Josef Schnelle |
    "Hallo, Belgrad. Uh, was für 'n Wetter. An alle im Stau: Bloß nicht durchdrehen!"

    Das ist leicht gesagt, wenn man im Stau steht auf der Brücke, die den historischen Altstadtkern von Belgrad mit den Plattenbauwohnvierteln von Neu-Belgrad verbindet und nichts geht mehr. An diesem Tag wird der beliebteste Radiosender wieder sein nostalgisches Musikprogramm herunterspielen und ständig daran erinnern, dass er nur noch ein paar Tage auf Sendung ist. Für den aus Bosnien stammenden Gavrillo ist das schon Grund genug für schlechte Laune. Und dann steigt auch noch eine junge Frau mit gebrochener Nase und einem kleinen Baby ins Taxi.

    Junge Frau: "Haben Sie mal ein Taschentuch?"

    Gavrillo: "Hab ich nicht. Was soll das. Bist Du verrückt oder was. Du versaust mir ja den ganzen Bezug. Hee... Was iss 'n los. Wo willst Du hin. Warte. Warte Mal. He!"

    Andere Frau: "Halt an. Da ist jemand runtergesprungen. Anhalten hab ich gesagt."

    Mann: "Hör damit auf, wenn ich fahre."

    Gavrillo: "Was um Gottes willen hat die Frau da nur getan? Das gibt's nicht. Das gibt's doch nicht."

    Sie haben richtig gehört. Die Frau ist einfach von der Brücke in die Save kurz vor ihrer Mündung in die Donau gesprungen. Ihr Kind hat sie zurückgelassen und auch die Lebenskrisen zweier Frauen in den Autos hinter dem Taxi hat sie dabei zugespitzt. Der Film folgt nun den Geschichten dieser vier Figuren, verknüpft sie kunstvoll und strickt daraus einen atmosphärischen Teppich aus dem Alltag des heutigen Belgrad in der Transitionsperiode zwischen lähmender zeitgeschichtlicher Hypothek aus den Jugoslawienkriegen und neu erwachter Zukunftshoffnung. Solche Patchworkgeschichten sind modern und sie knirschen immer ein bisschen an den Handlungsscharnieren: Wer trifft wen und weswegen gerade jetzt. Schließlich gibt es keine noch so tolldreiste Wendung, die man nicht ins Taxi verlegen könnte. Tür auf, Tür zu und schon sind Lebenssituationen miteinander verbunden, die gar nichts miteinander zu tun haben. Andererseits kann man mit diesem alten Drehbuchtrick auch einen guten Überblick über eine Gesellschaft bekommen. Srdjan Koljevic – einer der viel versprechensten jungen Autoren des neuen serbischen Kinos versteht davon eine ganze Menge. Schließlich schrieb er die Drehbücher zu sieben der wichtigsten Filme seines Landes in den letzten zehn Jahren. Einmal hat er auch schon Regie geführt. In "Der rot angemalte graue Lastwagen", der viele Festivalpreise gewonnen hat, ging es 2004 – Tür auf, Tür zu – um ein anderes Vehikel mit roter Plane und um eine Reise durch die serbische Nachkriegsgesellschaft. Koljevic ist ein großartiger Szenenschreiber und er weiß wie man den Wandel, der sich gerade ankündigt, in eine spannende Story verpackt. In den Ruinen der Vorstadt verstecken sich aber noch immer die alten Vorurteile. Das zeigt sich zum Beispiel, als Gavrillo nach langer Suche und putzigen Versuchen mit dem Baby alleine zurechtzukommen, "Die Frau mit der gebrochenen Nase" – so übrigens der Originaltitel des Films - in einem Krankenhaus aufspürt und zu sich nehmen will:

    Nachbar: "He Bosnier, was soll denn das werden?"

    Gavrillo: " Ist 'ne Verwandte."

    Nachbar: "Wie schleppst Du jetzt Deine Familie hier an, oder was?"

    Anderer Nachbar: "He lass gut sein. Du siehst doch, was hier los ist."

    Nachbar: "Mir egal. Die wollen alles. Ob Kosovaren, Chinesen, Bosnier und diese Montenegriner. Aber hier auf meinem Hof bestimme ich."

    Gavrillo: "Sie bleibt nicht ewig. Nur bis sie wieder fit ist."

    Nachbar: "He Bosnier , verkauf mir Deine Pistole."

    Gavrillo: "Ich verkaufe keine Waffen."

    Natürlich birgt das Chaos dieser Geschichte den Zauber eines Neuanfangs in sich, vielleicht enthält es sogar mehrere Liebesgeschichten. "Belgrad Radio Taxi" hat durchaus Schwächen mit den extrem überraschenden Wendungen, die Koljevic seiner Story zumutet. Aber er enthält eine Botschaft, genau gesagt mehrere Botschaften aus einer fremden verschlossenen Welt, die gerade jetzt Anschluss sucht an Europa. Die Nähe zum Episodischen der Seifenoper ist dabei durchaus genutzt als augenzwinkernd eingesetztes Stilmittel. Es gibt eben keine Botschaft, die man nicht ins Taxi setzen könnte und auf den Weg schicken zu neuen Bestimmungsorten.