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Menschheit
Afrikas Bevölkerung wächst drastisch

Demographie. - Lange glaubten Experten, dass sich das explosive Bevölkerungswachstum zur Mitte des Jahrhunderts abschwächt und um 2100 neun Milliarden Menschen auf der Erde leben werden. Experten der UN und der University of Washington gehen in ihrer Analyse hingegen nun um ein fast unvermindertes Bevölkerungswachstum bis mindestens Ende des Jahrhunderts aus.

Von Dagmar Röhrlich | 19.09.2014
    Das wichtigste Resultat vorneweg: Im Jahr 2100 sollen zwischen 9,6 und 12,3 Milliarden Menschen auf der Erde leben. Das ist ein Drittel mehr als heute - und es sind ein bis zwei Milliarden mehr als bislang angenommen
    "Die Weltbevölkerung wird wohl während des gesamten Jahrhunderts immer weiter wachsen. Bislang dachten wir, der Höhepunkt werde Mitte des Jahrhunderts erreicht. Danach sollten die Zahlen abnehmen. Das erscheint nun unwahrscheinlich."
    Adrian Raftery ist Professor für Statistik und Soziologie an der University of Washington in Seattle. In die neue Schätzung gingen die aktualisierten Bevölkerungsdaten der Vereinten Nationen ein. Vor allem aber wandten die Wissenschaftler die sogenannte Bayes'sche Statistik an, bei der Datenunsicherheiten stärker einfließen als bei bisherigen Verfahren.
    "Diese statistische Methode ist noch nie für die Berechnung der Weltbevölkerung eingesetzt worden. Mit ihr können wir erstmals etwas zur Zuverlässigkeit unserer Schätzungen sagen: Am wahrscheinlichsten ist es, dass die Weltbevölkerung im Jahr 2100 bei 11 Milliarden liegen wird. Mit einer 80prozentigen Wahrscheinlichkeit werden die Bevölkerungszahlen zwischen 9,5 und 12,3 Milliarden liegen. Dabei wird die Bevölkerung Asiens kaum zunehmen: von heute 4,4 auf fünf Milliarden. Mitte des Jahrhunderts werden sich die Zahlen dort stabilisieren, vielleicht sogar abnehmen. Nordamerika, Europa und Lateinamerika werden zusammen unterhalb der Schwelle von einer Milliarde bleiben:
    Mindestens 3,5 Milliarden Menschen in Afrika
    "Der Hauptgrund für den Anstieg ist die Entwicklung in Afrika. Dort lebt heute rund eine Milliarde Menschen. Diese Zahl wird sich wohl vervierfachen, wir erwarten dort vier Milliarden, mindestens jedoch 3,5."
    Ursprünglich hatten die Experten erwartet, dass sich die Fertilitätsrate in Afrika ähnlich wie die in Asien oder Südamerika entwickeln und deutlich zurückgehen würde. Diese Hoffnung erfüllte sich nicht. Im Gegenteil: In einigen Ländern kam der Rückgang zum Erliegen. Überhaupt sind es die Ländern südlich der Sahara, in denen der größte Zuwachs erwartet wird, erklärt John Wilmoth, Direktor der UN Population Division in New York:
    "Wir benennen mehrere Beispiele wie Nigeria, Äthiopien, die Demokratische Republik Kongo oder Niger, wo die Familien immer noch sehr groß sind, sich die Menschen viele Kinder wünschen und es nur begrenzt Zugang zu modernen Verhütungsmitteln gibt. In diesen Ländern gibt es große soziale Probleme, auch mit Bezug auf die Stellung der Frauen in der Gesellschaft und die Ausbildung, die sie erhalten."
    Alterung außerhalb Afrikas
    Hoffnung, dass sich in Afrika die Lage noch entspannen könnte, haben die Experten nicht. Außerdem steht der Rest der Welt vor ganz anderen Herausforderungen.
    Adrian Raftery: "Außerhalb Afrikas ist wohl die Alterung der Bevölkerung die wichtigste Entwicklung. In Deutschland liegt das Verhältnis von Arbeitnehmern zur Rentnern bei etwa 3:1. Im Jahr 2100 soll es bei knapp 1,5:1. Wir erwarten Ähnliches aber auch für die Schwellen- und Entwicklungsländern außerhalb Afrikas. In Brasilien, wo heute auf neun Arbeitnehmern ein Rentner kommt, werden es dann 1,5:1 sein werden, in Indien ebenso."
    Extremer sei die Lage in einigen Ländern Osteuropas und in kleinen Inselstaaten, erklärt John Wilmoth:
    "Dort geht die Bevölkerungsabnahme aufgrund einer geringen Fertilität einher mit einer hohen Auswanderung. Die Probleme mit Bevölkerungsrückgang und Alterung der Gesellschaft sind komplexer und schwieriger zu lösen."
    Auch, weil es bislang keine historischen Erfahrungen gebe, die in solchen Situationen helfen könnten.