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Miegel: Rente hat keine Zukunft

Aus Sicht des Rentenexperten Meinhard Miegel hat die gesetzliche Rentenversicherung in Deutschland keine Zukunft. In etwa 20 bis 25 Jahren werde ein Rentner weniger Bezüge herausbekommen als er an Beiträgen einbezahlt habe, sagte Miegel, Direktor des Bonner Instituts für Wirtschaft und Gesellschaft. Damit werde es sehr schwierig, das System politisch zu rechtfertigen.

17.07.2006
    Gerd Breker: Herr Miegel, ist das so, werden immer mehr junge Leute weniger rausbekommen, als sie einzahlen?

    Meinhard Miegel: Also eines steht fest: Je jünger ich bin, desto schlechter sind meine Chancen, aus dem System herauszubekommen, was ich in das System eingezahlt habe, und wenn ich besonders jung bin, das heißt also nach dem Jahre 1970 geboren worden bin, dann ist es so, dass zumindest Männer nicht mehr herausbekommen, was sie eingezahlt haben. Bei den Frauen sieht es etwas günstiger aus, weil sie eine längere Lebenserwartung haben und deshalb länger Rente beziehen. Aber alles in allem sind die Zeiten vorbei, wo man sagen könnte, dass die gesetzliche Rente eine Vorsorgeform ist, die mit irgendwelchen anderen Vorsorgeformen, Sparen, Zinsen und allem, was damit zusammenhängt, konkurrieren könnte.

    Breker: Lassen Sie es uns erst einmal deutlicher machen. Wer bekommt denn noch überhaupt eine Rendite?

    Miegel: Ja, eine Rendite bekommen die heutigen Rentner, Menschen, die im Jahre 1935, 1940 oder 1945 geboren worden sind, die haben Beiträge einbezahlt und bekommen heute, wenn man ansieht, was sie einbezahlt haben, doch erheblich mehr heraus als das, was sie einbezahlt haben. Sie haben eine Quasiverzinsung, eine wirkliche Verzinsung ist es ja nicht, weil das Geld ja nicht angesammelt worden ist, von 3, 3,5 bis zu 4 Prozent. Und das geht dann kontinuierlich nach unten. Wer im Jahre 1950 geboren worden ist, der hat noch eine hypothetische Rendite von vielleicht einem Prozent, und, wie ich eben schon angedeutet habe, wer nach 1970 geboren worden ist, hat auch diese Rendite nicht mehr, und das kippt dann ins Negative.

    Breker: Das kippt ins Negative, und genau dies, so sagt der Präsident des Bundesverfassungsgerichtes Hans-Jürgen Papier, genau dies wird dann eine Problemzone. Was meint er damit?

    Miegel: Damit meint er, dass die Rente bisher immer angesehen worden ist als eine Vorsorgeform, die ähnlich wie das Eigentum geschützt ist, dass man also den Menschen nicht etwas wegnehmen kann, was sie in das System eingezahlt haben. Bisher war man immer der Auffassung, solange Nominalbeträge ausbezahlt werden, die so hoch sind wie die einbezahlten Beiträge, dann ließe sich dieses System auch noch verfassungsrechtlich halten. Aber Herr Papier hat jetzt doch deutlich gemacht, dass das wohl nicht ausreichen wird, sondern dass schon das, was real eingezahlt worden ist, also die Kaufkraft, wieder ausbezahlt werden muss im Rahmen der Renten. Und wenn das nicht gewährleistet ist, dann ist das eine Form der Enteignung, dann habe ich viel Beiträge eingezahlt und bekomme, gemessen an diesen Beiträgen, wenige Leistungen in Form von Rente zurück.

    Breker: Würde das bedeuten, dass, wenn einer gegen dieses System klagt, dieses System dann verfassungswidrig wäre?

    Miegel: Ja, das im Moment noch nicht, denn im Moment ist die Situation nicht eingetreten, und das Bundesverfassungsgericht kann keine hypothetischen Klagen annehmen, also was wäre, wenn ich in 20, 25 Jahren eine Rente bekäme, die nicht meinen Beiträgen entspricht. Aber sobald dieser Zeitpunkt gekommen ist, wo die Sache gekippt ist, und das ist etwa in 20 bis 25 Jahren der Fall, dann kann ich mir sehr gut vorstellen, dass Rentner oder ein Rentenberechtigter zum Verfassungsgericht geht und die Chance hat, dass ihm stattgegeben wird.

    Breker: Sie haben es eben kurz angedeutet, gegenüber anderen Vorsorgeformen ist die gesetzliche Rentenversicherung nicht von Vorteil, im Gegenteil, sie schneidet sehr schlecht ab. Würde bedeuten, wenn jemand, ein Arbeitnehmer, seine Beiträge, die er einzahlt, auf die hohe Kante legen würde, hätte er mehr?

    Miegel: So ist es. Es gibt also kaum eine denkbare Form, wo der Vorsorgende so schlecht gestellt wird wie im gesetzlichen Rentensystem. Selbst wenn er heute Festgeld anlegt, hat er eine Verzinsung von drei Prozent. Gut, da gehen die Inflationsraten ab, dann muss man vielleicht auch noch Steuern berücksichtigen, aber alles in allem komme ich mit praktisch jeder Vorsorgeform besser heraus als im gesetzlichen Rentensystem.

    Breker: Und das gesetzliche Rentensystem, da wird die Situation ja eigentlich noch zugespitzt, denn wir erwarten ja im nächsten Jahr eine Steigerung der Beiträge um 0,4 Prozent, die zu zahlen sind. Ab dem Jahr 2008 ist die Rede davon, dass die Beiträge auf über 20 Prozent steigen könnten. Das wird ja nicht besser, es verschlimmert sich.

    Miegel: So ist es. Das sind alles Entwicklungen, die auch im letzten Rentenbericht nicht berücksichtigt worden sind. Das heißt, man ist bis zur Stunde davon ausgegangen, dass die Beiträge einige Zeit lang stabil gehalten werden können. Das ist jetzt schon wieder alles ins Rutschen gekommen, und, wie Sie eben gesagt haben, das spitzt die Lage noch zu.

    Breker: Bernd Raffelhüschen rechnet aus, dass die Bruttorente von ihrem Niveau her Richtung Sozialhilfe geht.

    Miegel: Dem stimme ich zu. Der durchschnittlich Versicherte, also ein Mensch, der ein Durchschnittseinkommen über einen langen Zeitraum, über 45 Jahre bezieht, wird in 30, 35 Jahren einen Rentenanspruch haben, der zwei Finger breit über der Sozialhilfe liegen wird. Das heißt, die Sache verliert auch ihre Einsichtigkeit. Warum soll ich über Jahrzehnte hohe Beiträge abgeführt haben, um dann so versorgt zu werden, wie jemand, der gar nichts getan hat und einen Grundsicherungsanspruch hat?

    Breker: Daraus ergeben sich zwei Fragen, Herr Miegel, mit Bitte um eine kurze Antwort: Die eine ist, was machen wir dann mit dem Rentensystem, und das andere ist, was macht denn der Junge, der nach 1970 geboren ist und der für das Alter vorsorgen will?

    Miegel: Ja, das bedeutet für das Rentensystem, wenn es seine Einsichtigkeit verliert, dass es sehr schwierig sein wird, es politisch zu halten. Es wird dann ein reines Umverteilungssystem, das könnte man auch über Steuern finanzieren. Und dem jungen Menschen ist zu sagen, du musst außerhalb dieses Systems Vorsorge treffen, und zwar in ganz erheblichem Umfang, du musst etwa sechs bis acht Prozent deines Bruttoeinkommens auf die hohe Kante legen, um so versorgt zu sein wie ein heutiger Rentner.

    Breker: Im Deutschlandfunk war das der Direktor des Bonner Instituts für Wirtschaft und Gesellschaft, Meinhard Miegel. Herr Miegel, für dieses Gespräch, danke.

    Miegel: Danke ebenfalls.