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Respekt durch Fußball

Frühere Erstligaspieler aus Syrien trainieren in Berlin mit Freizeitkickern und finden so Auswege aus dem Dasein als Flüchtlinge. Sie sind Repräsentanten der syrischen Community in Deutschland. Sogar eine freie syrische Nationalmannschaft ist im Aufbau. Doch bei Ausflügen ins deutsche Schwimmbad bekommen sie Kulturtraining hautnah.

Von Tom Mustroph | 17.06.2017
    Ein Foto von Kapitän Naji (r.) und seinem Mitspieler Hamza vom Syrischen SV in Berlin-Moabit.
    Kapitän Naji (r.) und Mittelfeldtalent Hamza vom Syrischen SV in Berlin-Moabit. (Tom Mustroph / Deutschlandradio)
    "Jetzt aber... Leider ... Das dritte Tor war aber..."
    Wer hier so mitfiebert, ist Mustafa Gumrok. Der pensionierte Ingenieur kickte in jungen Jahren für den Klub Al-Arabi aus Aleppo. Jetzt hat er im Poststadion von Berlin-Moabit den Syrischen SV aus der Taufe gehoben. Das zweite Jahr schon spielt der Verein in der Berliner Bezirksliga.
    Für die Spieler bedeutet das einen Fixpunkt inmitten all der Ungewissheiten des Flüchtlingsdaseins. Und eine Spur von Heimat zugleich. Naji, seit drei Jahren in Deutschland, seit zwei Jahren im Verein und aktuell auch der Kapitän der Mannschaft: "Der syrische Verein ist ein sehr guter Verein, weil wir alle aus Syrien sind. Das spielt eine große Rolle für uns. Wir fühlen uns sehr wohl, wenn wir zusammenspielen, wir fühlen uns, als seien wir in Syrien. Das ist ein sehr gutes Gefühl."
    Kulturtraining in der Schwimmhalle
    Der Verein sorgt aber auch für Ausstrahlung über das eigene Lager hinaus. "Wir haben eigentlich immer Lob bekommen, egal wo wir spielen. Das ist unser Kapital. Denn wir wollen hier den Fußball und die syrische Community so präsentieren, dass sie mit Respekt bei den deutschen Vereinen ankommen. Das haben wir bis jetzt sehr gut geschafft", meint Vereinsgründer Gumrok.

    Er lebt seit 46 Jahren in Deutschland, hat hier den größten Teil seines Berufslebens verbracht. Und in all den Jahrzehnten immer wieder Landsleuten geholfen, Fuß zu fassen. Auch jetzt denkt er über den Fußballverein hinaus und bemüht sich, die kulturellen Unterschiede verständlich zu machen. "Ich unternehme mit ihnen auch sehr viel. Zum Beispiel Bowling, Schwimmen. Wir sind einmal mit der Gruppe schwimmen gegangen hier in dieser Schwimmhalle. Und da muss man die Reaktion sehen, wenn du mit so einer Gruppe reinkommst in die Schwimmhalle. Da stockt allen der Atem. Und das ist auch ein Prüfstein für sie, wie verhalten sie sich? Springen von der Seite - das geht nicht oder spritzen. Das nutzt man, um ihnen diese Feinheiten zu zeigen."
    Mustafa Gumrok, Gründer des Syrischen SV im Poststadion von Berlin-Moabit. 
    Mustafa Gumrok hat im Poststadion von Berlin-Moabit den Syrischen SV aus der Taufe gehoben. (Tom Mustroph / Deutschlandradio)
    Der Klub stößt an seine Grenzen
    Drei Dutzend junge arabische Männer in einer Schwimmhalle - das bedeutet kulturelles Lernpotential in viele Richtungen. Der Syrische SV ist mittlerweile so populär, dass er an Grenzen stößt. Mehr als 50 Mitglieder hat er laut Gumrok, etwa 30 Mann kommen regelmäßig zum Training. Keine leichte Aufgabe für Coach Ahmed. Er spielte bis zum Ausbruch der Revolution in Syriens 1. Liga, kickt jetzt selbst für Berlins Kultverein Türkyemspor und trainiert zwei Mal pro Woche seine Landsleute.

    Kapitän Naji übersetzt für ihn. "Er macht mit uns vier Gruppen. Und dann trainiert er jede Gruppe. Er sagt uns, was wir machen sollen. Wir wechseln dann. Und wir müssen ihm auch helfen beim Training, damit er das auch schafft."
    Ist Ahmed ein guter Trainer? "Ja, auf jeden Fall. Ja, er ist wirklich gut", sagt Naji jetzt, und Ahmed lächelt.
    Träumereien vom Profifußball
    Seine Spieler sind ebenfalls nicht schlecht. In Berlins Bezirksliga sind sie im oberen Teil der Tabelle. Und das, obwohl sie ständig rotieren. Jeder soll schließlich Spielpraxis haben. In der nächsten Saison wollen sie mit zwei Mannschaften antreten, einer in der Bezirksliga und einer in der tieferklassigen Kreisliga C. Und natürlich träumen die Spieler von mehr.
    "Hertha, Union. Und da muss man natürlich hier ein bisschen sachlich bremsen. Und sagen, versuche es erst mal bei uns, dich hier zu entwickeln. Und wenn du bekannt wirst, dann kommen die anderen zu dir, du musst nicht zu ihnen zu gehen, sie kommen zu dir", erzählt Vereinschef Mohammed Gumrok.
    Allerdings sind seine Führungsspieler realistischer, als der Chef selber glaubt. Hamza, ein Mittelfeldtalent, das seit dem 7. Lebensjahr trainiert, und Kapitän Naji, der selbst bereits in der zweiten syrischen Liga kickte, machen eine sehr bodenständige Chancenabwägung:
    Hamza: "Jeder träumt davon, ein guter Spieler zu werden. Aber man muss dafür richtig arbeiten und kämpfen."
    Naji: "Die Sache ist: Wir haben viele andere Sachen. Zum Beispiel wollen wir studieren und die Sprache lernen und ein bisschen arbeiten. Und das ist schwer, das alles auf einmal zu machen. Aber wir versuchen, dass wir es schaffen."
    Die Idee von einer freien syrischen Nationalmannschaft
    Sport spielt eine Rolle im Leben. Aber die anderen Aspekte sind den jungen Männern auch wichtig. Mancher deutsche Vereinsmeier möge von ihnen lernen. Ein ganz ambitioniertes Projekt wächst im Umfeld des Syrischen SV auch noch heran: Die Idee einer freien syrischen Nationalmannschaft.
    "Und jetzt versucht man in Deutschland so eine eine syrische Auswahl zu bilden, eine freie syrische Auswahl, und das unterstütze ich auch. Das sind Spieler aus ganz Deutschland und ich habe für sie zwei Freundschaftsspiele hier in Berlin organisiert und die kommen alle auf eigene Kosten. Sie bezahlen die Reise, übernachten hier eine Nacht im Hostel. Sind alle motiviert und spielen dann für Syrien."
    Die kürzeste Anreise hatten bei diesen beiden Spielen Naji und Hamza, die sich nun Spieler der freien Syrischen Auswahl nennen dürfen. Für den deutschen Fußball hatten diese Freundschaftsspiele übrigens auch Folgen, wie Gumrok erzählt. "Ostern haben wir beim TSV Mariendorf ein Freundschaftsspiel gemacht. Tolle Atmosphäre, da war ein Turnier und wir haben gespielt, haben unsere Meinung auch geäußert gegen das Assad-Regime, gegen den Chemieeinsatz, der zuletzt passierte. Das war ein Erfolg. Der Verantwortliche vom TSV Mariendorf hat sogar gesagt: 'Mustafa, weißt du, 8.000 Klicks auf unserer Homepage, das haben wir noch nie gehabt'."
    Syrische Fußballer sind also eine Belebung - sogar im Lande des amtierenden Weltmeisters.