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Militärschlag hat völkerrechtlich keine Legitimation

Ohne UNO-Mandat sei eine militärische Intervention in Syrien nicht rechtmäßig, sagt der Völkerrechtler Thilo Marauhn. Er fordert die Bundesregierung dazu auf, sich in der Syrien-Frage eindeutig zu äußern.

Thilo Marauhn im Gespräch mit Jürgen Liminski | 29.08.2013
    Jürgen Liminski: Ein alter Satz des frühen Völkerrechts besagte, die Macht eines Staates reiche so weit wie seine Kanonen. Diese Zeiten sind vorbei – oder doch nicht? Was sagt das Völkerrecht zu einem Militärschlag gegen Syrien? Muss die Völkergemeinschaft das Morden in Syrien beenden, kann sie das überhaupt? Gibt es eine rechtliche Grundlage für eine Intervention, oder nur eine moralische? Zu diesen Fragen begrüße ich den Gießener Völkerrechtler Professor Thilo Marauhn. Guten Morgen, Herr Marauhn!

    Thilo Marauhn: Guten Morgen, Herr Liminski!

    Liminski: Herr Marauhn, angenommen, das Regime Assad hat, wie Washington behauptet, Chemiewaffen eingesetzt und damit die Chemiewaffenkonvention von 1993 verletzt – was folgt daraus? Sieht die Konvention Sanktionen vor?

    Marauhn: Die Chemiewaffenkonvention beinhaltet ein Einsatzverbot für chemische Waffen, aber Syrien selbst ist nicht an die Chemiewaffenkonvention gebunden, weil Syrien neben sechs anderen Staaten die Konvention nicht ratifiziert hat. Allerdings sieht die Konvention auch als Sanktionsmöglichkeiten lediglich ein Überwachungssystem, verschiedene vertragsinterne Sanktionsmöglichkeiten und letztlich eine Überweisung an den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen vor.

    Liminski: In der UNO und in der internationalen Politik ist die Rede von humanitären Interventionen und der Verantwortung zum Schutz wehrloser Völker. Ist das so konkret, dass man daraus eine Pflicht zur Intervention ableiten kann?

    Marauhn: Die humanitäre Intervention ist völkerrechtlich nicht nur umstritten, sie würde auch in diesem Falle nur sehr eingeschränkt greifen, vor allem resultiert aus ihr keine Pflicht zum Eingreifen.

    Liminski: Auf den Punkt gebracht, Herr Professor, gibt es irgendeinen Paragrafen, Artikel oder einen Grundsatz, der eine militärische Intervention ohne vorhergehende Resolution des Sicherheitsrates rechtfertigt beziehungsweise legitimiert?

    Marauhn: Die Charta der Vereinten Nationen beinhaltet in ihrem Artikel zwei ein zwingendes Gewaltverbot, von dem nur aus zwei Gründen abgewichen werden kann: wenn ein Staat angegriffen wird, oder wenn der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen eine Militärintervention autorisiert. Das ist hier nicht der Fall, und solange der Sicherheitsrat keine entsprechende Autorisierung beschließt, kann rechtmäßig nicht in Syrien interveniert werden.

    Liminski: Dann ist die UNO ein zahnloser Tiger, wenn nicht alle einer Meinung sind.

    Marauhn: Die UNO ist kein zahnloser Tiger, sie hat nur aus guten Gründen vorgesehen, dass man nicht in jeder Situation auf Völkerrechtsverletzungen mit militärischen Mitteln reagieren kann. Der zweite UN-Generalsekretär Dag Hammarskjöld hat 1954 zutreffend formuliert, die Vereinten Nationen seien nicht gegründet worden, um uns in den Himmel zu bringen, sondern vor der Hölle zu retten. Und dieses Retten vor der Hölle geschieht eben gerade durch das zwingende Gewaltverbot.

    Liminski: Nun sieht die praktische Politik oft anders aus: Im Fall Kosovo und im Fall Irak reichte eine Koalition der Willigen. Ist das Kanonenbootpolitik auf höherem Niveau?

    Marauhn: Das schwächt die Vereinten Nationen, es trägt nicht dazu bei, den Weltfrieden zu wahren, und es besitzt allenfalls eine zweifelhafte Legitimität. Die Vereinten Nationen stellen ein System zur Verfügung, das schließlich auch etwa mit dem Strafgerichtshof in Den Haag Möglichkeiten beinhaltet, Verstöße gegen das geltende Recht, etwa auch gegen das Chemiewaffenverbot zu ahnden.

    Liminski: Deutschland stellt sich hinter die Amerikaner, marschiert beziehungsweise fliegt zwar nicht mit, aber eine klare Stellungnahme ist das schon. Macht Deutschland sich an einem Bruch des Völkerrechts mitschuldig, sozusagen durch verbalen Beistand?

    Marauhn: Es wäre wünschenswert, wenn die Bundesregierung eine deutliche Äußerung dahin gehend machen würde, dass sie deshalb sich nicht an einem Militärschlag beteiligen wird, solange keine Autorisierung durch den Sicherheitsrat vorliegt, weil sie das für völkerrechtswidrig hält.

    Liminski: Sie hält es für völkerrechtswidrig – reicht das? Sie meinen, sie bräuchte … es muss eine offene Erklärung her, ohne rechtliche Legitimation kein Beistand?

    Marauhn: Das wäre sehr wünschenswert, weil eben gerade auch das Völkerrecht sich weiterentwickelt durch die Praxis und die Äußerungen der Staaten, und eine klare Äußerung in einer so zentralen Angelegenheit, bei der es um Krieg und Frieden letztlich geht, wäre wünschenswert und empfehlenswert.

    Liminski: Nun gibt es den Begriff des bellum justum, des gerechten Kriegs zur Vermeidung größeren Unrechts oder zur Eindämmung und Beseitigung einer größeren Gefahr – greift das hier nicht? Man muss ja davon ausgehen, dass das Regime chemische Waffen in größerem Umfang einsetzt, wenn es nicht gestoppt wird.

    Marauhn: Die Idee des gerechten Krieges ist eine relativ alte Idee. Sie hat vor allem im 19. Jahrhundert und davor Bedeutung gehabt, seit der Gründung des Völkerbunds und erst recht seit der Gründung der Vereinten Nationen aber kann man sich auf eine wie auch immer geartete Rechtfertigung auf dieser Grundlage nicht mehr berufen, es gilt das zwingende Gewaltverbot, es gibt Möglichkeiten, andere Möglichkeiten eben, Syrien zu stoppen. Und wenn der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen eine Militärintervention beschließen würde, dann würde ja das Verdikt der Rechtswidrigkeit auch nicht mehr da sein.

    Liminski: Welche anderen Möglichkeiten sehen Sie?

    Marauhn: Es gibt durchaus politische Möglichkeiten, es gibt eben die Möglichkeit, mit einem Verfahren vor dem Internationalen Strafgerichtshof zu drohen. Die Tatsache, dass das Gewaltverbot so hoch in der Charta aufgehängt ist, hängt einfach damit zusammen, dass wir sehr unterschiedliche Gesellschaftssysteme auf dieser Welt haben, und wir nur dann miteinander auf einem Globus existieren können, wenn wir nicht bei jeder oder bei vielen Gelegenheiten militärische Gewalt anwenden.

    Liminski: Wenn eine militärische Intervention durch das Völkerrecht nicht legitimiert werden kann, kann man dann den Rebellen, wenigstens den moderateren, durch Waffenlieferungen helfen?

    Marauhn: Auch die Lieferung von Waffen in einer Bürgerkriegssituation an die Bürgerkriegsparteien ist rechtlich beschränkt. Grundsätzlich gilt, dass der Opposition keine Waffen geliefert werden dürfen. Gegebenenfalls dürfen der Regierung Waffen geliefert werden, dabei muss man aber darauf achten, dass man sich, wenn man die Regierung mit Waffen beliefert, nicht etwa einer Beihilfe zu Völkerrechtsverletzungen, beispielsweise Menschenrechtsverletzungen, schuldig macht. Grundsätzlich gilt: keine Lieferung von Waffen an die Rebellen. Das ist völkerrechtlich jedenfalls nicht gedeckt.

    Liminski: Die Macht der Kanonen und die Ohnmacht des Rechts – ein Militärschlag in Syrien hätte keine völkerrechtliche Legitimation. Das war der Völkerrechtler Thilo Marauhn von der Justus-Liebig-Universität in Gießen. Besten Dank fürs Gespräch, Herr Marauhn!

    Marauhn: Vielen Dank, Herr Liminski!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.