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Mindestlohn-Streit
Heil (SPD): Keine generellen Ausnahmen beim gesetzlichen Mindestlohn

Nur zwei Wochen nach der Unterschrift unter dem Koalitionsvertrag äußern sich Unionspolitiker kritisch zum Mindestlohn. Hubertus Heil, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, rät seiner Partei zur Gelassenheit. "Wir haben einen klaren Koalitionsvertrag, der gilt", sagte er im Deutschlandfunk.

Hubertus Heil im Gespräch mit Dirk Müller | 27.12.2013
    Dirk Müller: Unser Thema nun mit dem stellvertretenden SPD-Fraktionschef im Bundestag, Hubertus Heil. Guten Morgen!
    Hubertus Heil: Schönen guten Morgen, Herr Müller. Ich grüße Sie.
    Müller: Herr Heil, ist das schon Vertragsbruch?
    Heil: Nein! Ich bin auch dafür, dass wir das ganz gelassen sehen. Wir haben jetzt die Zeit zwischen den Jahren. Das ist gemeinhin eine nachrichtenarme Zeit. Dort gibt es Interviews, auch von Horst Seehofer. Die muss man nicht immer auf die Goldwaage legen. Wichtig ist, dass die Bundesarbeitsministerin, Andrea Nahles, einen Gesetzentwurf vorlegen wird zum gesetzlichen Mindestlohn. Und wir gehen im nächsten Jahr in die Gesetzgebung. Und es wird einen gesetzlichen Mindestlohn geben, der den Namen verdient, und das ist im Koalitionsvertrag auch verankert. Also: Gelassenheit!
    Müller: Gelassenheit fängt aber oft viel gelassen an und mündet dann doch nicht in Entspannung, sondern in Verspannung. Wer Horst Seehofer kennt, Sie kennen ihn auch, weiß das ganz genau. Es ist nicht nur Horst Seehofer; wir haben Gerda Hasselfeldt gehört, auch andere Stimmen in der CSU, auch einige in der CDU fordern das. Auch die Arbeitgeberverbände sagen, nicht alle können den Mindestlohn haben. Könnte das sein?
    Heil: Es wird einen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn in Deutschland geben, wie vereinbart. Es gibt einige Übergangsregelungen für geltende Tarifverträge, die noch eine Möglichkeit haben, weiterzulaufen. Es wird den gesetzlichen Mindestlohn aber für Millionen von Menschen zum 1.1.2015 geben. Definitiv wird es ihn auf der Höhe von 8,50 Euro geben, wenn die Tarifverträge dann ausgelaufen sind in der Übergangsfrist bis Ende 2016, 31. 12. Also noch mal: Ich bin dafür, dass wir ganz vernünftig mit der Gesetzgebung umgehen. Es wird einen Gesetzentwurf geben. Und nicht jede Interviewäußerung muss man auf die Goldwaage legen. Das gehört ein bisschen zur Folklore. Ich rate dieser Großen Koalition und meiner eigenen Partei, sich da auch gar nicht provozieren zu lassen. Wir haben einen klaren Koalitionsvertrag, der gilt, der wird auch umgesetzt.
    Müller: Aber ärgern Sie sich darüber jetzt in den Weihnachtstagen, wo viele in der Koalition sagen, sie haben auch hart mitgearbeitet an diesem Vertrag über viele, viele Wochen, da wollte man ein bisschen Entspannung haben und jetzt kommt schon das erste Störfeuer?
    Heil: Ich finde, die Entspannung darf man sich gar nicht nehmen lassen. Und ich halte es auch nicht für Störfeuer. Ich halte das für Interviewäußerungen. Wie gesagt: Gesetzgebung zählt und nicht Interviews.
    Müller: Reden wir einmal über das, was wir zumindest gehört haben vonseiten der CSU. Was ist mit Praktikanten? Wollen Sie Praktikanten 8,50 Euro zahlen?
    Heil: Also, noch mal: Es geht darum, dass wir einen gesetzlichen Mindestlohn für den Arbeitsmarkt umsetzen. Und dazu wird es Vorschläge geben. Deshalb werde ich jetzt nicht einzelne Dinge bewerten, die da geäußert werden, sondern es geht um den Gesetzentwurf, und das Gesetzgebungsverfahren beginnt im nächsten Jahr.
    Müller: Herr Heil, Praktikanten 8,50 Euro?
    Heil: Noch mal: Wir werden einen Gesetzentwurf vorlegen und ich werde jetzt nicht versuchen, an Einzelbeispielen das Ganze zu durchlöchern. Wir haben Vereinbarungen im Vertrag. Noch mal: Das zielt auf den Arbeitsmarkt, auf Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
    Müller: Das ist ja allen klar!
    Heil: Praktikantenvergütungen sind eine ganz andere Sache. Die müssen auch geregelt werden, finde ich, damit wir nicht über den Missbrauch von Praktika tatsächlich eine Durchlöcherung hinbekommen. Aber das ist nicht Kern des Mindestlohns.
    Müller: Dann haben diejenigen das alle falsch verstanden, die gedacht haben, das bezieht sich auch eventuell auf Praktika?
    Heil: Also noch mal: Wir werden die Gesetzgebung einleiten und ich finde, das Thema Missbrauch von Praktika ist auch eins. Ich bin dafür, dass wir obligatorische Vergütungen haben. Es gibt ja im Moment vor allen Dingen eine Situation von unbezahlten Praktika, die ziemlich ausgeufert haben in vielen Bereichen. Ich bin für Praktikantenvergütungen, aber die müssen anders geregelt werden als der gesetzliche Mindestlohn.
    Müller: Was bezahlen Sie in der SPD-Fraktion den Praktikanten?
    Heil: Wir zahlen in der SPD-Bundestagsfraktion als Fraktion Praktikanten Vergütungen. Ich kann Ihnen das jetzt für die Fraktion gar nicht sagen. Ich kann Ihnen sagen, dass ich das als Abgeordneter mache, nämlich in einem vernünftigen Umfang. Für Leute, die eine ordentliche Berufsausbildung haben und ein Praktikum machen, reinschnuppern wollen, gibt es ganz normale auch Eingruppierungen an dieser Stelle. Das haben wir geregelt.
    Müller: Können Sie uns eine Vorstellung geben? Was sind das, 300, 400 Euro, 500 Euro?
    Heil: Das kommt auf den Umfang des Praktikums an. Noch mal: Wenn es ein Schülerpraktikum ist, ist das was anderes als ein studentisches Praktikum. Noch mal: Ich finde, dass jemand, der eine ordentliche Berufsausbildung macht und dann ein Praktikum macht, eine anständige Praktikantenvergütung verdient. Das kann im Rahmen zum Beispiel der Höhe von Minijobs sein.
    Müller: Das heißt, wenn einer eine Berufsausbildung hat und ist dann Praktikant, hat diesen Status des Praktikanten, dann gelten für ihn nicht die künftigen Regelungen des Mindestlohns?
    Heil: Das habe ich nicht gesagt. Das müssen wir im Einzelnen regeln, aber da warten Sie bitte den Gesetzentwurf ab.
    Müller: Gering Qualifizierte, Langzeitarbeitslose, Jobsuchende ohne Schulabschluss, das sind auch Stichworte, die die Arbeitgeberverbände jetzt in die Diskussion bringen. Auch die Bundesanstalt für Arbeit sagt, die dürfen nicht so hoch bezahlt werden, wie Sie das wollen. Können Sie da mitgehen?
    Heil: Nein. Wir wollen den allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn und da darf man nicht einen Unterschied machen, was die Ausbildung betrifft, an dieser Stelle. 8,50 Euro sind nicht die Welt, sondern sind eine Untergrenze, die wir brauchen, um insgesamt das Lohngefüge tatsächlich zu stabilisieren. Wer Vollzeit arbeitet, muss von der Arbeit auch leben können. Und das ist die Maßgabe 8,50 Euro. Es geht darum, tatsächlich auch fairen Wettbewerb zu schaffen. Ich kenne genug Arbeitgeber, die inzwischen sagen, wir wollen unsere Leute anständig bezahlen. Sie halten aber eine Dumpingkonkurrenz nach unten nicht ein. Und deshalb brauchen wir den gesetzlichen Mindestlohn in Deutschland.
    Müller: Und der ermöglicht fairen Wettbewerb? Das heißt, Unternehmen, denen es schlechter geht, bezahlen genauso viel wie Unternehmen, denen es gut geht?
    Heil: Nein! Ich habe ja eben darauf hingewiesen. Im Regelfall wollen Arbeitgeber ihre Leute anständig bezahlen. Aber es gibt Bereiche, gerade in Dienstleistungsbranchen, wo man mit Schmutz- und Dumpingkonkurrenz zu rechnen hat, wo Menschen drei, vier, fünf, sechs Euro verdienen, weil Arbeitgeber damit kalkulieren, dass der Staat ergänzendes Arbeitslosengeld II zahlt, um sozusagen staatliche Lohnsubvention mit abzusahnen. Das sind Geschäftsmodelle, die sind nicht tragfähig, und wir wollen anständige Arbeitgeber stärken, die ihre Leute anständig bezahlen wollen. Deshalb leistet der gesetzliche Mindestlohn auch einen Beitrag zu fairem Wettbewerb.
    Müller: Könnte man denn, Hubertus Heil, Ihre Position, die Position Ihrer Partei, Ihrer Fraktion so zusammenfassen: Mit uns, mit der SPD wird es definitiv keine Ausnahmen geben?
    Heil: Mit uns, der SPD, wird es einen gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro geben, der gilt, und zwar allgemein für ganz Deutschland. Und wir lassen den nicht durch sozusagen Schlupflöcher durchlöchern an dieser Stelle. Damit haben wir keine guten Erfahrungen gemacht. Aber noch mal: Wir werden einen guten Gesetzentwurf machen und ich glaube, dass wir in diesem Punkt tatsächlich belegen werden, dass der gesetzliche Mindestlohn nicht nur sozial gerecht ist, sondern auch ökonomisch vernünftig. Er ist ein Teil einer neuen Ordnung am Arbeitsmarkt, der dazu führt, dass wir auch eine bessere Lohn- und Gehaltsentwicklung in Deutschland bekommen. Das stärkt im Übrigen auch die Binnennachfrage. Und deshalb noch mal: Das ist auch ökonomisch vernünftig.
    Müller: Wenn wir die Nachrichten genau verfolgt haben über die Weihnachtstage, ist noch ein anderes Thema, ein anderer Aspekt zur Sprache gekommen, nämlich mit Blick auf den 1. Januar: Freizügigkeit der Arbeitnehmer aus Bulgarien und Rumänien. Armutszuwanderung, das wird oft subsumiert unter dieser Überschrift. Mit 180.000 Zuwanderern wird gerechnet, von denen viele nicht qualifiziert sind. Macht Ihnen das Sorgen?
    Hubertus Heil
    Geboren 1972 in Hildesheim, Niedersachsen. Hubertus Heil hat 1995 ein Studium der Politikwissenschaft und der Soziologie an der Universität Potsdam begonnen, das er 2006 an der FernUniversität Hagen abschloss.
    Er ist seit 1988 Mitglied der SPD und bekleidete unterschiedliche Positionen, unter anderem war er Generalsekretär der Partei. Seit 1998 ist er Mitglied des Deutschen Bundestags und seit 2009 stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion.

    Heil: Wir müssen realistischen einen Blick darauf haben. Ich bin weder dafür, dass wir jetzt sozusagen Weltuntergangsstimmung verbreiten, Alarmismus, noch die Augen davor verschließen, dass es tatsächlich schwierige Entwicklungen geben kann. Deshalb ist es wichtig, dass wir vor allen Dingen Kommunen, in denen sich das besonders ballt, unterstützen. Das hat die Große Koalition in ihrem Koalitionsvertrag auch vereinbart, dass wir tatsächlich den Kommunen unter die Arme greifen wollen, die von solchen Phänomenen besonders betroffen sind. Aber auch in diesem Zusammenhang ist es wichtig, dass wir eine gerechte tatsächliche Ordnung am Arbeitsmarkt in Deutschland haben, damit diese Form von Armutszuwanderung nicht zur Lohndrückerei in Deutschland führt.
    Müller: Einwanderung in die Sozialsysteme – ist das realistisch?
    Heil: Ich glaube, dass wir ganz offen ein Auge darauf haben müssen. Es gibt unterschiedliche Formen von Rechtsprechung in diesem Zusammenhang. Ich sehe jetzt nicht massenhafte Zuwanderung in die sozialen Sicherungssysteme als eine Riesengefahr. In Einzelfällen ist das aber etwas, was sich abzeichnet. Noch mal: Für uns ist wichtig, dass wir tatsächlich den betroffenen Kommunen zum Beispiel im Ruhrgebiet unter die Arme greifen, die jetzt schon und möglicherweise auch verstärkt mit diesen Phänomenen zu tun haben. Die darf man nicht alleine lassen. Da ist der Bund gefragt und auch die Länder gefragt. Das ist vordringlich. Insgesamt müssen wir in Europa dafür sorgen, dass das Thema zwischen den Staaten auch besprochen wird, damit wir tatsächlich gemeinsame Mindeststandards in Europa auch haben im sozialen Bereich und nicht dieses Gefälle zu Verschiebungen auch führt in der Zukunft.
    Müller: Also ist Deutschland ein bisschen zu attraktiv?
    Heil: Nein, überhaupt nicht. Ich glaube, dass unser Land ein starkes Land ist, dass wir viel an Möglichkeiten haben. Wir sehen ja, dass bestimmte Befürchtungen, die es früher gegeben hat, als beispielsweise es die Arbeitnehmerfreizügigkeit für Polen gegeben hat, sich überhaupt nicht erfüllt haben. Dass es massenhafte Zuwanderung in diesem Zusammenhang in die Sicherungssysteme nach Deutschland gibt, weil ein Land wie Polen auch einen Aufholprozess hinter sich gebracht hat. Auf der anderen Seite reden wir jetzt über Bulgarien und Rumänien, die haben eine ungemein schwierigere ökonomische Situation als beispielsweise Polen. Insofern ist das nicht auszuschließen, dass es das in einem Umfang auch geben wird. Dem muss man begegnen, aber wie gesagt: ohne, dass man jetzt in Hysterie in Deutschland macht.
    Müller: Der stellvertretende SPD-Fraktionschef im Bundestag, Hubertus Heil, bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk. Danke für das Gespräch, auf Wiederhören.
    Heil: Schönen Tag, Herr Müller. Alles Gute!
    Müller: Gleichfalls – danke!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.