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Missbrauchsskandal in England
Chelsea unter Druck

Der Missbrauchsskandal im englischen Fußball weitet sich aus. Rund 350 Opfer haben sich bisher bei den Behörden gemeldet. Vor allem der FC Chelsea gerät weiter unter Druck. Ein ehemaliger Profi soll mit 50.000 Euro zum Schweigen gebracht worden sein. Dem Verein droht nun eine Strafe.

Von Friedbert Meurer | 03.12.2016
    Das Stamford Bridge Stadion des FC Chelsea.
    Das Stamford Bridge Stadion des FC Chelsea. (imago sportfotodienst)
    Gary Johnson war gerade einmal 10 Jahre alt, als er 1970 als Jugendspieler zum FC Chelsea kam. Später spielte er sogar drei Jahre lang in der ersten Mannschaft. Johnson berichtet, er sei in den 70er-Jahren als Jugendspieler vom Clubscout sexuell missbraucht worden, habe das aber bis vor drei Jahren für sich behalten. 2013 ging er zunächst zur Polizei.
    "Einige Tage später klingelte das Telefon. Ein Polizeioffizier stellte mir merkwürdige Fragen, ich fing an zu weinen. Zwei oder drei Tage später teilten sie mir mit, dass sie nicht weiter ermitteln würden."
    Johnson wandte sich dann an seinen alten Club, den FC Chelsea. Die Erfahrungen dort waren – nach seinen Worten – nicht besser.
    FC Chelsea bestand auf Schweigeklausel
    "Sie wollten nichts angehängt bekommen. Sie bestanden auf einer Schweigeklausel. Sie wollten nichts zugeben und mir auch nicht helfen, damit die Sache nicht öffentlich wird."
    Johnson bekam 50.000 Pfund – viel Geld für einen Mann, der heute als Taxifahrer sein Geld verdient. Für Chelsea sind die Vorwürfe – wenn sie stimmen – hoch peinlich.
    "Wir haben eine eigene Untersuchung in Auftrag gegeben mit externen Anwälten", erläutert Clubsprecher Steve Atkins. "Wir werden alle Ergebnisse an den Fußballverband geben, der dann bewerten kann, ob der Club sich angemessen verhalten hat."
    Prominente Spieler melden sich zu Wort
    Fast täglich gibt es in England neue Enthüllungen im Missbrauchsskandal. 350 Spieler haben sich schon gemeldet, beim Kinderschutzbund sogar 860. Ein beschuldigter ehemaliger Jugendtrainer des FC Southampton sei sogar immer noch Betreuer, jetzt bei einem anderem Verein. Die Namen werden prominenter. Paul Stewart spielte für Liverpool und Tottenham und war sogar englischer Nationalspieler.
    "Du bist in der Falle, kannst nichts machen. Mein Jugendtrainer hat mich bedroht, er würde meine Brüder und meine Eltern umbringen. Wenn du elf Jahre alt bist, dann glaubst du das."
    Alleine in Manchester hat die Polizei jetzt binnen weniger Tage zehn verdächtige ehemalige Jugendtrainer ermittelt, denen sexueller Missbrauch vorgeworfen wird.
    "Das ist die schwerste Krise, an die ich mich erinnern kann", bekennt Greg Clarke, der Präsident des englischen Fußballverbands, FA. "Wir untersuchen, ob wir moralisch schuldig geworden sind. Wir nehmen das extrem ernst."
    Wayne Rooney, der Kapitän der Nationalelf, tritt in einem Videoclip auf, den die FA jetzt herausgegeben hat. "Wenn du ein Junge oder Mädchen bist und wütend oder verängstigt, wie sich jemand verhält, bitte rede mit jemandem, dem du vertraust."
    Englischer Fußballverband legte Studie 2003 auf Eis
    Eine löbliche Empfehlung der FA, die sich aber noch 2003 daran selbst nicht gehalten haben soll. Die BBC berichtete, dass der Verband damals eine Studie auf Eis gelegt habe – angeblich aus Geldmangel. Die Autoren der Studie aber berichten von einer "Mauer des Schweigens" und dass sie von Funktionären beschimpft wurden. Sowohl der FC Chelsea, dem eine Verbandsstrafe droht, als auch die FA waren jedenfalls offenbar nicht so mutig, wie die Spieler, die jetzt ihr jahrzehntelanges Schweigen gebrochen haben.
    "Ihr Mut ist außergewöhnlich", lobt Nationaltrainer Gareth Southgate. Er habe mit Paul Stewart kurzzeitig gemeinsam bei Chrystal Palace gespielt, aber nichts gewusst. "Er und andere konnten bis jetzt nicht darüber reden. Und das ist völlig verständlich."