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"Mit Europa spielt man nicht"

Das Nein der Slowakei zum EU-Rettungsschirm zeige, "dass man europäische Entscheidungen nicht einer Kakofonie nationaler Parlamente überlassen kann," sagt der EU-Abgeordnete Sven Giegold. Das Europäische Parlament und der EU-Rat müssten solche Entscheidungen treffen.

Sven Giegold im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 12.10.2011
    Dirk Müller: Ein klares Nein aus Bratislava. Das slowakische Parlament hat sich also gegen den europäischen Rettungsschirm ausgesprochen. Ist der Euro-Schirm damit passé? Nein, heißt es wiederum aus der Slowakei. Die Regierung wird versuchen, gemeinsam mit der Opposition in einem zweiten Anlauf doch noch grünes Licht für die Pläne aus Brüssel zu geben. Die Aufregung in ganz Europa hält sich also demnach noch in Grenzen. Zugleich hat die Troika grünes Licht gegeben für die nächste Hilfstranche in Richtung Athen.
    Das Nein in der Slowakei ist auch unser nächstes Thema. Was bedeutet das Votum aus Bratislava für die Zukunft des Euro, für die Zukunft der EU? Diese Frage hat mein Kollege Tobias Armbrüster dem Grünen-Europaabgeordneten und Finanzexperten Sven Giegold gestellt.

    Sven Giegold: Also zunächst mal ist das natürlich ein schlechtes Zeichen, mit Europa spielt man nicht, und was die sozialdemokratische Opposition da aufgeführt hat, ist nicht verantwortlich, zu sagen, man möchte die Regierung stürzen mit diesem Instrument. Das hätte in vielen anderen Ländern ebenso zu der Situation geführt, in Deutschland ja auch eventuell, war es ganz knapp, in den Niederlanden war es ähnlich, dass das ja nur mithilfe der Opposition, der dortigen rot-grünen, durch das Parlament gegangen ist. Ich finde, das ist wirklich bedenklich. Gleichzeitig glaube ich nicht, dass es so große Verwerfungen erzeugt, einfach weil die nächste Abstimmung ja noch rechtzeitig vor dem Gipfel stattfinden kann. Ansonsten hätte das wirklich fatale Konsequenzen.

    Tobias Armbrüster: Können wir denn sagen, haben die Slowaken die Spielregeln in der Europäischen Union noch nicht verstanden?

    Giegold: Ich würde sagen, die Slowaken haben vor allem noch nicht verstanden, was für eine enorme Verantwortung auf ihnen jetzt liegt. Man muss sagen, das Ganze ist natürlich aus Demokratiesicht problematisch. Grundsätzlich hat jedes Parlament die freie Entscheidung. Wenn aber 16 schon entschieden haben und es dann an einem Parlament, das relativ wenige repräsentiert, alles scheitern kann, so ist das natürlich undemokratisch in gewisser Weise und das zeigt eben nur, dass man europäische Entscheidungen nicht einer Kakofonie nationaler Parlamente überlassen kann, die das dann mit Fragen vermischen, die mit dem eigentlichen Gegenstand gar nichts zu tun haben. Diese Abstimmung ging zu relevanten Teilen um slowakische Politik, aber ausgetragen an europäischen Themen.

    Armbrüster: Wenn das Parlament in Bratislava jetzt noch einmal abstimmt in den kommenden Tagen und dann doch Ja sagt, wie ja alle erwarten, wäre das dann eine Zustimmung zweiter Klasse?

    Giegold: Mag sein, aber letztlich kommt es darauf nicht an. Entscheidend ist, dass der Rettungsschirm da ist und damit etwas mehr Zeitgewinn, um endlich in diese ganze Debatte der Euro-Rettung etwas mehr Vernunft zu bringen. Denn bisher ist ja keines der substanziellen Probleme gelöst. Griechenland, das Problem ist nicht gelöst, und was noch viel schlimmer ist: Die Bankenrettung ist nicht erfolgt und das Auseinanderentwickeln der realen ökonomischen Fähigkeiten zwischen Ländern wie Deutschland, Niederlande und den südlichen Peripherieländern ist nicht gelöst, und das sind die zentralen Fragen. Und der Rettungsschirm, das wissen wir alle, der löst nichts, sondern der bringt nur einen Zeitgewinn.

    Armbrüster: Aber viele Slowaken sagen auch, warum sollen wir als armes Land eigentlich dem relativ für uns reichen Griechenland unter die Arme greifen. Können Sie solche Argumente verstehen?

    Giegold: Das kann ich verstehen und ich verstehe auch die Deutschen, die sagen, warum sollen wir dafür zahlen, dass andere sich nicht an die Spielregeln halten und über Jahre unsolide gewirtschaftet haben. Gut, bei uns kann man sagen, wir haben so starke Lohnzurückhaltung betrieben, dass wir auch einen Teil der Verantwortung für die Schwierigkeiten in den Peripherieländern haben. Aber trotzdem: Letztlich kann man das verstehen. Das ist ja eine Form von Umverteilung. Auch dieser Rettungsschirm entlastet ja – und da haben die Kritiker ja durchaus recht – private Gläubiger und überführt die Risiken in die öffentliche Hand. Aber der Punkt ist doch: Wenn man das Schiff jetzt gegen die Wand fahren lässt – und das gilt auch für die Slowaken -, dann wird das Ganze noch teurer und wir opfern gleichzeitig für lange Zeit die Perspektive der europäischen Integration, und das ist so unvernünftig für Deutsche wie für Slowaken, dass wir diesen Weg jetzt gehen müssen.

    Armbrüster: Sie haben ja nun eingehend kritisiert diesen Abstimmungsmodus, dass man da auch angewiesen ist auf die innenpolitischen Spielereien in relativ kleinen Ländern. Was wäre denn Ihr Vorschlag? Wie sollte man diesen Abstimmungsmodus innerhalb der EU bei solchen wichtigen Entscheidungen reformieren?

    Giegold: Also aus meiner Sicht ist das Zentrale: Wir brauchen letztlich die wichtigen europäischen Institutionen unter direkter Verantwortung der europäischen normalen Entscheidungsregeln. Das heißt, das Europäische Parlament plus der Rat der Mitgliedsländer muss entscheiden und nicht eine Kakofonie nationaler Parlamente und Regierungen. Das ist das zentrale Problem an der Stelle. Das gilt eben auch für die Steuerpolitik, wo wir genau das Gleiche haben: Die verschiedenen Länder machen sich gegenseitig Wettbewerb, um die Steuerbasis, die zunehmend mobil im Binnenmarkt ist, Unternehmensgewinne, Kapitalanleger, und wundern sich hinterher, dass sie ihren Staatshaushalt nicht gerecht ausgleichen können.

    Armbrüster: Dann würde ich, Herr Giegold, zum Schluss auch mit Ihnen noch kurz gerne über Griechenland sprechen. Das Land hat ja heute ein relativ positives Urteil der sogenannten Troika erhalten und soll jetzt nach Ansicht der Experten die nächste Hilfszahlung im November erhalten. Ist Griechenland damit auf dem Weg aus der Krise?

    Giegold: Das würde ich nun wirklich nicht sagen. Griechenland steckt mitten in einer tiefen Krise. Sie haben keines der Ziele wirklich erreicht. Sie haben sich trotzdem enorm angestrengt. Griechenland hat sehr große Anstrengungen unternommen und gerade auf dem Rücken des Mittelstandes und der Schwächsten. Was man zutiefst kritisieren muss, dass sie es bis heute nicht hinbekommen, Steuern einzusammeln, insbesondere von denjenigen, die eigentlich zahlungsfähig sind. Aber es ist völlig klar: Griechenland ist nicht über dem Berg und das Maß der Verschuldung des Landes ist nicht nachhaltig und nicht auf Dauer tragbar. Insofern würde ich das auch nicht als positiv bezeichnen, sondern man hat im Grunde als Troika gesagt, wir gehen noch den nächsten Schritt, weil auch jedem natürlich klar ist, würde ich sagen, was passiert, wenn man von heute auf morgen, wie einige das ja empfehlen, das Land in den Konkurs schickt.

    Armbrüster: Ist ein Schuldenschnitt für Athen noch zu vermeiden?

    Giegold: Ich glaube, dass der notwendig ist. Das sagen wir ja auch schon sehr lange. Der entscheidende Punkt ist bloß: das muss man geordnet machen und darf nicht riskieren, dass dabei das Finanzsystem der Euro-Zone ins Rutschen kommt. Das ist ein Grund, warum wir den Rettungsschirm brauchen und vor allem eine europäisch gemeinsame abgestimmte Linie bei der Bankenrettung, und das haben wir bisher nicht, sondern Deutschland und Frankreich streiten sich wie die Kesselflicker, unter anderem wegen der Unklarheiten in unserer Regierung, und das hat jetzt zu Verschiebungen des Gipfels der Staatschefs geführt, was auch wiederum unverantwortlich ist.

    Müller: Mein Kollege Tobias Armbrüster im Gespräch mit dem Grünen-Europaabgeordneten und Finanzexperten Sven Giegold.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.