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Mit Feuereifer für die Revolution

Der Schriftsteller und Orientalist Navid Kermani hat den Libanon und Syrien besucht. Er habe in Syrien nicht den Eindruck gewonnen, dass das Blutvergießen bald ein Ende haben werde. Noch sei es kein fundamentalistischer Kampf, sondern ein Kampf für soziale Gerechtigkeit, doch die Gräben innerhalb der Gesellschaft sehr tief.

    Christoph Schmitz: Wie bewerten Sie die Veröffentlichung der Karikaturen? Navid Kermani?

    Navid Kermani: Ach wenn man gerade so wie ich aus Syrien in Deutschland ankommt, dann kommt einem das alles völlig irrsinnig vor. Ich meine, die Leute dort haben echt wirklich andere Probleme, da sterben jeden Tag 10, 50, 100 Menschen, weil sie für Freiheit demonstrieren, und hier wie drüben macht man sich Gedanken über so einen idiotischen Film. Also das kommt mir alles sehr, sehr abstrus vor.

    Schmitz: Mit Navid Kermani habe ich vor der Sendung gesprochen. Der Kölner Schriftsteller und Orientalist kennt Okzident und Orient gleichermaßen. Am Wissenschaftskolleg in Berlin war er tätig, Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung ist er, der Akademie der Wissenschaften in Hamburg, des Kulturwissenschaftlichen Instituts in Essen gehört er an, Romane hat Navid Kermani veröffentlichten, Arbeiten zur Schönheit des Koran, auch zum Rockmusiker Neil Young. Am Wochenende ist er von einer mehrtägigen Reise für "Die Zeit" durch den Libanon und Syrien zurückgekehrt. Mit Politikern hat er gesprochen und mit Künstlern, Literaten und anderen Intellektuellen. - Navid Kermani, haben Sie etwas vom Unmut gegen den amerikanischen Schmähfilm "Die Unschuld der Muslime" auf Ihrer Reise mitbekommen?

    Kermani: Ich kam ja Freitag raus aus dem Land, da war noch nicht sehr viel zu spüren. Ich sah nur eine winzige Demonstration von 200 Menschen in Tripolis, also im Libanon, und niemand wusste so recht, um was es eigentlich geht, also es war völlig absurd. Am Abend sah ich dann CNN und hörte plötzlich "große Demonstrationen in Tripolis", aber faktisch: Ich stand daneben, es waren 200.

    Schmitz: Welche Künstler und Intellektuelle haben Sie in Beirut und in Damaskus getroffen oder auch anderswo in Syrien?

    Kermani: Ich bin nach Beirut geflogen erst einmal, um zunächst ein paar Aktivisten, Oppositionelle zu treffen, um auch Kontakte zu knüpfen für Damaskus. In Damaskus habe ich dann eine Reihe von Schriftstellern, von Menschenrechtsaktivisten getroffen, von intellektuellen Übersetzern, die mehr oder weniger alle in der Opposition stehen. Wenn man die trifft und die stellen sich vor, dann stellt man sich zugleich mit den Jahren der Gefängniszeit vor. Also das gehört da zum Alltag. Oder wenn man Versammlungen besucht, dann sieht man als Erstes die ganzen Handys auf dem Sofa ausgebreitet im Vorzimmer - abgeschaltet. Unter diesen Bedingungen leben und arbeiten die Menschen da. Aber klar: Ich meine, die sind nach wie vor, auch nach eineinhalb Jahren sind sie mit Feuereifer für die Revolution da und sind natürlich entsetzt über das Blutvergießen, und im Augenblick sieht es ja nicht so aus, als ob das Blutvergießen bald enden würde.

    Schmitz: Gehören Künstler, Intellektuelle, die Sie gesprochen haben, grundsätzlich zur Opposition, oder haben Sie nur die getroffen, die zur Opposition gehören?

    Kermani: Ich glaube ehrlicherweise, muss ich sagen, dass ich eher die getroffen habe, die zur Opposition gehören, weil man auch herumgereicht wird, und mittlerweile sind die Gräben auch innerhalb der syrischen Gesellschaft so tief. Ich habe in meinem eigenen Bekanntenkreis von Familien gehört, wo selbst Mann und Frau nicht mehr miteinander reden, weil sie zweierlei Lagern angehören. Also ich glaube, hier sind auch die Gräben sehr tief. Es gibt sicherlich Künstler, die vielleicht weniger aus Begeisterung für das Regime als aus Angst vor dem Chaos, aus Angst vor der Anarchie, aus Angst vor dem Fundamentalismus immer noch an dem Erhalt der bestehenden Ordnung festhalten. Ich vermute aber, dass es doch eher die Minderheit ist.

    Schmitz: Was haben Sie von denen vor allem erfahren?

    Kermani: Ich habe vor allem von denen erfahren, dass sie immer wieder darauf hingewiesen haben, dass dieser Protest ja über acht, neun Monate gewaltfrei war, mit den ganzen fantasiereichen Mitteln des gewaltfreien Widerstandes, mit Protesten, mit Aktivisten, Ständen, Gruppen und allem mehr, und dass dieser gewaltfreie Widerstand ja auch weitergeht. Es ist ja nicht so, dass diese Leute alle in der freien Armee aufgegangen wären. Also das ist nach wie vor ein ziviler Protest. Ich habe immer wieder gehört, dass man nicht den Fehler machen sollte – die Regierung stellt das ja dar, als sei das ein islamistischer Aufstand, und mir wurde immer wieder gesagt, nein, es ist im Kern ein Kampf für Demokratie, ein Kampf auch für soziale Gerechtigkeit, es ist noch kein fundamentalistischer Kampf. Aber wenn die Massaker fortgehen, die ja gezielt eine bestimmte Bevölkerungsgruppe treffen – es geht ja gezielt gegen die Sunniten. Alle Massaker, die es bis jetzt gab, mit 100, 200, 400 Toten, viele Kinder darunter, wurden verübt, so heißt es jedenfalls in den Berichten der Menschenrechtsorganisation der Vereinten Nationen, wurden ausgeübt gezielt von alawitischen Milizen gegen sunnitische Zivilisten, und das schürt natürlich diesen konfessionellen Konflikt. Und wenn das so weitergeht, dann kann das enden in einem wirklichen Konfessionskrieg.

    Schmitz: Welche wichtigsten Erkenntnisse haben Sie mitgebracht nach dieser Reise?

    Kermani: Meine wichtigste Erkenntnis war vielleicht – und das mag paradox klingen, weil ich einerseits sehr viel Leidenschaft für die Revolution mitbekommen habe, gerade auch in den Randgebieten von Damaskus. Aber mein Eindruck ist – und das wird jetzt vielleicht manchen Revolutionären im Ausland enttäuschen, oder der wird mir böse sein -, mein Eindruck ist, es ist keine so gute Idee im Augenblick, jetzt noch mehr Waffen ins Land zu geben, sondern die freie Armee ist sowieso, was die Waffen betrifft, hoffnungslos unterlegen. Die haben nicht die Mittel, die militärische Lösung herbeizuführen. Und wenn man hier diesen Konflikt militärisch lösen wollte, müsste man wahrscheinlich größer eingreifen als etwa in Libyen, und ich sehe nicht, dass jemand in der Welt dazu bereit wäre. Und weil das nicht der Fall ist, würden, glaube ich, neue Waffen nur die Anarchie befördern. Ich glaube, man muss versuchen, so schwer es ist, dem zivilen Protest wieder einen Raum zu verschaffen, und versuchen, erst mal die Waffen zum Schweigen wieder zu bringen und daraufhin den Druck zu richten.

    Schmitz: ... , sagt Navid Kermani mit Eindrücken seiner Reise durch den Libanon und durch Syrien insgesamt.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.