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Mit gutem Gewissen auf Tour

Linke-Chef Klaus Ernst hat Probleme: Laut Staatsanwaltschaft soll er Flüge zu Gewerkschaftstreffen über den Bundestag abgerechnet haben. Ist Ernst einer unter vielen oder Dienstreise-Vorschriften des Bundestags tatsächlich so kompliziert?

Von André Bochow | 05.08.2010
    Gesine Lötzsch ist eine loyale Kollegin. In dieser Woche stellte sich der weibliche Teil der linken Doppelspitze vor den männlichen Teil und versicherte der Öffentlichkeit, sie und der gesamte Parteivorstand stünden hinter Klaus Ernst.

    "Wichtig ist, dass Klaus Ernst - und das hat ihm ja auch noch keiner vorgeworfen - sich in keiner Weise persönlich bereichert hat. Und wir erkennen natürlich auch, dass es Versuche gibt, diesen Vorgang gegen Klaus Ernst, gegen den Vorsitzenden der Linken und gegen die gesamte Linke zu instrumentalisieren.""

    Dies aber bestenfalls in einem äußerst bescheidenen Ausmaß. Es herrscht im Gegenteil eine fast verdächtige Stille, was den Fall Ernst betrifft. Kaum ein Parlamentarier der anderen Parteien ergriff die Gelegenheit, um dem politischen Konkurrenten die üblichen Vokabeln wie: Pharisäer, Raffke bzw. die Kombination Wasserprediger - Weintrinker um die Ohren zu geben. Es liegt die Vermutung nahe, dass vielen Abgeordneten der Gedanke an eine lang anhaltende Diskussion über parlamentarische Reistätigkeit nicht geheuer ist. Der eine oder andere wird sich an die Bonusmeilen-Affäre aus dem Jahr 2002 erinnern. Damals stellte sich heraus, dass Parlamentarier jahrelang Bonusmeilen privat verflogen, die sie auf ihren Dienstreisen erworben hatten. Cem Özdemir und Gregor Gysi zogen sich deswegen kurzzeitig aus der Politik zurück, Rezzo Schlauch beließ es bei einer Rückzahlung, andere tauchten einfach ab. Etwas komplizierter als die Bonusmeilen-Geschichte ist der Fall Ernst allerdings schon. Aber - es gibt durchaus Regeln für die Reisen der Volksvertreter. Eva Haacke, Sprecherin der Bundestagsverwaltung, fasst zusammen, was sich eigentlich jeder leicht merken können müsste:

    ""Also grundsätzlich ist es so: Wenn ein Abgeordneter eine Dienstreise unternimmt, dann trägt der Bundestag die Kosten. Vergleichbar ungefähr mit einem Arbeitgeber, der einen Mitarbeiter auf eine Geschäftsreise schickt. Ein kleiner Unterschied ist, wenn der Abgeordnete eine Reise oder eine Fahrt in Ausübung seines Mandats unternimmt. Dann muss er die zunächst aus seiner Kostenpauschale bezahlen. Er hat auch eine Bahncard, die in ganz Deutschland gilt, und die er dafür verwenden kann. Wenn ihm bei dieser Reise in Ausübung seines Mandats Flug- oder Schlafwagenkosten entstehen, dann kann er sie gegen Einzelnachweis einreichen und erstattet bekommen."

    Um eine Dienstreise handelt es sich, wenn der oder die Abgeordnete im Auftrag des Bundestages unterwegs ist - etwa im Auftrag eines Ausschusses. Dann werden alle Kosten aus der Bundestagskasse beglichen – also aus Steuergeldern. Insgesamt beträgt der Etat für Inlandsreisen 6,1 Millionen Euro. Aus dem werden auch die sogenannten mandatsbezogenen Reisen bezahlt. Hier handelt es sich zum Beispiel um Reisen in den Wahlkreis - nicht aber zu einer Aufsichtsratssitzung. Oder doch? Die Krux besteht darin, dass die Reisen schwer auseinanderzuhalten sind.

    "Beispiel: Ein Abgeordneter hat ein Aufsichtsratsmandat, bevor er das Bundestagsmandat erhalten hat - da wird man sicherlich sagen, das ist eine Tätigkeit neben seiner Tätigkeit als Abgeordneter. Wenn er aber in einen Aufsichtsrat gekommen ist durch die Tatsache, dass er Bundestagsabgeordneter ist - also im Nachhinein - dann würde man vermutlich, so beurteilen das jedenfalls die Juristen hier im Hause, eher sagen: Er ist zu dieser Tätigkeit erst durch das Abgeordnetenmandat gekommen."

    Ähnlich sieht es bei den Reisen zu Gewerkschaftsveranstaltungen aus. Klaus Ernst hatte seine Aufsichtsratsmandate seit 1995 und 1996. Erster Bevollmächtigter der IG Metall Schweinfurt war er seit 1995. Also vor seiner Zeit als Bundestagabgeordneter. Hätte er also nicht beim Bundestag abrechnen dürfen? Doch, wenn er etwa bei der Gewerkschaft einen Vortrag gehalten hätte. Oder wenn er noch einen Termin im Wahlkreis gehabt hätte. Aber es steht den Parlamentariern frei, die Kosten den Firmen und Verbänden in Rechnung zu stellen. Manche machen das - Sie müssen aber nicht. Wenn die eben erwähnten Voraussetzungen stimmen. Wie welcher Termin zu bewerten ist, das aber entscheiden die Volksvertreter selbst.

    "Es gibt da keine übergeordnete Kontrolle oder gar Überwachung des Abgeordneten. Denn Grundlage ist ja die Ausübung des freien Mandats. Und damit heißt das für den Bundestag, dass der Abgeordnete erklärt, dass ihm Reisekosten in Ausübung seines Mandats entstanden sind und er entsprechende Nachweise einreicht."

    Im Übrigen verlassen wir uns da auf die richtigen und korrekten Angaben des Abgeordneten.

    Ein Kontingent für den einzelnen Abgeordneten, so erklärt die Bundestagsverwaltungssprecherin Eva Haacke, gibt es nicht. Im Prinzip kann er reisen so oft es nötig ist. Und im Grunde genommen ist es eher Zufall, wenn herauskommt, dass mit der einen oder anderen Reise etwas nicht in Ordnung war. Bei Klaus Ernst war es ein Bericht des "Spiegel", der die Staatsanwaltschaft aufmerksam machte. Was aber hat nun jemand zu gewärtigen, der bei der Reiskostenabrechnung der Falschangabe überführt wird:

    "Sicherlich würde es dann eine Rückforderung geben, was die Reisekosten angeht."

    Damit wäre die Angelegenheit für die Bundestagsverwaltung erledigt. In Sachen Klaus Ernst aber versicherte die linke Co-Vorsitzende Gesine Lötzsch - offenbar vorsorglich:

    "Sollte es dazu kommen, dass festgestellt wird, die Reisen, die als kritisch betrachtet werden, wären nicht mandatsbezogen, wird natürlich, selbstverständlich alles dafür getan, dass es dort eine ordnungsgemäße Klärung auch der finanziellen Fragen gibt."

    Ob die Berliner Staatsanwaltschaft trotzdem Anklage gegen Ernst erhebt, steht noch nicht fest. Im Moment wird noch ermittelt. Bei der Selbstkontrolle der Abgeordneten bezüglich ihrer eigenen Reisetätigkeit wird es selbstverständlich bleiben. Auch in diesem Punkt bleibt jeder von ihnen erst einmal nur seinem Gewissen unterworfen.

    Mehr dazu bei dradio.de:
    Kritik am Linken-Politiker Klaus Ernst

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