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Mit Mathematik tief in den Untergrund

Geologie. - Wenn sich Geowissenschaftler treffen, sprechen sie meist über Tiefgründiges. Schließlich versuchen sie, das Innere der Erde zu erkunden. Ein Kerngebiet der Bemühung sind bessere Verfahren, um Naturkatastrophen wie Erderschütterungen vorherzusagen. Weil Beben ohne lange Ankündigung losbrechen, versuchen Geoforscher jetzt mit fraktaler Mathematik den Geheimnissen der Erdverspannungen auf den Grund zu gehen. Auf einer Tagung im oberbayerischen Kloster Seeon wurde die Methode jetzt präsentiert.

Von Frank Grünberg |
    Eigentlich folgen Erdbeben einer einfachen Regel. Kleine Gesteinsbrocken, die unter der Erdoberfläche zusammenstoßen, verursachen kleine Erschütterungen. Große Brocken dagegen verursachen große Erschütterungen. Wenn riesige Kontinentalplatten aneinander vorbei schrappen, kann das sogar zu Erdbeben führen, die ganze Städte in Schutt und Asche legen.

    Erdbebenforscher suchen daher nach Hinweisen, wie und wann diese Katastrophen entstehen. Eines ist dabei sicher. Die Oberflächen aller Gesteinsbrocken gleichen sich, egal wie groß sie sind. Die Gesteinsbrocken zählen damit zu den fraktalen Systemen, Systemen also, die in den vergangenen Jahren einen neuen Wissenschaftszweig begründet haben. Erdbebenforscher wie Donald Turcotte, Professor an der University of California in Davis, wollen die junge Disziplin in Zukunft verstärkt nutzen.

    Das Schöne an der fraktalen Eigenschaft von Erdbeben ist, dass große Erdbeben nur dann auftreten, wenn es vorher kleine Erdbeben gegeben hat. So beobachten wir in Kalifornien rund zehn Erdbeben pro Jahr mit der Stärke fünf, aber nur eins pro Jahr mit der Stärke sechs. Nur alle zehn Jahre gibt es eines mit der Feldstärke sieben und nur alle hundert Jahre eines mit der Feldstärke acht. Über die Zeit gesehen folgt die Stärke der Erdbeben einer Exponentialfunktion.

    Diese Funktion müssen die Erdbebenforscher möglichst genau bestimmen. Daten über unterschiedlichste Erdbeben aus der Vergangenheit stehen ihnen weltweit massenhaft zur Verfügung. Vor allem in gefährdeten Gebieten wie Kalifornien oder Griechenland werden Zeitpunkte und Stärken der Ausbrüche systematisch gemessen. Doch in den scheinbar chaotischen Zickzack-Diagrammen, die sich aus diesen Messungen ergeben, konnten die Wissenschaftler mit den Mitteln der klassischen Physik bislang keine Regelmäßigkeiten entdecken. Das soll sich mit der Fraktalanalyse ändern.

    Wir suchen in den Diagrammen kleinerer Erdbeben nach Mustern, die auf zukünftige Ereignisse deuten. Das Auftreten dieser Muster unterliegt statistischen Regeln, die wir besser verstehen, wenn wir uns fraktaler Methoden bedienen. Diese Methoden liefern uns neue mathematische Werkzeuge, um systematische Veränderungen im Vorfeld eines Erdbebens zu erkennen.

    Zu kämpfen haben die Forscher bei ihrer Vorausschau allerdings mit dem starken Hintergrundrauschen, das durch die Vielzahl an kleineren Erdbeben verursacht wird und das wirklich relevante Ereignisse möglicherweise verdeckt. Es besteht damit die Gefahr, den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr zu sehen. Doch Turcotte zeigt sich optimistisch, dass sich diese Schwierigkeit in Zukunft meistern lässt. Denn inzwischen verdichten sich die Hinweise darauf, in welchen Bereichen die Vorboten größerer Beben zu finden sind. Erste Prognoseerfolge zeigen sich bereits. So haben US-Wissenschaftler ein Erdbeben im vergangenen Dezember vorausgesagt. Allerdings auf einer Fläche, die den gesamten Norden Kaliforniens umfasste. In punkto Genauigkeit gibt es für die Erdbebenforscher daher genug zu tun. Dazu Donald Turcotte:

    Die Vorhersagen werden niemals exakt sein. Unsere Hoffnung ist es aber, ein Ereignis im Umkreis von 100 Kilometern und einem Zeitraum von einem Monat vorherzusagen. Momentan liegen wir noch bei einer Treffgenauigkeit von tausend Kilometern und einem Jahr.