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Mit starkem Laienanteil und ohne gekünstelte Sprache

Das Hörspiel "Testament" des Performancekollektivs She She Pop hat den Hörspielpreis der Kriegsblinden erhalten. Ein vielfältiges Stück, beschreibt der Journalist Frank Olbert die Produktion: Witzig am Anfang, danach mit leisen und poetischen Tönen.

Frank Olbert im Gespräch mit Stefan Koldehoff |
    Stefan Koldehoff: 60 Jahre wird er in diesem Jahr alt, wenn ich richtig gerechnet habe, der Hörspielpreis der Kriegsblinden, der diesen vielleicht für manche etwas veraltet wirkenden Namen aus guten Gründen behalten hat: Bürgt er doch seit Jahrzehnten für Qualität. Ausgezeichnet werden "Original-Hörspiele, die in herausragender Weise die Möglichkeiten dieser Kunstform ausschöpfen und erweitern". Und in diesem Jahr ging es wohl einmal mehr auch ums Erweitern. Nominiert waren drei Produktionen, erhalten hat den Preis das Hörspiel "Testament" der Autorengruppe She She Pop, eine Produktion unserer Kollegen von Deutschlandradio Kultur.

    O-Ton She She Pop:

    Koldehoff: Ein Vater und ein Sohn, sein Sohn, ein Zitat aus dem "Lear" und dessen Auslegung. Frank Olbert, Sie sind unser Experte fürs Hörspiel. Worum geht es in "Testament"?

    Frank Olbert: "Testament" ist im Grunde eine Variation auf den "King Lear". "King Lear" will ja bekanntlich sein Reich weitervererben und in dem Stück "Testament" geht es im Prinzip auch um die Tücken, die dieses Vererben haben kann. She She Pop haben das in Form einer Performance zunächst für die Bühne, jetzt auch fürs Hörspiel aufbereitet. Das heißt, die Mitglieder dieses Performance-Kollektivs – das sind She She Pop nämlich – haben ihre eigenen Väter angesprochen und haben die gefragt, lasst uns doch mal über Vererbung, über das, was ihr uns vererbt, reden, und die daraus resultierenden Spannungen tragen im Grunde dieses Stück.

    Koldehoff: Also Profis und Laien in ein und demselben Stück?

    Olbert: So ist es. Dieser Laienanteil, der ist auch ganz stark. Dieses O-Ton sprechen, dieses nicht gekünstelte Sprechen spielt eine ganz wesentliche Rolle, sowohl in der Theaterfassung als auch jetzt in der Hörspielfassung.

    Koldehoff: Wie lässt sich so was übertragen von der Bühne aufs Hörspiel?

    Olbert: Lisa Lucassen, die gestern für das Ensemble da war und den Preis entgegengenommen hat, hat gesagt, dass das eine sehr grundlegende Erfahrung war, dieses Stück fürs Hörspiel umzuarbeiten, denn es ging ganz und gar nicht so, dass man einfach eins zu eins praktisch die Theaterfassung ins Radio bringt. Sie sagte zum Beispiel sehr plastisch, wenn man jemandem beim Zusehen zusieht, dann hat man was davon, jemandem beim Zuhören zuhören, dann hört man eben nichts. Also das sind so dramaturgische Prozesse, die an dem jeweiligen Medium dann auch entsprechend verändert werden müssen.

    Koldehoff: Jetzt weiß ich nicht, ob Sie die Bühnenfassung auch gesehen haben. Können Sie denn beschreiben, wie diese Lücken, die durch nur Sehen entstanden werden, gefüllt werden - durch Sprecher oder Beschreibungen oder?

    Olbert: Ja man muss einfach solche Situationen möglichst vermeiden. Auf der Bühne ist es einfach so, dass alle Personen praktisch präsent sind, auch noch so ein bisschen aufbereitet durch Bilder die einzelnen Figuren dem Zuschauer vor Augen stehen, und all das muss man natürlich in der Hörspielfassung möglichst vermeiden. Das heißt, da geht es sehr viel mehr um Rhythmisierung, darum, so ein Netz über dieses Geschehen zu werfen.

    Koldehoff: Was geschieht denn "mehr", außer den Gesprächen übers Erben? Entstehen daraus Vater-Sohn-Konflikte, oder ist es eher ein harmonisches Miteinander?

    Olbert: Nein, das ist ganz und gar nicht harmonisch. Da entstehen Konflikte. Es ist auch so, dass das Stück ein bisschen selbstreferenziell arbeitet. Die Väter werden darauf angesprochen, wie findet ihr denn jetzt eigentlich unsere Theaterarbeit, und das geht zum Teil nicht so gut aus, obwohl die sich am Ende alle irgendwie dann schon miteinander anfreunden. Es ist zum Teil ein sehr witziges Stück, vor allen Dingen am Anfang, es hat aber auch seine sehr leisen, poethischen, aber eben auch seine konfliktgeladenen Seiten – sehr vielfältig.

    Koldehoff: Sie scheinen, zufrieden zu sein mit der Entscheidung. Ihre Frau – da machen wir kein Geheimnis draus – war mit der Deutschlandfunk-SWR-Koproduktion "Mörder" ebenfalls unter den drei Nominierten. Das wäre dann ein weniger experimentelles, eher poetisches Stück gewesen. Geht der Trend zurzeit in die andere Richtung?

    Olbert: Agnieska Lessmanns "Mörder" ist tatsächlich ein Stück, als Originaltext fürs Radio geschrieben, und wenn man sich die Entscheidung zumindest beim Hörspielpreis der Kriegsblinden der letzten Jahre ansieht, dann scheint, ein solcher Ansatz auf dem Rückzug zu sein. Beginnend mit Christoph Schlingensief, der ja auch viel fürs Radio gearbeitet hat, der viele Hörspiele gemacht hat, setzt sich so ein gewisser Trend oder so eine gewisse Bewegung hin zur Performance, durchaus auch aus dem Theater stammend, durch. Auch im letzten Jahr wurde ein Stück ausgezeichnet, was sehr, sehr improvisierend und so war.

    Koldehoff: Mit der Bitte um eine ganz kurze Antwort: Worauf führen Sie das zurück? Vertraut man dem Text nicht mehr, muss da ein "Mehr" sein?

    Olbert: Es kann sein, dass das einfach daran liegt, dass man glaubt, dass diese Performance-Geschichten radiophoner sind, was ich persönlich jetzt nicht glaube. Ich glaube, dass das Radio eigentlich die Pflicht hat oder das Hörspiel die Pflicht hat, auch die Literatur wieder zu pflegen.

    Koldehoff: Dann schauen wir mal, was nächstes Jahr passiert. Frank Olbert - vielen Dank! - zum Hörspielpreis der Kriegsblinden 2012.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.