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Mit Unkraut gegen die Fluten

Umwelt. - In Memphis, Tennessee, beschäftigen sich in dieser Woche rund 3.000 Biologen mit dem Thema Renaturierung der US-Golfküste nach der verheerenden Hurrikan-Saison 2005, als Katrina New Orleans unter Wasser setzte. In Memphis stellen Ökologen auch Ideen vor, wie das wertvolle natürliche Ökosystem wiederhergestellt werden soll.

Von Volker Mrasek | 07.08.2006
    Es ist die Geschichte eines langsamen Todes, die der Ökologe John Day jetzt auf der Fachtagung in Memphis erzählt:

    "Im letzten Jahrhundert sind fast 5.000 Quadratkilometer Feuchtgebiet an der US-Golfküste verloren gegangen. Hauptsächlich, weil der Mississippi eingedeicht wurde. Er verteilt sein Sediment heute nicht mehr im Flussdelta, sondern spült es hinaus ins Meer. Das Marschland sinkt deshalb ab. Außerdem dringt immer mehr Salzwasser in das Feuchtgebiet vor. Ganze Zypressenwälder in den Sümpfen an der Küste sind dadurch abgestorben. Hätte es diesen Waldsaum im letzten Sommer noch gegeben, wären die Deiche in New Orleans vermutlich nicht gebrochen."

    Day war 35 Jahre lang Professor für Ozeanographie an der Staatsuniversität von Louisiana. Und obwohl er im letzten Jahr emeritiert wurde, zählt John Day weiter zu den Wissenschaftlern, die die Renaturierung des Küstenstreifens südlich von New Orleans aktiv vorantreiben. Ein intakter Saum aus Sumpfzypressen-Wäldern ist ein nützlicher Schutz vor Hurrikans. Die Wirbelstürme verlieren Energie, wenn sie dieses erste Hindernis auf dem Weg ins Inland überwinden müssen. Dadurch sinkt auch ihre Zerstörungskraft. Die Sumpfzypressen an der US-Golfküste sollen deshalb wieder sprießen. In Memphis werden jetzt Pläne vorgestellt, baldmöglichst eine große Zahl von Zypressen an der Küste neu anzupflanzen. Und parallel dazu auch schnellwüchsige Gummibäume:

    "Zypressen wachsen bei optimaler Nährstoffversorgung sehr schnell heran. Wir schätzen, dass wir in drei, vier Jahren Bäume haben werden, die vier Meter hoch sind. In zehn Jahren sind es vielleicht schon zehn Meter. Wichtig ist halt: Diese Bäume brauchen Süßwasser."

    Deswegen würde es nicht viel bringen, lediglich neue Bäume zu pflanzen. Parallel dazu wollen die Ökologen dem Marschland an der US-Golfküste eine strikte Entsalzungskur verordnen. Dazu gehört, einige ältere Schifffahrtskanäle im Mississippi-Delta dichtzumachen. Sie wirken nämlich wie Injektionskanülen im Fleisch der Marschen: Über die künstlichen Kanäle sickert Salzwasser vom Meer bisher ungehindert in die Süßwasser-Biotope ein. Wie John Day sagt, hat das zuständige US-Armeekorps bereits den Auftrag erhalten, den wichtigsten dieser Kanäle im Flussdelta für die Schifffahrt zu sperren. Das sei jetzt nur noch eine Sache von Monaten. Die Ökologen bereiten derweil noch andere Sanierungsmaßnahmen vor, darunter auch eine etwas anrüchig wirkende:

    "Einige Wissenschaftler hier in Louisiana untersuchen, ob man nicht städtisches Abwasser in das Feuchtgebiet einleiten sollte. Ich meine: natürlich hochgereinigtes städtisches Abwasser, das noch dazu desinfiziert wird. Da gibt es einen, inzwischen schon langjährigen Versuch. Und der hat gezeigt, dass sich dadurch sogar neues Feuchtgebiet entwickeln kann."

    Der Eintrag von Haushaltsabwasser hat zwei Vorteile. Zum einen enthält es auch nach der Reinigung noch wichtige Pflanzennährstoffe - und zum anderen handelt es sich um Süßwasser, und das ist in den übersalzenen Marschen ja erwünscht:

    "Für ein erstes größeres Projekt sind uns gerade die finanziellen Mittel bewilligt worden. Wir werden gereinigtes Abwasser aus New Orleans und einer Nachbargemeinde dorthin leiten, wo früher intaktes Feuchtgebiet war. Parallel dazu pflanzen wir neue Sumpfzypressen. Und hoffen, dass wir dadurch den früheren Schutzwald an dieser Stelle regenerieren können."

    Im Oktober fällt der Startschuss zu dem Projekt. Zunächst einmal müssen die nötigen Abwasserleitungen bis ins Feuchtgebiet verlegt werden. Anschließend sollen auf 30 bis 40 Hektar Fläche Zypressen gepflanzt und mit dem Abwasser aus New Orleans umspült werden. Was anderswo als schadstoffbelastete Problembrühe gelte, das - freut sich John Day - sei an der US-Golfküste eine willkommene Ressource im Kampf gegen die Naturzerstörung.