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"Morimur - J. S. Bach"

Das Münchner Label ECM hat sich mit einer kreativen Programmgestaltung und einer ganz eigenen Ästhetik der Präsentation einen festen, ja geradezu elitären Platz im Tonträgerangebot erobert. Produzent Manfred Eicher liebt es, neue Wege zu gehen und Risiken zu wagen, um dem Hörer neue Klanghorizonte und musikalische Erfahrungen zu erschließen. Zu seinen jüngsten Produktionen gehört die CD "Morimur", ein in jeder Hinsicht außergewöhnliches Projekt, dass einen neuen, faszinierenden Einblick in den Kosmos der Musik Johann Sebastian Bachs eröffnet. Das Projekt entstand in enger Zusammenarbeit mit der Düsseldorfer Violinprofessorin Helga Thoene, die sich seit vielen Jahre intensiv mit Zahlensymbolik und Verschlüsselungstechniken in Kompositionen Johann Sebastian Bachs befasst. In der Barockmusik war das Komponieren mit versteckten Zahlenbotschaften nichts Ungewöhnliches. Auch Bach war darin ein Meister. Helga Thoene gelangte zu der Erkenntnis, dass Bach auch in reinen Instrumentalwerken wie den sechs Sonaten und Partiten für Solovioline mit Verschlüsselungsverfahren gearbeitet hat. So sieht Frau Thoene etwa in der berühmten Chaconne aus der d-moll-Partita ein klingendes Epitaph, eine Grabinschrift Bachs für seine plötzlich verstorbene erste Ehefrau Maria Barbara. Sie stützt diese These mit der Aufschlüsselung symbolischer Zahlenkombinationen und dem Aufdecken der im Notentext der Chaconne verborgener Choralzitate, etwa von Martin Luthers Osterlied "Christ lag in Todesbanden", dass sich in den Unter- und Mittelstimmen wie ein rotes Band durch das gesamte Werk zieht. Zahlensymbolik und verschlüsselte theologische Inhalte sind beim Hören natürlich nicht wahrzunehmen. Auf der Basis von Helga Thoenes Forschungsarbeiten haben der Geiger Christoph Poppen und das Hilliard Ensemble aber die Verschränkung der Violinstimme mit den von Bach in den Text eingewobenen Choralszitaten hörbar gemacht. Entstanden ist dabei ein eigenes Kunstwerk von beeindruckender, ja ehrfurchtgebietender Größe. Dramaturgisch ist die CD so gestaltet, dass zunächst die fünfsätzige d-moll-Partita erklingt, wobei die einzelnen Sätze von Choralzeilen unterbrochen werden. Dann folgt die Reihe der in der Chaconne zitierten Choräle und schließlich noch einmal die Chaconne als Synthese von Violinstimme und Choralzitaten. * Musikbeispiel: J.S. Bach - aus: Chaconne für Violine solo und vier Stimmen, nach einer Analyse von Helga Thoene Die Neue Platte. Heute stellten wir Ihnen die CD "Morimur" aus dem Hause ECM vor. Das Wort "Morimur" ist der lateinischen Dreifaltigkeitsformel "In Christo morimur" - In Christus sterben wir - entlehnt. Unter diesem Titel haben der Geiger Christoph Poppen und das Hilliard Ensemble die gerade verklungene Version von Bachs Chaconne für Violine solo eingespielt, in der die Violinstimme mit einkomponierten Choralzitaten verschränkt ist. Die musikwissenschaftlichen Grundlagen für diese hier zum ersten Mal gewagte Synthese lieferten die Forschungsarbeiten der Düsseldorfer Violinprofessorin Helga Thoene.

Norbert Hornig |