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Mücke: Mit ideologisierten Tätern muss man arbeiten

Um gewaltbereite, ideologisierte Jugendtäter ins gesellschaftliche Leben zurückzuholen, braucht es viel Zeit und Vertrauensaufbau, sagt Thomas Mücke. Der pädagogische Leiter von Violence Prevention Network ergänzt, dass ein Wegsperren nicht neue Opfer verhindere.

Thomas Mücke im Gespräch mit Jürgen Liminski | 22.08.2012
    Jürgen Liminski: Verhalten ändern, Opfer verhindern, Rückfallkosten senken - das ist das dreifache Motto des international tätigen Vereins Violence Prevention Network e.V., und einer der Mitbegründer, Thomas Mücke, zuständig dort für Ausbildung und Training, ist nun am Telefon. Guten Morgen, Herr Mücke.

    Thomas Mücke: Guten Morgen, Herr Liminski.

    Liminski: Herr Mücke, Sie sind der Praktiker in dem Netzwerk. Das heißt, Sie sprechen mit jugendlichen Gewalttätern. Wo treffen Sie diese jungen Leute?

    Mücke: Wir treffen diese jungen Leute direkt in der Jugendvollzugsanstalt. Das heißt, die Jugendvollzugsanstalten wissen, dass wir dieses Trainingsprogramm anbieten, machen eine Vorauswahl, und dann sprechen wir direkt diese Jugendlichen dort an.

    Liminski: Wie sprechen Sie sie an, wie gewinnen Sie ihr Vertrauen?

    Mücke: Ja das ist nicht ganz einfach. Diese Jugendlichen sind grundsätzlich misstrauisch. Aufgrund ihrer Lebenssituation, ihrer Lebensverläufe vertrauen sie der Erwachsenenwelt nicht. Wenn man von außen ein Angebot macht, denken sie immer erst mal so an Gehirnwäsche und wer ist das eigentlich, der mir da gegenübersitzt, und man muss sich schon noch mal Zeit lassen, eine vertrauensvolle Beziehung zu erarbeiten und deutlich zu machen, dass es darum geht, dass sie ihren eigenen Veränderungsweg finden. Aber das braucht Zeit.

    Liminski: Fragen Sie da in so einem Gespräch auch nach den familiären Verhältnissen, nach der Zukunft oder was sind Ihre ersten Fragen?

    Mücke: Na ja, erst mal lassen wir ihnen Zeit, dass sie auch Fragen stellen können, damit sie auch wissen, mit welchen Menschen sie es zu tun haben, denn letztendlich geht es ja darum, dass man einen interessierten Erwachsenen für sie darstellt, das heißt, wir haben Interesse für ihre Situation, wie es dazu gekommen ist. Und ihre familiäre Situation, da wird natürlich viel auch biografisch gearbeitet, und die zeigt sich natürlich schon so, dass sie meistens aus relativ chaotischen Lebensverhältnissen gekommen sind, viel mit häuslicher Gewalt, viel mit Alkohol in Familien und sehr oft halt auch in Situationen drin sind, wo viel Frust und Hass sich angesammelt hat, der sich nach außen dann tragen wird eines Tages.

    Liminski: Was ist denn Ihre Strategie? Gibt es für diese Strategie, wenn Sie eine haben, auch wissenschaftliche Beurteilungen?

    Mücke: Das Programm ist ja entwickelt worden von Fachleuten. Das heißt, das sind Praktiker gewesen, die in den letzten Jahrzehnten mit dieser Szene schon gearbeitet haben. Diese Fachleute haben sich zusammengesetzt gehabt und haben sich überlegt in einem geschlossen Kontext, wie können wir diese Jugendlichen erreichen und wie können wir versuchen, dass sie von Gewalt und Extremismus wegkommen. Diese Ansätze sind neu probiert worden und sind in der ganzen Zeit wissenschaftlich begleitet worden, sodass uns die wissenschaftliche Begleitung sagen konnte, was hat einen Effekt und was hat keinen Effekt. Die Strategie, die wir weitgehend haben, ist, dass wir versuchen, junge Menschen zu erreichen, dass sie sich selber verstehen können, warum übe ich heute Gewalttaten aus, warum habe ich Vorurteile, warum habe ich Hass in mir drin, denn nur wenn man sich selber versteht, kann man es auch verändern. Da sind eine ganze Reihe Methoden entwickelt worden, dass das umgesetzt werden kann.

    Liminski: In einer Ihrer Broschüren heißt es, Verantwortung übernehmen, Abschied von Hass und Gewalt. Reden Sie da so ganz offen mit den Jugendlichen?

    Mücke: Ich glaube, das Wichtigste ist, wenn man eine Arbeitsbeziehung herstellen möchte zu einem jungen Menschen, mit dem sonst keiner kaum noch redet, dass man sehr klar ist, auch in seinen eigenen Positionen, also einerseits Interesse für die Person zeigt, aber auch jederzeit bereit ist, sich mit ihm auseinanderzusetzen. Verantwortung übernehmen heißt hier in dem Punkt: Es sind nicht andere dafür verantwortlich, dass ich Gewalt ausübe, und es sind nicht andere dafür verantwortlich, dass ich ideologisches Denken habe, was anderen Menschen großen Schaden reißen kann. Verantwortung übernehmen heißt, ich versuche meinen eigenen Weg zu finden.

    Liminski: Wie hoch ist die Rückfallquote Ihrer Klienten, sage ich jetzt mal?

    Mücke: Das muss man auch noch mal betonen, wie groß auch der Bedarf ist. Normalerweise haben Jugendliche im Vollzug, was diese Zielgruppe angeht, eine Rückfallquote von 80 Prozent. Das heißt, das macht noch mal deutlich: Einfach nur wegsperren, diese Jugendlichen, und nicht konkret mit ihnen zu arbeiten, das verhindert nicht neue Opfer. Bei uns, wenn die Jugendlichen durch unser Programm laufen, dann liegt die Rückfallquote etwa bei unter 30 Prozent. Eine Wiederinhaftierung bei diesen ideologischen Gewaltstraftätern, die liegt ungefähr bei 40 Prozent, bei uns im Programm liegt sie unter 15 Prozent. Das macht noch mal deutlich, nicht nur, dass es einen gefühlten Erfolg gibt, der Arbeit, sondern das ist statistisch empirisch auch mittlerweile erwiesen worden.

    Liminski: Eine persönliche Frage, Herr Mücke. Was motiviert Sie?

    Mücke: Also ich habe ja mein Leben lang immer wieder auch mit Jugendlichen gearbeitet, die einerseits Opfer von Gewalt geworden sind, ich habe lange Zeit auch Opferberatung gemacht, ich habe mit unterschiedlichen Jugendlichen auf der Straße gearbeitet, Jugendgangszenarien, Skinheadszenarien, und ich habe immer wieder in meiner Arbeit festgestellt: Das Allerwichtigste ist einfach, wir müssen gucken, dass Menschen ihre Konflikte auf eine Art und Weise lösen, dass nicht andere Menschen plötzlich mit zusammengeschlagenen Gesichtern irgendwo auf der Straße liegen. Das ist das, was mich am meisten motiviert, weil ich mir denke, dass unser Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit auch irgendwo in der Praxis umgesetzt werden muss, jemand dieses Grundrecht anderen Menschen auch vermitteln kann.

    Das zweite, was mich motiviert, ist, wenn man mit diesen Jugendlichen arbeitet - wir haben mit über 700 gearbeitet, ich habe auch schon mit einigen Hundert gearbeitet -, dass man merkt, dass es etwas bewirkt. Das heißt, diese Jugendlichen gehen tatsächlich Veränderungswege. Und das ist nicht nur die Leistung von unserem Programm, sondern das ist auch die Leistung, die diese Jugendlichen vollbringen, wenn sie das, was bis jetzt geschehen ist, hinterfragen und versuchen, einen Weg zu gehen, wo sie ja vorher keine Erfahrung haben. Sie gehen ja neue Wege und das ist nicht leicht, aus vertrauten Mustern herauszubrechen. Und zu spüren, das schaffen sie auch, das gibt Motivation für die Arbeit.

    Liminski: Wovon lebt Ihr Verein?

    Mücke: Unser Verein wurde lange Zeit noch bis heute weitgehend aus Modellprogrammen finanziert, auch mit viel Unterstützung von anderen, der privaten Wirtschaft. Aber wie gesagt, seit zehn Jahren sind wir weitgehend aus Modellprojekten finanziert.

    Liminski: Ist ja eigentlich eine Erfolgsstory und spart etliche Kosten. Erfahren Sie auch Anerkennung bei öffentlichen Stellen und arbeiten Sie mit diesen Stellen zusammen?

    Mücke: Wir arbeiten eigentlich mit fast allen öffentlichen Stellen zusammen, die da im Zusammenhang stehen: also von Ministerien, von Jobcentern, von Bewährungshilfe, Jugendgerichtshilfe, Bundeszentralen. Da sind viele Stellen und wir haben eine sehr hohe Reputation. Das heißt, viele schätzen auch die Arbeit. Das Problem ist halt: Alle wissen, dass diese Arbeit notwendig ist und wichtig ist, aber letztendlich weiß keiner, wie man ein solches Programm in eine Regelfinanzierung hineintun kann. Das ist das große Problem.

    Liminski: Also ein bürokratisches Problem?

    Mücke: Das ist ein Problem, wo man einfach nicht weiß anzusetzen, wie man ein solches Bundesprogramm auf eine sichere finanzielle Basis stellen kann. Wir werden zwar immer versucht, von einem Programm ins nächste Programm hineinzuhiefen, aber natürlich: Irgendwann sind mal diese Modellprogrammphasen vorbei und dann ist natürlich die große Gefahr da, dass sich ein zehnjähriges langes Erfahrungswissen in der Arbeit mit diesen jungen Menschen auflösen kann.

    Liminski: Wie man gewaltbereite Jugendliche wieder ins gesellschaftliche Leben zurückholt - das war Thomas Mücke, Mitbegründer des Netzwerks für Gewaltprävention. Besten Dank für das Gespräch, Herr Mücke.

    Mücke: Ebenfalls danke.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.