Samstag, 04. Mai 2024

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Musik eines Zerissenen

Seien Sie herzlich willkommen zu zwei hochinteressanten Neuerscheinungen auf dem Gebiet der Kammermusik. Zum einen gibt es ein neues Label, das sich den knappen, einprägsamen, indes auch auf den ersten Blick rätselhaften Namen "Avi-music" gegeben hat. Hinter dem Kürzel "Avi" verbirgt sich Dr. Andreas von Imhoff, lange Jahre verantwortlich für den Klassik-Bereich von EMI Deutschland. Die erste Scheibe, die er mit eigenem Etikett auf den Markt bringt, lässt denn auch entfernt die Herkunft des Neuunternehmers - erkennen: Das Trio di Clarone mit Sabine Meyer, Wolfgang Meyer und Reiner Wehle hat sich mit dem Pianisten Kalle Randalu zusammengetan und in bester Manier des 19. Jahrhunderts Opernhaftes eingespielt. Das Ganze nennt sich in Anspielung an eine bekannte Rossini-Cavatine "Una voce....per Clarone".

Redaktion: Norbert Ely | 03.04.2005
    Die andere CD ist bei dem Versandlabel cpo erschienen und eröffnet eine Reihe mit Streichquartetten des Romantikers Joachim Raff. Dementsprechend lautet der Titel auch lapidar "Joachim Raff - String Quartets Vol I". Und da staunt man nun wirklich, was für Musik das Mannheimer Streichquartett da für sich entdeckt und eingespielt hat. Zugegeben: Diese erste Scheibe enthält die Streichquartette Nr. 6 in c-moll und Nr. 7 in D-dur, die beide zur Dreiergruppe von Raffs Opus 192 zählen, also zu den späten Werken eines Komponisten, der ein Zerrissener war und einen vielfach verschlungenen Weg ging, der ihn auch für Jahre in Nähe Liszts geführt hatte. Die drei Quartette Opus 192 erschienen 1876. Da war Raff Mitte 50 und hatte offenbar nichts von seiner Experimentierfreude eingebüßt. Das siebente Quartett D-dur zum Beispiel definierte er als Zyklische Tondichtung und gab ihm die Überschrift "Die schöne Müllerin". Der 2. Satz porträtiert in nur zwei Minuten die klappernde Mühle am rauschenden Bach.

    • Musikbeispiel: Joachim Raff – 2. Satz 'Die Mühle’. Allegro aus dem Streichquartett Nr. 7 D-dur, op. 192,2 - "Die schöne Müllerin" (Zyklische Tondichtung)

    Das also ist die Mühle, wie sie Joachim Raff in seinem Streichquartett Nr. 7 D-dur op. 192,2 vor Ohren führt. Dieses Quartett mit dem Titel "Die schöne Müllerin - Zyklische Tondichtung" verweist weder auf den Gedichtzyklus von Wilhelm Müller, der ursprünglich ja durchaus ironisch gemeint war, noch auf Franz Schubert, sondern greift vorrangig den Topos der jungen, schönen und reichen Müllerin auf, der in der Literatur des 18. und 19. Jahrhunderts, vor allem aber auch in der Oper des späten 18. Jahrhunderts ein beliebtes Sujet abgab. Raff komponierte darüber sechs Sätze einschließlich Happy End, das mit "Polterabend. Vivace" überschrieben ist. Der Jüngling, der im ersten Satz mit dem geforderten romantischen Überschwang gezeichnet wird, war also offenkundig erfolgreich. Die Musik wiederum erweist sich als außerordentlich vielgestaltig, namentlich im zentralen Satz "Unruhe", der übrigens auch wieder kaum länger als zwei Minuten dauert. Raff erprobt in diesen Charakterstücken immer wieder die Belastbarkeit der musikalischen Formen bis an deren Grenzen, was nicht nur dieses Werk in hohem Maß aufregend und spannend macht.

    Auch das Streichquartett Nr. 6 in c-moll, die Nr. 1 aus Opus 192, stellt ein grandioses Formexperiment dar. Es trägt den zusätzlichen Titel "Suite in älterer Form" und bietet tatsächlich fünf Sätze mit den Bezeichnungen "Präludium", "Menuett", "Gavotte und Musette", "Arie. Largo" und "Gigue - Finale". Für Raff bietet der Rückgriff auf die Tradition vorrangig die Gelegenheit, sich vom überlebten Sonatenschema zu verabschieden und die abgesunkenen barocken Formen in die Welt der romantischen Rhapsodie, Tondichtung, Fantasie zu holen. Das wiederum eröffnet dem Streichquartett Möglichkeiten, die weit über den Kanon des klassisch-romantischen Quartettspiels hinausgehen und ins Orchestrale reichen, aber auch ins Konzertante. Raff versucht also mit dem Streichquartett, was Liszt für das Pianoforte unternommen hatte - den kühnen Schritt in die Imagination des größeren Zusammenhangs. Und hier erweist sich das Mannheimer Streichquartett auch den Ansprüchen, die damit verbunden sind, auf eindrucksvolle Weise gewachsen. Der vierte Satz, "Arie. Largo", gerät in einen wundervollen Schwebezustand zwischen vierstimmigem Satz und Violinkonzert.

    • Musikbeispiel: Joachim Raff - 4. Arie. Largo aus dem Streichquartett Nr. 6 c-moll op.192,1 "Suite in älterer Form"

    Soviel zum Mannheimer Streichquartett und seiner Einspielung von Werken des Romantikers Joachim Raff, die bei dem Versandlabel cpo erschienen sind.

    CD 1:
    Titel: "Joachim Raff - String Quartets 6&7"
    Ensemble: Mannheimer Streichquartett
    Label: cpo
    Labelcode: LC 8492
    Bestell-Nr.: 777003-2