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Musik in Deutschland 1950 - 2000 - "Musiktheater" / "Angewandte Musik" / "Vertonungen von Paul Celan"

Am Mikrofon Frank Kämpfer. Ich stelle Ihnen heute einige Aufnahmen vor, die in die soeben begonnene Edition MUSIK IN DEUTSCHLAND 195O - 2OOO gehören, die beim Münchener Label BMG Classics erscheint. Und zwar geht es ganz speziell um die drei Einzel-Ausgaben zum Thema Vokales: Oper, Theatermusik und Vertonte Literatur. * Musikbeispiel: Boris Blacher - Nr. 3, 'Schmerz' aus: Abstrakte Oper Zwei Vokale, das a und das i, drücken aus, was zu sagen ist. Sie steigen und stürzen, stets wechselt die Taktart und dabei formt sich jene Art Melodie, die ins Innere führt; das Phänomen 'Schmerz', das der Szene den Titel gibt, wird nonverbal, aber dafür auf den Nervensträngen" auskomponiert. So klingt Musikgeschichte. Deutschland West, 1953. Die seinerzeit gemeinsam komponierte 'Abstrakte Oper Nr.1' von Boris Blacher und Werner Egk wirkt aus heutiger Sicht vielleicht ein wenig naiv - damals in der Nachkriegszeit war sie der wohl radikalste Versuch, auf der Suche nach neuen Formen der Oper mit Traditionen zu brechen. Vorausgenommen nämlich schienen hier bereits Kagels Instrumentales Theater und oder die Intention autonomen Szenen-Geschehens, wie sie z.B. Ligetis 'Aventures' enthalten. Provokant also war dem Libretto gekündigt und damit dem vermittelnden Wort, das nach sechs Jahren Krieg und überstandener Diktatur, aber auch im Tempo der neuen Zeit nicht mehr glaubwürdig war. Abgesehen davon, daß die zwei Komponisten Blacher und Egk aus heutiger Kenntnis und Sicht gattungsgeschichtlich in eine Sackgasse traten - das Wiederhören, zumal in historischer Besetzung mit Clara Ebers (Sopran) und dem Co-Komponisten Egk am Frankfurter Pult, dieses Wiederhören rührt an. Erinnert es doch eine Zeit, die reich an Aufbrüchen war, an eben überstandenem Leid - und an Hoffnung auf eine künftig bessere Welt. Utopien von Gestern zu besichtigen ist zweifellos ein Faszinosum, das die beim Münchener Label BMG CLASSICS im vergangenen Monat begonnene Groß-Edition "Musik in Deutschland" zu bieten vermag. Auf der ersten erschienenen Platte der Rubrik "Musiktheater" sind neben Blacher auch Szenen aus Carl Orffs 'Bernauerin', Hans Werner Henze's 'Boulevard Solitüde' und Karl Amadeus Hartmanns 'Simplicius Simplicissimus' ausgewählt - Werke allesamt, die sich dem Thema der Vergangenheitsbewältigung stellen, wenn auch mit verschiedenem Ansatz und Maß.

Frank Kämpfer |
    Auffällig dabei das Beispiel aus Deutschland-Ost: Szenen aus dem umstrittenen Antikriegsstück 'Die Verurteilung des Lukullus' von Paul Dessau und Bertold Brecht. Dieses Theater-Gespann beginnt auch die erste CD zum Genre "Angewandte Musik". Selbige gilt wichtiger Theatermusik am Berliner Ensemble und am Deutschen Theater und versammelt mit Dessau, Eisler, Wagner-Regeny und André Asriel die wohl avanciertesten Theatermusiker der ehemaligen DDR. - Ein Beispiel, das ins Absurde hinführt: zwei Szenen aus Reiner Bredemeyers Bühnenmusik zu Heinz Kahlaus satirischer Brecht-Parodie 'Die Galoschen-Oper'; in der Premierenbesetzung vom Februar 1978 singen Fred Düren und Cox Habbema * Musikbeispiel: Reiner Bredemeyer - aus: Galoschen-Oper 'Musik in Deutschland 1950 - 2000'. Nachkriegsreflektion, Spiegel staatlicher Teilung, Spannungsfeld kontroverser Moderne-Diskussion. Die gleichnamige CD-Edition, die in Kooperation des Deutschen Musikrats und des Labels RCA Red Seal/ BMG Classics sowie mit Unterstützung der Neuen Musikzeitung Regensburg erscheint, umreißt einen erfreulich breiten Musik-Horizont. Sie gliedert sich in die Bereiche Konzert, Elektronik, Musiktheater, Angewandte Musik, Jazz und Populäre Musik. Jede der geplanten 150 CDs ist noch einmal auf einen historischen Zeitraum oder eine spezielle Thematik hin konzentriert. Chronologisch reicht die Werkauswahl unmittelbar aus der Zeit nach dem Krieg bis in die jüngste Gegenwart. Versammelt sind Schlüsselwerke, wichtige Namen und Phänomene zeitgenössischen Komponierens - selbstverständlich sind sie nur in Form von Ausschnitten dokumentiert. Die zwei Musikologen Frank Schneider und Hermann Danuser leiten die Edition, die sich angesichts der erschienenen ersten 13 Folgen offenbar sehr paritätisch auf Deutschland-West wie Deutschland-Ost erstrecken soll.

    Das dritte Klangbeispiel aus der Sammlung, daß ich Ihnen heute vorstellen will, entstammt vertonter Literatur; sein Autor gilt als einer der bedeutendsten Lyriker der 50er/60er Jahre und wurde bemerkenswerterweise sowohl in der Bundesrepublik als auch in der DDR gelesen und respektiert. Vielleicht, weil seine Sprache sich gleichermaßen an biografischer Erfahrung wie an der Erfahrung der Geschichte abrieb. Paul Celan zu vertonen, wirft jedoch auch rein ästhetische Fragen auf. Denn kein anderer Dichter schrieb so hermetisch geschlossen und kaum eines anderen Texte bergen in sich so viel an Musikalität. Was also die Vertonung vermag? Tilo Medek und Wolfgang Rihm, Paul Heinz Dittrich und Johannes Kalitzke, Gerhard Stäbler und Aribert Reimann, allesamt auf der Platte 'Musik & Dichtung' (der Sparte Konzertantes) vereint, mögen ob selbiger Frage zu unterschiedlichen Resultaten gekommen sein. Sie hören zum Abschluß der Sendung ein Beispiel, das über die Vertonung hinausgeht: Peter Ruzicka's kleiner Zyklus "... der die Gesänge zerschlug" spielt an auf Paul Celan's Thema und Technologie, setzt dem verstorbenen Dichter im Jahr '85 zugleich auch ein Denkmal, in dem er sich auf Texte des posthum erschienen Bands 'Zeitgehöft' konzentriert. Dietrich Fischer Dieskau ist der Solist, der alte Ernest Bour leitet das Ensemble Modern. * Musikbeispiel: Peter Ruzicka - Der die Gesänge zerschlug Peter Ruzicka - "...der die Gesänge zerschlug". Musik und Dichtung, das Beispiel Paul Celan. Auch diese CD gehört zur umfassenden Edition MUSIK IN DEUTSCHLAND 195O - 2OOO, von der die insgesamt ersten 13 Folgen dieser Tage beim Münchener Schallplattenlabel BMG Classics erschienen. Ich habe Ihnen daraus die Einzel-CDs Oper von 1945-53, Theatermusik am Berliner Ensemble und am Deutschen Theater sowie Vertonungen von Paul Celan vorgestellt. Soweit für heute Die neue Platte, vorgestellt