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Musiksoftware
Der Takt und sein Korsett

Informationstechnologie. - Heute wird fast alle Musik digital produziert. Jedes noch so kleine Studio hat auf seinem PC Tausende von Sounds und sogenannte virtuelle Instrumente. Die muss ein Musiker spielen, meist auf einer Klaviertastatur. Der Markt für Musiksoftware ist hart umkämpft. Die Forschung dafür findet weniger in Universitäten als in Firmen statt, die diese Werkzeuge entwickeln und verkaufen.

Von Maximilian Schönherr |
    Das ist Mickael Le Goff. Der französische Musikinformatiker arbeitet seit langem bei Native Instruments in Berlin und klagt, dass es bei fertig komponierter Musik so schwer ist, die Eins zu finden, also den Taktbeginn. Er braucht die Eins, um Diskjockeys Software an die Hand zu geben, die Musiktitel automatisch ineinander überblendet, wie hier: Klavier und Bass aus einer Jazz-Nummer, die bruchlos in ein viel neueres, stark rhythmisches Drum&Bass-Stück übergeht.
    DJs haben nicht mehr wie früher 50 Schallplatten dabei, die sie dann "auflegen", sondern 5000 Musikstücke auf ihrem Laptop, die sie gar nicht alle kennen können. Deswegen besteht eine Nachfrage nach einem solchen Vorauswahl-Werkzeug. Jeder Stil braucht seine eigenen Algorithmen, meint Mickael Le Goff; sehr umständlich. Auch bei Steinberg in Hamburg, einem der ältesten Hersteller von Musiksoftware, beschäftigt man sich mit dem Finden der Taktanfänge, der Eins.
    "Die ist ziemlich wichtig, angefangen in den 1980er/90er Jahren, da gab's nur die Eins."
    Werner Kracht, Programmierer bei Steinberg. In den 1980er Jahren kamen so genannte Sequenzer auf, mit denen man Musik digital aufnehmen und mehrspurig arrangieren konnte. Es gilt seitdem als Industriestandard, dass sich der Komponist vor der Aufnahme überlegt, wie schnell sie sein soll, und dann jeder Musiker auf diesen festen Klick spielt. Der Erfolg der Sequenzer-Produktion am PC ist der Grund dafür, dass heute fast alle Pop- und Rock-Titel einen starren Takt haben, der sich von vorn bis hinten um keine Millisekunde ändert.
    PC als Taktgeber
    "Alle spielen also zum Klick ein, niemand spielt gerne zum Klick ein, und die Musik wird dadurch relativ tot."
    Das ist der in München lebende Musiker und Instrumentenbauer Peter Neubäcker. Ihn interessieren weder DJs, noch Techno-Musik, aber ihn stört das Korsett , mit einem fest vorgegebenen Takt Musik einzuspielen, nur damit auch später, wenn Schlagzeug und Bass dazu kommen, alles schön synchron bleibt. Neubäcker hat sich die letzten Monate mit Aufnahmen beschäftigt, die weit älter sind und ohne festes Raster, ohne den Klick eines digitalen Metronoms eingespielt wurden.
    "Das ist das Stück Ponder von Chet Baker, ein reines Bläserstück ohne jegliche Percussion oder dergleichen. Ein Bläserquartett. Das Programm hat den Rhythmus, den wir gerade improvisiert mit gesummt haben, schon analysiert. Das ging innerhalb von Sekunden. Wenn man erkennt, wo jeder einzelne Schlag tatsächlich ist, dann kann man das Metronom sozusagen nachträglich generieren, und die Musiker können, wie sie es eigentlich wollen, frei einspielen. Also: Man spielt etwas vor sich hin, so wie man es dem Gefühl nach eben spielt, und dann kann man nachher im Aufnahmeprogramm genauso weiterarbeiten und andere Sachen dazu synchronisieren, wie man es gerne hätte."
    Ob das die Klick-verdorbene Musikwelt aufmischt? Vermutlich nicht. Aber wenn ein Gitarrist jetzt ins Digitalstudio kommt und sagt, er möchte heute kein Metronom hören, wird der Toningenieur nicht mehr sagen können: Das geht aber nur mit Klick! Denn ab jetzt geht es auch ohne.