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Mutig oder angepasst?

Chinas staatlich gelenkte Medien feierten den diesjährigen Literaturnobelpreisträger Mo Yan mit Sonderprogrammen. Doch es gibt auch Kritik: Der nach Deutschland geflüchtete Autor Liao Yiwu bezeichnet Mo Yan als Vertreter des Systems, und der Künstler Ai Weiwei ist regelrecht empört über die Wahl.

Von Silke Ballweg |
    11. Oktober 2012. Die Nachrichtensprecherin im chinesischen Fernsehen verliest mit ernster Miene die Meldung, dass der Literaturnobelpreis in diesem Jahr an den chinesischen Autor Mo Yan geht.

    Schon kurz darauf bringen die staatlich gelenkten Medien Sonderprogramme. Der frisch Gekürte lacht am nächsten Tag von den Titelseiten der Zeitungen. "Der Preis ist eine Auszeichnung für den Fortschritt der chinesischen Literatur", lobt Li Changchun, der Propagandachef der kommunistischen Partei. "Chinas Politiker feiern", sagt der amerikanische Übersetzer Eric Abrahamsen, der seit Jahren in der Pekinger Verlagsbranche arbeitet. Sie feiern vor allem sich selbst:

    "Die Politiker in China sind nicht stolz, weil Mo Yan so ein toller Autor ist. In ihren Augen hat das Land, hat China den Preis bekommen, nicht Mo Yan. Sie sind stolz, weil sie glauben, dass sie das Land geschaffen haben, das Mo Yan hervorgebracht hat. Für die Politiker ist es eine politische Leistung."

    Doch längst nicht alle Chinesen sind mit der Wahl der Schwedischen Akademie zufrieden. Der nach Deutschland geflohene Autor Liao Yiwu, der in diesem Jahr den Friedenspreis des deutschen Buchhandels erhalten hat, bezeichnet Mo Yan als Vertreter des Systems, dessen Literatur mit Wahrheit nichts zu tun habe. Der bekannte Künstler und Regimekritiker Ai Weiwei gibt sich regelrecht empört:

    "Ich halte das für eine Schande. Das Nobel-Komitée macht sich zu Mitläufern eines Systems, das gegen Menschlichkeit und Meinungsfreiheit ist."

    Doch woran entzündet sich die Kritik? Was werfen die Kritiker dem neuen Nobelpreisträger vor? Mo Yan wurde 1955 als Guan Moye in der ost-chinesischen Provinz Shandong geboren. Mo Yan ist ein Künstlername, der "Ohne Worte" oder "Sprich nicht" bedeutet. Weil er während der Kulturrevolution in einer Fabrik arbeiten musste, konnte Mo Yan nur fünf Jahre lang die Schule besuchen. Als Mitglied der Volksbefreiungsarmee begann er mit Anfang zwanzig erste Texte zu schreiben. Seither sind über ein Dutzend Erzählungen und mehr als zehn Romane entstanden. Die deutschen Übersetzungen sind bis zu 800 Seiten lang.

    Schwedische Akademie: "The Nobel price in literature for 2012 is awarded to the Chinese writer Mo Yan."

    Mo Yan vereint "mit halluzinatorischem Realismus Märchen, Geschichte und Gegenwart." So begründet die Schwedische Akademie ihre diesjährige Entscheidung. Dabei stützt sich der Autor auf verschiedene literarische Traditionen, meint der Sinologe Wolfgang Kubin. Er gilt als einer der besten Kenner der chinesischen Literatur; selbst in Peking ist er eine unangefochtene Autorität. Kubin zufolge ist Mo Yan von der chinesischen Erzähltradition beeinflusst. Er hat aber noch weitere Vorbilder:

    Kubin: "Er kommt eigentlich von der Avantgarde, von Kafka her. Dann hat er sich fest gelesen bei Garcia Marquez, '100 Jahre Einsamkeit', das ist seine Bibel. Und er hat dann sich noch vertieft in den amerikanischen Schriftsteller Faulkner, sodass bei ihm ein Mischmasch auftritt."

    Mo Yans Romane spielen meist im ländlichen, bäuerlichen Milieu seines Geburtsortes Gaomi, in dem noch heute sein Vater lebt. Seine Texte handeln vom harten Schicksal der einfachen Chinesen. Immer wieder beschreibt er, wie sie zum Spielball der Politik werden, zum Spielball der Entscheidungen anderer. Mo Yan verarbeite dabei Erfahrungen aus seiner Kindheit, sagt Wolfgang Kubin, der den Schriftsteller seit Jahren persönlich kennt, denn:

    "Er ist groß geworden in der Zeit des Großen Sprungs nach vorn, also kurz gesagt in der Zeit der Hungerkatastrophe zwischen 1958 und 1968. Das ist ja heute ein offenes Geheimnis: auch in China sind 30 Millionen Menschen verhungert, weil sie blind den Weisungen von Mao Zedong vertraut haben, die alle falsch waren. Und er hat diesen Hunger miterlebt und ein Trauma entwickelt, von dem er bis heute nicht wieder loskommt. Und er schreibt unentwegt von diesen bitteren Erfahrungen."

    Diese bitteren Erfahrungen spiegeln sich ganz direkt in Mo Yans Romanen wieder. Seine Bücher sind grausam und beim Lesen oft schwer zu ertragen. In den Texten wird geprügelt, gedemütigt, totgeschlagen; sie sind in Schweiß und Blut getränkt, etwa der Roman "Die Sandelholzstrafe". Darin schildert der Autor unter anderem, wie ein Foltermeister den gefesselten Körper eines Mannes bei lebendigem Leib in fünfhundert Stücke zerschneidet. Detailliert und auf jedes grausame Detail versessen, beschreibt Mo Yan etwa das gewaltsame Abschneiden der Zunge.

    "Qiangs Gesicht war bereits enorm angeschwollen, schaumiges Blut blubberte aus seinem Mund. Es war völlig unmöglich hier das Messer anzusetzen. (...) In diesem kritischen Moment hatte Zhao Jia eine göttliche Eingebung. Er nahm das kleine Messer zwischen die Zähne, nahm den Wassereimer und schüttete Qian ruck-zuck das kalte Wasser ins Gesicht. Sofort verstummte er und der Henker nutzte die Schrecksekunde und begann Qian zu würgen, bis er vor Atemnot blau anlief und seine lilafarbene Zunge herausstreckte. Mit einer Hand hielt Zhao Jia seine Gurgel gepackt, während er mit der anderen Hand das Messer aus seinem Mund nahm. Das Messer zuckte, und schon hatte er Qian die Zunge abgeschnitten."

    Solche Beschreibungen können heikel werden. Denn sie beziehen sich auf Chinas Geschichte während der vergangenen Jahrzehnte, eine Geschichte, die von viel Leid und Elend geprägt ist: Der Bürgerkrieg in den dreißiger und vierziger Jahren forderte Millionen Tote. Nach der Ausrufung der Volksrepublik 1949 nahmen die Kommunisten den Großgrundbesitzern gewaltsam Haus und Hof. Kurz darauf verfolgten sie Intellektuelle und auch normale Bürger. Millionen Chinesen wurden während der politischen Kampagnen auf offener Straße gedemütigt, gequält und zu Hunderttausenden totgeschlagen - etwa während der Kulturrevolution

    Bis heute hat die Partei dafür nicht die Verantwortung übernommen. Und so dürfen die Traumata öffentlich nicht diskutiert werden. Die chinesischen Medien schweigen sie tot. Dass die älteren Autoren wie Mo Yan, die die grausamen Zeiten selbst durchgemacht haben, so brutale Texte schreiben, sei deswegen nicht verwunderlich, meint der Literaturkenner Eric Abrahamsen:

    "Unter der Oberfläche gärt viel Ärger, da haben sich viele Gefühle aufgestaut, über die die Menschen aber nicht reden dürfen. Sie dürfen die Regierung nicht für den Tod von Millionen Menschen anklagen. Sie dürfen nicht schreiben, dass die Politik das Land ins Chaos gestürzt hat. Das alles dürfen sie nicht sagen, und vielleicht nutzen sie jetzt die Grausamkeit in den Texten, um ihre Verzweiflung über diese Situation irgendwie loszuwerden. Mo Yan selbst hat oft gesagt, dass ihn seine Erinnerungen beim Schreiben antreiben, dass sie der Brennstoff sind, den er als Schriftsteller verbrennt."

    Was in China geäußert werden darf und was nicht, ist oft unklar und widersprüchlich: Die staatlichen Medien, also Fernsehen und Zeitungen, sind am schärfsten kontrolliert, denn sie erreichen die große Masse der Bevölkerung. Wegen ihrer suggestiven Wirkung sind auch Filme streng überwacht. Schriftsteller hingegen haben etwas mehr Spielraum, denn nur wenige Chinesen greifen zur Lektüre. Mo Yan nutzt – nach Ansicht von Wolfgang Kubin - diese Freiheit durchaus. Denn er versucht, wie auch andere Schriftsteller, Chinas problematische Vergangenheit aufzuarbeiten:

    "Das ist verarbeitete Realität. Aber wenn es Kritik geben sollte, dann können die Schriftsteller und Verleger sagen, das ist reine Fiktion, das ist nicht wirklich. Die Leser werden wissen oder ahnen, dass das, was dort steht, nicht Fiktion ist, sondern verarbeitete Realität. Insofern ist Mo Yan als Radikaler zu betrachten, weil er von der Vergangenheit nicht loskommt und uns diese Vergangenheit immer noch in Bildern liefert. Aber Mo Yan muss wahrscheinlich so schreiben, weil er sich von dem Trauma befreien muss. Das Schreiben ist für ihn wahrscheinlich Therapie."

    Die chinesische Regierung bezeichnet Mo Yan jetzt als den ersten chinesischen Bürger, der einen Nobelpreis erhalten hat. Das aber ist schlicht falsch. Im Jahr 2000 wurde der in Frankreich lebende chinesische Schriftsteller Gao Xingjian ebenfalls mit dem Preis geehrt. Und sowohl 1989 als auch 2010 ging der Friedensnobelpreis an einen Chinesen: Zunächst an den Dalai Lama. Vor zwei Jahren dann an den Bürgerrechtler Liu Xiaobo.

    Die Entscheidung vor zwei Jahren löste heftige Kontroversen aus. Denn wegen politischer Aktivitäten hatte Chinas Regierung Liu Xiaobo im Jahr 2009 arrestiert. Dass ausgerechnet er, der Inhaftierte, den Friedensnobelpreis erhielt, war für Chinas Politiker wie eine schallende Ohrfeige. Das offizielle Peking nannte die Entscheidung ein schändliches Vorgehen, spielte die Bedeutung des Preises herunter und fror die Beziehungen zu Norwegen ein. Für Chinas Dissidentenbewegung war der Schritt hingegen ein wichtiges Signal. Die Aktivisten im Land fühlten sich wertgeschätzt und ernst genommen, sagt die Publizistin Dai Qing, die selbst eine Kritikerin des Systems ist:

    "Als wir damals von dem Preis für Liu Xiaobo hörten, oh, da waren wir so glücklich. Wir haben uns der Außenwelt so verbunden gefühlt. Wir dachten, da gibt es Leute in Skandinavien, in Europa, die uns unterstützen. Hier in China haben wir ja mit Liu Xiaobo gegen die Diktatur und Partei gekämpft. Der Preis war deswegen ein Symbol für uns alle. Wir haben uns damals so gut gefühlt, so glücklich."

    Als Stieftochter eines einflussreichen Militärs ist Dai Qing in den 50er- und 60er-Jahren behütet in den privilegierten Kreisen der Partei aufgewachsen. In den achtziger Jahren begann sie jedoch sich politisch zu engagieren: Sie kämpfte gegen den Bau des großen Drei-Schluchten-Staudamms. 1989 beteiligte sie sich an den Demonstrationen auf dem Platz des Himmlischen Friedens. Dai Qing wurde dadurch zu einer Persona non grata für Chinas Staat. Die Regierung warf sie zunächst für mehrere Monate ins Gefängnis. Dann belegte sie die Journalistin mit einem Publikationsverbot:

    "Ich habe meine Arbeit verloren und ich habe kein Einkommen. Ich habe keine staatlichen Versicherungen, keine Krankenversicherung. Und seit über 20 Jahren, seit Tiananmen, kann ich nicht publizieren."

    Alle Buchveröffentlichungen in China unterliegen, so wie Film, Zeitungen oder Fernsehen, einer strengen staatlichen Zensur. Nur 581 Verlage haben überhaupt die Erlaubnis für das Volk der 1,3 Milliarden Chinesen Bücher zu drucken. Oberste Zensurbehörde für Literatur ist das staatliche Verwaltungsamt für Presse und Publikationen, kurz Gapp. Gapp entscheidet, was auf den Markt kommt und was nicht.

    Die Zensur im Alltag findet auf verschiedenen Ebenen statt: Verlage und Redakteure bekommen einerseits konkrete Anweisungen: sie wissen ganz genau, welche Autoren sie meiden müssen, wie Dai Qing oder den Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo. Bestimmte Themen sind ebenfalls tabu, etwa das Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens oder offene Kritik an Chinas Spitzenpolitikern. In vielen anderen Bereichen aber herrschen Grauzonen. Weder Autoren noch Verlage können sagen, wo genau die Roten Linien verlaufen, sagt Eric Abrahamsen:

    "Das ist verschwommen. Und zwar mit Absicht. Der Staat will, dass sich die Autoren in diesem Zustand der Unklarheit befinden. So sollen sie sich stets ein wenig in Gefahr fühlen. Um das zu verstärken, bauscht die Regierung manchmal Fälle von Zensur auf, die versetzen die literarische Szene dann in Aufregung. Und viele Autoren sagen sich bei solchen Ereignissen: okay, wir halten uns besser fern von der roten Linie. Also, die Regierung macht das ganz bewusst. Es ist einer der vielen Tricks der Zensur."

    Diese Unklarheit führt zu Angst und Sorge. Sie führt zu Selbstzensur. Und so verwässern Autoren kritische Passagen, vermeiden heikle Aussagen. Genau das werfen Regimegegner auch Mo Yan vor. Dai Qing etwa meint, Mo Yan hält sich aus reinem Opportunismus mit deutlichen Worten zurück:

    "Die berühmten Autoren achten sehr genau darauf, was den Behörden missfällt. Das unterlassen sie dann. Denn nur so können sie ein privilegiertes Leben haben. Nur so können sie in Ruhe zuhause arbeiten und ihre Bücher publizieren. Mo Yan denkt ganz genau so. Er will ein gutes Leben und er ist bereit, dafür seine Unabhängigkeit zu opfern."

    Weil er seit Jahren kein Blatt vor den Mund nimmt und die Regierung unerbittlich kritisiert, wurde der chinesische Künstler Ai Weiwei im vergangenen Jahr für drei Monate verschleppt. Bis heute hat Ai Weiwei seinen Pass nicht zurück; sobald er das Haus verlässt, wird er beschattet. Der Künstler weiß, was kritischen Chinesen blühen kann. Umso enttäuschter ist er über den Nobelpreis für Mo Yan. Denn auch Ai Weiwei sieht Mo Yan als Handlanger der Macht:

    "Mit dem Nobelpreis zeichnet man jetzt jemanden aus, der Vizepräsident des chinesischen Schriftstellerverbandes ist. Das ist eine hoch offizielle, kommunistische Organisation, die voll und ganz hinter der Zensur steht. Der Verband hat sich noch nie für kritische Autoren eingesetzt, er hat noch nie einem Autor aus einer schwierigen Lage geholfen. Wenn ein Schriftsteller verschwindet, dann fragen sie nicht einmal nach, wo er ist."

    So allerdings denken nicht alle Künstler in China. Der Schriftsteller Yu Hua etwa hat durchaus Verständnis für Mo Yan. Yu Hua zählt zu den bekanntesten Autoren in China; mit Romanen wie "Brüder" oder "Leben" erreicht er in seiner Heimat ein Millionenpublikum.

    Trotz seiner Erfolge ist der 52-Jährige alles andere als ein politischer Mitläufer. Er mischt sich durchaus kontrovers in Debatten ein. Und sein jüngstes Buch - "China in zehn Wörtern" – ist in seiner Heimat verboten. Yu Hua sagt, in China zu schreiben sei wie in Ketten zu tanzen. Er klagt über die strenge Überwachung. Dennoch achtet er im Regelfall darauf, die Grenzen der Zensur nicht zu überschreiten, denn:

    "Chinesen wie Liu Xiaobo oder Ai Weiwei sind zwar im Ausland sehr bekannt, aber weil die Regierung ihre Äußerungen so stark unterdrückt und sie im Inland nicht zulässt, kennt sie in China selbst fast niemand. Ich aber will das nicht. Ich will hier Bedeutung haben. Ich will in China gehört werden."

    Hu Yua kann nachvollziehen, wenn Mo Yan sich nicht offen gegen das System ausspricht. Für den Übersetzer und Literaturagenten Eric Abrahamsen gibt es sogar noch einen ganz banalen, sehr menschlichen Grund für Mo Yans Verhalten:

    "Er zählt nun einmal zu den Chinesen vom Land, die so viele schreckliche Dinge durchgemacht haben, die diese ganzen politischen Kampagnen über sich ergehen lassen müssten. Viele Leute, vor allem in der älteren Generation, haben schlicht Angst. Für sie ist das Leben unberechenbar und gefährlich. Und ich glaube, auch Mo Yan stammt aus diesem Milieu."

    Dennoch bleibt die Frage: Wann schlägt die Sorge um das eigene Wohlergehen in feiges Mitläufertum um' Ab welchem Punkt paktieren Künstler mit der Diktatur' Während Chinas Gastlandauftritt auf der Frankfurter Buchmesse 2009 hat Mo Yan während einer Podiumsdiskussion gemeinsam mit Chinas offizieller Delegation den Raum verlassen, als eine Kritikerin das Wort ergriff: Dai Qing. Und in diesem Jahr hat er sich an einem höchst problematischen Projekt beteiligt: Für eine aufwändige Sonderausgabe eines staatlichen Verlages hat Mo Yan eine Passage aus einer Rede Mao Zedongs handschriftlich abgeschrieben. Einer äußerst umstrittenen Rede, in der Mao Zedong die Künste an die Kette legte. Wolfgang Kubin:

    "Es geht um eine Rede, die Mao Zedong 1942 gehalten hat zur Rolle von Literatur und Kunst. Und er hat mit dieser Rede die moderne Kunst, die moderne Literatur begraben. Er hat gefordert, dass man zu den volkstümlichen Formen zurückkehrt, aber sie mit neuem Inhalt auffüllt, nämlich mit der sozialistischen Ideologie. Und das bedeutet, dass es dann eben nur noch eine einzige Meinung gibt, und es gibt keine Ambivalenz. Und das war Mao Zedong zuwider, weil eine ambivalente Literatur immer Kritik erlaubt."

    Maos Yan 'an Rede legte den Grundstein dafür, dass Kunst und Literatur in China in den Dienst der Politik genommen wurden. Bis heute rechtfertigt sie die Verfolgung Andersdenkender. Dass sich Mo Yan an dieser Verherrlichung beteiligte, hat viele Intellektuelle in China empört. Denn er hätte sich durchaus wehren können, meint Sinologe Wolfgang Kubin:

    "Er hätte die Freiheit gehabt, besonders als hoch angesehener Autor, zu sagen: Leute, das ist kalter Kaffee. Lasst mich damit in Ruhe."

    Kann der Literaturnobelpreis an Mo Yan nun zu mehr Öffnung innerhalb Chinas beitragen? Kann sich Mo Yan in Stockholm auszeichnen lassen, während der Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo im Gefängnis sitzt? Zwar hat Mo Yan vor ein paar Wochen Freiheit für Liu Xiaobo gefordert, doch Chinas Medien haben diese Äußerung schnell unterdrückt. Der Autor muss sich deswegen in den kommenden Tagen nochmals und noch eindeutiger zu dem Fall äußern, fordert Dai Qing. Nur:

    Dai Qing: "Ich glaube nicht, dass er den Mut haben wird, auf die wirkliche Situation in China hinzuweisen. Ich glaube nicht, dass er sagen wird, dass die unabhängigen Schriftsteller leiden. Ich glaube es einfach nicht."

    Auch Ai Weiwei traut Mo Yan nicht genug Rückgrat zu. Die diesjährige Nobelpreis-Entscheidung hält er schlicht für einen groben Fehler.