Freitag, 26. April 2024

Archiv


Mythos für eine aufstrebende Kolonialmacht

Alexander Honold und Christof Hamann zeigen sowohl die Bedeutung der Erschließung der Gebirgswelt für das neuzeitliche und moderne Selbstverständnis des Menschen als auch die kolonialen Ansprüche, die in Deutschland mit der "Eroberung" des "Kilimandscharo" verbunden waren.

Von Andrea Gnam | 09.08.2011
    Der erste Anblick erinnert an eine gelungene Theaterinszenierung:

    "Vor hundert Jahren ebenso wie heute: Der aufregendste Moment ist, wenn die Wolken sich teilen. Von der Hochebene am Fuß des Kilimandscharo.Massivs sieht man zuerst die (ehemals immer, heute manchmal) schneebedeckte Kuppe aus der Wolkendecke herausragen. Der Gipfel scheint in diesem Moment, ohne sichtbare Verbindung zum Erdboden gleichsam überirdisch zu schweben (...)", so beschreiben Christof Hamann und Alexander Honold in ihrer im Wagenbach Verlag erschienenen Kulturgeschichte des "Kilimandscharo" den überwältigenden Eindruck des höchsten afrikanischen Berges.

    Die Beschäftigung mit den Bergen gibt einen Einblick in europäische Mentalitätsgeschichte par excellence: Galt in Antike und Mittelalter die Höhe dem Göttlichen vorbehalten, änderte sich diese Haltung allmählich in der Neuzeit. Mit Petrarcas berühmter Besteigung des Mont Ventoux wird die körperliche Anstrengung des Bergsteigens zu einem "topografischen Prüfungsritual", das innere Wandlung und Gottesnähe verspricht. In Aufklärung und Empfindsamkeit tritt an die Stelle der Introspektion angesichts des erhabenen Gipfels die Faszination der schroffen Gegensätze: Höhe und Tiefe, donnernde Wasserfälle und der Blick in Schluchten wurden nach Rousseaus Schilderung alpiner Wanderungen Gegenstand von Malerei und Literatur. Das 19. Jahrhundert tritt der Lust am Orientierungsverlust, an Schwindel und Höhenrausch mit objektivierenden, positivistischen Strategien entgegen: Man botanisiert und vermisst, man erschließt und erobert die weißen Flecken auf der Landkarte in kolonialer und damit nationaler Mission. Ist die erste Begegnung mit dem Berg noch durch Verwunderung und Ehrfurcht geprägt, so markiert sie doch zugleich den ersten Schritt auf dem Weg zur Inbesitznahme. Verwunderung angesichts der Größe erhöht den Wert der eigenen, bergsteigerischen Leistung, die wiederum als Symbol für die militärische Größe des Vaterlandes steht.

    Der Erstbesteiger Hans Meyer hisst 1889 – als er und seine Begleiter auf dem Kibo angekommen sind - dort die deutsche Fahne und tauft unter Hurrarufen den Gipfel auf den Namen des deutschen Kaisers, um so den afrikanischen Fünftausender als höchsten deutschen Berg zu reklamieren. Alexander Honold und Christof Hamann arbeiten – hier durchaus in den Fußstapfen der leider nicht erwähnten "Männerphantasien" von Klaus Theweleit – das soldatische Begehren des männlichen Kolonisators heraus. Dieser betrete als jungfräulich bezeichnetes Terrain, ein Akt der sich, so die Autoren, "als männliche Eroberung des weiblichen Anderen" entpuppe. In Christof Hamanns 2007 im Steidl Verlag erschienenen Roman "Usambara", der die Erstbesteigung des Kilimandscharo fiktiv aus der Perspektive eines Botanikers, der an der Expedition teilgenommen haben soll und dessen Urenkels beschreibt, wird diese männliche Sicht der Dinge dann auch nach Kräften aufgebrochen. Drastisch werden hier die wenig heroischen körperlichen Zusammenbrüche und Krankheiten der "Eroberer" geschildert. Die schnippische Freundin des Urenkels, die sich die Geschichten vom Urgroßvater und die Bergsportambitionen des Enkels widerwillig anhören muss, arbeitet zwar als Altenpflegerin in einem klassisch weiblichen Beruf. Zugleich aber betreibt sie in ihrer Freizeit Boxsport und wird ungehobelten Mannsbildern gegenüber durchaus auch handgreiflich. Sie ist eine programmatische, wenn auch nicht unbedingt mit Leben erfüllte Figur. Die Geschichten der männlichen Eroberer, so erbärmlich sie auch sein mögen, werden dem Leser allemal plastischer vor Augen geführt.

    Dies mag dann doch seinerseits mit einer Tradition zu tun haben, die Christof Hamann und Alexander Honold in ihrer Kulturgeschichte selbst plausibel darlegen: Berichte über exotische Forschungsreisen waren beliebte Themen von Familienzeitschriften im 19. Jahrhundert. Leistungsbilanzen, Rekorde und Auflistungen der höchsten Berge, längsten Flüsse und tiefsten Seen füllten die Jugendalmanache. Ein bis tief in das 20. Jahrhundert hinein positivistisch orientierter Geografieunterricht hinterließ seine Spuren im kollektiven Gedächtnis und nährte jugendliche Abenteuersehnsüchte. Der Kilimandscharo-Mythos indes, einst Kollektivsymbol für die aufstrebende Kolonialmacht Deutschland wird auch heute noch hin und wieder reaktiviert: Der Trainer der deutschen Fußballnationalmannschaft vergleicht im Jahre 2006 das Ziel, die Weltmeisterschaft zu erreichen mit der Besteigung des Kilimandscharo. Eine Tchiboreklame aus dem Jahr 2005 wirbt mit dem Namen "Kilimanjaro Sitawi" – die "weiße Königin des Kilimandscharo" – für eine Kaffeerarität. "Der Grat zwischen der berechtigten Artikulation individueller Bestätigung und dem unreflektierten Durchbruch exotistischen Begehrens ist schmal", kommentieren Christof Hamann und Alexander Honold solch späte "Gratwanderung".

    Christof Hamann, Alexander Honold: Kilimandscharo. Die deutsche Geschichte eines afrikanischen Berges. Wagenbach 2011, 192 Seiten, 22,90 Euro.

    Christof Haman: Usambara. Roman. Steidl Verlag 2007, 264 S., 18 Euro