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Nach dem Abzug der Israelis aus dem Südlibanon

Israel und Libanon - lange Jahre waren diese beiden Ländernamen Symbolbegriffe für "Krise" und "Krieg" im Nahen Osten. - - Nun scheint mit dem soeben vollzogenen Abzug der israelischen Streitkräfte aus dem Südlibanon ein wichtiger Schritt hin zur Entspannung in der Region gewagt worden zu sein. Aber: Generationenlanges gegenseitiges Misstrauen verschwindet andererseits auch nicht so einfach über Nacht. - Hans Tschech analysiert zunächst die politische Gemenge-Lage:

Hans Tschech, Carsten Kühntopp, Frank Ludwig |
    Was vor 22 Jahren als kurze Vergeltungsaktion begann, war für Israel zu einer langen quälenden Verwicklung geworden: das Engagement im Libanon. 1978 war es ein kurzer Einmarsch, nachdem bei einem Anschlag palästinensischer Terroristen in der Nähe von Tel Aviv über 30 Menschen ums Leben gekommen waren. 1982 folgte der Libanon-Krieg, in dem die israelischen Truppen Beirut einnahmen. Und seit 1985 gab es die Sicherheitszone, einen 10 bis 20 Kilometer tiefen Streifen im Libanon, an der libanesisch-israelischen Grenze. Diesen Streifen besetzten und kontrollierten die Israelis zusammen mit der verbündeten Südlibanesischen Armee, einer ortsansässigen Miliz. - Jetzt ist Israel raus aus dem Libanon und die große Mehrheit der Israelis hofft, dass dieses Abenteuer ein für allemal zu Ende ist.

    Die Sicherheitszone sollte Schutz bieten vor Angriffen über die Grenze hinweg. Das hat sie aber nur sehr begrenzt erreicht. Den Beschuss mit Katjuscharaketen in den Norden Israels hinein konnte die Sicherheitszone nicht verhindern. Vor allem aber wurde sie zum Schauplatz eines Guerillakriegs, - dann nämlich, als nicht mehr Palästinenser der Gegner waren sondern die schiitische Hisbollah, - unterstützt aus dem Iran und geduldet und wohl auch ermutigt von Syrien, das die eigentliche Macht im Libanon darstellt. Diesen Guerillakrieg konnte die hochgerüstete israelische Armee nicht gewinnen. Um die 900 israelische Soldaten sind in der Sicherheitszone umgekommen, und mehr noch von der SLA und der Hisbollah. In Israel wuchs der Druck, dieses zunehmend sinnlos erscheinende Engagement zu beenden. Ministerpräsident Barak hat das im Wahlkampf versprochen und er hat das Versprechen jetzt gehalten. Die Israelis haben den Abzug mit großer Mehrheit begrüßt - laut Umfragen mit 75 zu 20 Prozent. Aber: das ist auch ein riskanter Schritt. Er fand nämlich in einem politischen Vakuum statt. Ehud Barak wollte einen Vertrag mit Syrien und dem Libanon, er wollte Garantien, dass mit der Räumung des Südlibanon dort im Grenzgebiet Friede einkehrt. Diese Garantien hat er nicht bekommen. Es wurde ein einseitiger Abzug. Und das schafft nun die bange Frage: bleibt es ruhig an der Nordgrenze oder werden die Syrer jetzt versuchen, durch Stellvertreteraktionen der Hisbollah oder auch von Palästinensergruppen weiter Druck auf Israel zu machen. Denn Syriens Präsident Assad hat mit dem israelischen Abzug zunächst einmal seine Trumpfkarte verloren, den Guerillakrieg in der Sicherheitszone. Die israelische Regierung hat während und nach dem Abzug mehrfach sehr nachdrücklich vor Angriffen über die Grenze hinweg gewarnt. Ministerpräsident Barak ist da im Wort. Und das ist jetzt die Gefahr: wenn wieder Katjuschas im Norden Israels einschlagen, oder wenn Guerillas versuchen zu Terroraktionen einzudringen, - dann wird Israel in aller Härte antworten, antworten müssen - auch gegen syrische Ziele. Insofern ist die Ruhe im Norden trügerisch; sie könnte sich schlagartig in eine gefährliche Auseinandersetzung Israels mit Syrien verwandeln.

    Einen Eindruck davon, wie sich die Bevölkerung im nord-israelischen Grenzgebiet zum Libanon jetzt - unter den neuen Bedingungen - einzurichten beginnt, hat sich Carsten Kühntopp verschafft. Hier die Ergebnisse seiner Recherchen:

    Leah Engel und ihr Mann Dov sind Mitte 70. Sie wohnen in einem bescheidenen Häuschen. Vor der Pensionierung war sie Krankenschwester und er Agrarökonom. Immer wenn der Katyusha-Alarm kommt und die Behörden die Bürger von Kiryat Schmona in die Bunker befehlen, gehen die Engels in ihren Schutzraum direkt neben dem Haus. In den achtziger Jahren krachte eine Katyusha mal in den Garten und brachte das Wohnzimmerfenster zum Platzen. Mit dem Abzug aus dem Südlibanon hat sich die Bedrohung durch die Hisbollah kaum geändert, glaubt Dov Engel:

    "Bis jetzt haben die mit Raketen auf uns geschossen. Nun können sie das gleiche mit dem Gewehr tun. Die sind jetzt nur ein paar Metern von einigen der Kibbuzim wie Misgav Am und Manara entfernt. Wir werden sehen."

    Im Gästehaus des Kibbuz Manara sind die Betten derzeit leer, und für den Sommer gibt es nur wenige Reservierungen. Dabei leben die Gemeinden in Galiläa neben der Landwirtschaft vor allem vom Tourismus. Manara liegt direkt an der Grenze. Wer durchs hintere Tor geht und die Straße überquert, ist bereits auf libanesischem Boden. Trotzdem steht dort noch ein Kiosk, Michal Levy verkauft da Äpfel aus dem Kibbuz. Der israelische Abzug - hier steht er noch aus. Michal will an das Risiko nicht denken - an das Risiko, dass bald, wenn die Bauarbeiter den neuen Grenzzaun gezogen haben, die Kämpfer der Hisbollah direkt vor dem Tor des Kibbuz stehen. Die junge Frau sieht vor allem die Entwicklungschancen dieser Region, in der Syrien, Libanon und Israel aneinander angrenzen.

    "Ich bin Mutter eines Erstklässlers, habe aber keine Angst. Ich sehe nur Positives vor uns. Ich glaube, es wird Ruhe einkehren, und dann wird es wunderbar: Wir sind in einer tollen Lage - in einem Dreiländereck. Diese Region ist wunderschön und wird uns Gutes bringen. Also, ich habe keine Angst."

    Sollte nun wirklich ein umfassender Frieden kommen, so Michal, dann werde sich der Tourismus rasant entwickeln - über alle Ländergrenzen hinweg. - Nur ein paar Stunden dauerte es, bis die einstige sogenannte Sicherheitszone der Israelis zusammengebrochen war und der letzte israelische Soldaten den Südlibanon verlassen hatte. Diese Stunden waren wirklich schlimm, sagt Leah Engel. Das Feuer der israelischen Kampfflugzeuge und der Artillerie, das im Südlibanon die abziehenden Soldaten schützen sollte, habe sie an den Zweiten Weltkrieg erinnert. Aber dann ärgerte sie sich vor allem über den Bürgermeister von Kiryat Schmona. Der berichtete im Radio, etwa die Hälfte der Einwohner sei wegen der unsicheren Lage geflüchtet und habe sich im Süden in Sicherheit gebracht. Da griff die alte Dame sofort zum Hörer:

    "Ich war so wütend und habe geschrieen in das Telefon. Sage ich: Wie kommt ihr dazu, dass solch ein Mensch kann solche Sachen sagen! Es ist nicht wahr, dass 50 Prozent der Population von Kiryat Schmona sind weg - es ist nicht wahr! Ich bin da! Und meine Nachbarin ist da! Und noch Leute sind da!"

    Vereinzelt fuhren Menschen aber auch in die entgegengesetzte Richtung, Richtung Norden - zum Beispiel Mosche Aloni und seine Frau. Mit einem Fernglas schaut er nun über den Grenzübergang bis weit nach Libanon hinein. Aloni ist seit ein paar Monaten in Rente, mit seiner Frau ist er schnell aus Tel Aviv gekommen - aus Solidarität:

    "Wir wollen mit den Leuten hier sein. Wir bleiben zwei Nächte und werden hier ganz normal die Restaurants besuchen und ins Kino gehen. Einfach um hier zu sein. Ich bin in Israel geboren. Ich bin schon die siebte Generation im Land, und ich bin diese Konflikte gewohnt!"

    Die Engels sind fest entschlossen, auch auf ihre alten Tage in Nordisrael zu bleiben - egal, was passiert. Dov Engel spricht davon, dass man den Nachbarn in Kiryat Schmona stets so etwas wie ein Beispiel war.

    "Wir sind Patrioten - ohne Anführungszeichen. Es gibt keine luftleeren Räume. Wenn alle Leute Kiryat Schmona verließen, wäre die Grenze weiter südlich bei Rosh Pina, und wenn die Leute dann Rosh Pina verließen, wäre die Grenze plötzlich bei Tiberias. Dies ist das einzige Land, das wir Israelis haben, und es sollte bewohnt sein - bis an die Grenze heran."

    Die israelischen Medien kennen seit Tagen nur noch Thema - wie wird es nun im Norden weitergehen? Journalisten, Politikwissenschaftler und Kommentatoren diskutieren immer wieder verschiedene Szenarien: Wird Syrien die Hisbollah im Zaum halten und dadurch für Ruhe sorgen? Oder werden winzige Terrorzellen eindringen und eine Reaktion des Militärs erzwingen? Nach der Zukunft gefragt, wird Leah Engel ganz leise:

    "Das hab ich keine Ahnung. Ich hab keine Ahnung. Die Regierung hat gesagt, dass die libanesische und die syrische Regierung verantwortlich sind, dass jetzt sein soll Stille. Aber die Hisbollah, die machen, was die wollen. Und darum ist jetzt so eine Zeit, wo wir wissen nicht, was wird morgen sein."

    Carsten Kühntopp mit aktuellen Eindrücken von der nordisraelisch-libanesischen Grenze, mit israelischer Optik sozusagen. - Ganz anders der nun folgende Beitrag, der sich aus libanesischer Sicht mit den jüngsten Ereignissen befasst. Frank Ludwig machte sich dazu auf in den Grenzort Bint Dschbejl, einer Hochburg der pro-iranischen Hisballah-Bewegung. Triumph und Freude herrschten dort immer noch, als er ankam:

    Freitagnachmittag letzte Woche in Bint Jubail. Die Hisballah hat zur großen Siegesfeier geladen. Zwei Tage, nachdem auch für die Einwohner dieses Städtchens im äußersten Süden Libanons zweiundzwanzig Jahre israelischer Besatzung zuende gegangen waren. Einige zehntausend mögen es schon sein, die sich auf der Festwiese eingefunden haben. Und beileibe nicht nur die Anhänger der Partei Gottes sind gekommen. Unter die Hisballah-Prominenz auf den Ehrenplätzen in der ersten Reihe mischen sich die Chefs der großen Drusen-Clans der Umgebung - gut auszumachen in ihren glänzend-schwarzen Pluderhosen und den weißen Strickmützen auf dem Kopf; christliche Würdenträger im Festornat, Vertreter der politischen Klasse aus Beirut in maßgeschneiderten Anzügen. Dahinter, im weiten Rund, fallen viele junge Leute auf. In Jeans und T-Shirt. Familien, die die endlosen Staus heute auf der Küstenautobahn hinab in den Süden nicht scheuten, um das noch immer wie Unfassbare in eigenen Augenschein zu nehmen. Den Grenzzaun, hinter den sich die Israelis wie über Nacht zurückgezogen haben, mit eigenen Händen zu berühren.

    Sie alle haben sich nun hier eingefunden, vor allem, um einem Mann die Ehre zu erweisen. Riesenjubel bricht aus, enthusiastische Sprechchöre setzen ein, als der dann auf die Tribüne ans Rednerpult gerufen wird.

    Scheikh Said Hassan Nasrallah, der Generalsekretär des politischen Komitees der Hisballah. So der offizielle Titel. Für die, die hierher nach Bint Jbail gekommen sind, um ihn zu sehen und zu hören, ist er der Vater des Triumphes, des Siegs. Der gerade erst Vierzigjährige, den braunen Überwurf der schiitischen Geistlichkeit über dem langen weißen Gewand und den schwarzen Turban eines religiösen Gelehrten auf dem Kopf, er strahlt ein unglaubliches Charisma aus. Nichts indessen vom asketisch feurigen Antlitz eines islamistischen Brandredners. Seine Gesichtszüge verraten stattdessen innere Ruhe, und, wenigstens nach außen hin, fast so etwas wie Güte.

    Und doch ist er ein mit allen Wassern gewaschener Politstratege, ein Meister in der Kunst der diplomatischen Finte, des Spiels und Gegenspiels, wie er selbst in dem die Intrigen und Kabale geradezu lebenden Nahen Osten seines gleichen sucht. Als vermeintlich pflegeleichter Spielball von Syrern und Iranern Anfang 92 auf den Stuhl seines Vorgängers gerückt, der bei einem Helikopterangriff der Israelis ums Leben gekommen war, entpuppte sich Nasrallah bald schon als ein Mitspieler von ganz besonderem Format. Er schaffte den doppelten und dreifachen Spagat: ohne mit den Gönnern, geistigen Ziehvätern und Geldgebern in Teheran zu brechen oder sich mit der syrischen Schutzmacht in Libanon zu überwerfen, gegen den erbitterten Widerstand der Betonfraktion in den eigenen Reihen, gelang es ihm, die Hisballah von Grund auf umzubauen. Aus einer sektiererischen Gang fanatischer Gotteskrieger, die den Israelis im Süden mehr auf die Nerven ging als tatsächlich zusetzte, und die in den Augen der allermeisten Libanesen als Wurmfortsatz der iranischen Revolutionsexporteure höchst suspekt war, formte der junge Generalsekretär eine Organisation, deren straff und effizient geführter militärischer Flügel es mehr und mehr mit den israelischen Soldaten aufnehmen konnte; dazu ein ausgebautes soziales Hilfsnetz, und zwar sogar über konfessionelle Schranken hinaus.. Das jeweils um ein Dutzend Mandate, das die Organisation bei den Parlamentswahlen der letzten Jahre errang, was sie angesichts der enormen Zersplitterung der innenpolitischen Landschaft Libanons sogar zur größten Einzelfraktion avancieren ließ, ist deutlicher Beweis, das es der Hisballah unter Nasrallah gelang, die Mauern um die einstige engumrissene Klientel pro-iranischer Fundamentalisten unter den libanesischen Schiiten zu durchbrechen.

    Und doch, auch während Scheikh Said Hassan Nasrallah vor dem Riesenpublikum auf der Festwiese des eben befreiten Bint Jubail die Etappen auf dem Weg zum Triumph Revue passieren lässt, wird er keinen Moment vergessen, dass die Herausforderungen der Zukunft nicht geringer sein werden als jene, die die Hisballah unter seiner Führung in den letzten Jahren mit beachtlichem Erfolg bestand.

    Der Einsatz ist hoch. Worum es im Grunde geht, das ist die Zukunft Libanons.

    Eine Rückblende. Vor ungefähr vier Jahren unweit von Jubaia, einem Dorf damals hart am Rande der von der israelischen Armee und ihrer Satelitten-Miliz kontrollierten sogenannten Sicherheitszone. Die drei jungen Männer, die da irgendwo mitten im Wald zum Interviewtermin erschienen sind, sehen so überhaupt nicht aus wie kampferprobte, feuergestählte Guerillakämpfer. Wäre da nicht das peinlich genaue Abtasten gewesen, das Abklopfen von Mikrofon und Kassettenrekorder, dann die sich unter den Jeansjacken ausbeulenden Pistolenhalfter und ein unablässig halblaut näselndes Walkie-Talkie - man hätte die drei auch für schlichte Forstarbeiter halten können.

    Und doch, Husseinn Abu Kayali, einer der drei, hat sich schon Anfang 90 der Hisballah angeschlossen. Über die ungezählten nächtlichen Aktionen gegen die Israelis und ihre Satelittenmiliz, die sogenannte Südlibanesische Armee SLA, will er nicht viel erzählen. Die patriotische Pflicht eines jeden Libanesen. Umso wichtiger ist es dem Endzwanziger zu erklären, warum er damals sein Dorf in der besetzten Zone verließ und, obwohl er es eigentlich nie so sonderlich streng mit der Religion gehalten hatte, ausgerechnet bei den islamischen Freischärlern um Aufnahme bat.

    Er werde diesen Tag nie vergessen, an dem mit Freunden von einem Wochenende in Beirut zurück nach hause unterwegs gewesen sein. Mit im Taxi saß eine hochschwangere Frau aus seinem Dorf. Ausgerechnet am Checkpunkt der Israelis setzten die Wehen ein. Dennoch ließen sie die Geheimdienstleute nicht durch. Es kam zu einer Frühgeburt. Wenige Tage später starb die Frau an inneren Infektionen.

    Noch in der gleichen Nacht sei er zur Hisballah gegangen und habe sich geschworen, erst nach Hause zurückzukehren, wenn der letzte israelische Soldat von dort vertrieben sei.

    An einem Freitagmittag am südlichen Randgebiet der Hauptstadt Beirut, in der Dahiya. Aus zahllosen Lautsprechern schallt über Häuser und Straßen hinweg die große wöchentliche Predigt von Sheikh Mohammad Fadlallah. Der geistige Führer der Hisballah lebt hier ebenso wie die meisten Aktivisten aus der engeren Führungsriege der Organisation. In den letzten zwei, drei Jahrzehnten sind Hunderttausende libanesische Schiiten aus ihren angestammten Siedlungsgebieten im Landessüden hierherauf gezogen. Auf der Suche nach Arbeit und Brot oder auf der Flucht vor den militärischen Zusammenstößen unten im Süden. Zumeist spielten wohl beide Gründe zusammen eine Rolle. Die Dahiya hat sich längst aus einem Provisorium in einen veritablen Stadtteil von Beirut verwandelt. Und zur politischen Machtbasis der Hisballah. Den Beweis liefern nicht nur die roten und gelben Fahnen allenthalben mit der stilisierten Kalaschnikow über dem islamischen Glaubensbekenntnis, oder die oft genug arg ins kitschige abgleitenden Riesenposter mit den Konterfeis der Hisballah-Märtyrer.

    Fast hundert Prozent der Leute hier in der Dahiya hätten bei den Parlamentswahlen der letzten Jahre für die Hisballah gestimmt, sagt Hussein Najd, der schon ewig hier lebt, sich und seine vielköpfige Familie mit einem kleinen Tante-Emma-Laden so recht und schlecht über Wasser hält. Weil Hisballah die einzigen seien, die etwas für die Leute tun würden, die anderen politischen Parteien, und allen voran die Regierung, wirtschafteten nur in die eigenen Taschen, denen sei es egal, woher sie hier ihr tägliches Brot nehmen würden.

    Für Dr. Ahmad Musalli, Professor für islamische Philosophie und Zeitgeschichte an der renommierten Amerikanischen Universität von Beirut, ist das soziale und politische Engagement der Hisballah zumindest aus der Perspektive des Libanon noch bedeutsamer als der Widerstand gegen die Israelis. Mit der Teilnahme an Wahlen habe die Organisation den Rubikon überschritten.

    Früher stand die Hisballah außerhalb des Rahmens des libanesischen Staates, als Opposition, die die staatliche Verfassung Libanons, den politischen und religiösen Pluralismus ablehnte. Jetzt sitzt sie im Parlament, als Opposition von innen, ein klares eindeutiges Bekenntnis zur Legitimität des Staates.

    Und das, so Professor Musalli, könne Beispielcharakter für die gesamte arabische Welt gewinnen, wo es ja überall zumindest latente Konflikte zwischen staatlicher Autorität und islamistischen Bewegungen gäbe. Vor allem aber für die Zukunft Libanons sei es enorm wichtig, ob sich die Hisballah weiter als integraler Teil des innerlibanesischen politischen Gefüges profiliert.

    Wer den offenkundig mit viel Bedacht gewählten Worten von Nasrallah während der Siegesfeier am Freitag in Bint Jubayl folgte, kann daran kaum Zweifel haben. dass der Hisballah-Generalsekretär genau diesen Kurs steuern will. Wieder und wieder der Appell des Hisballah-Generalsekretärs an Einheit und Geschlossenheit der libanesischen Nation. Von Muslimen und Christen gleichermaßen Selbst den in Südlibanon verbliebenen Soldaten der pro-israelischen SLA-Miliz verspricht er Gerechtigkeit. Allerdings, Nasrallah wird mit einigem Widerstand zu rechnen haben. Da sind die Hardliner in den eigenen Reihen, für die nach dem Abzug der Israelis der Moment gekommen sein könnte, gegen den allzu liberalen Kurs des Generalsekretärs zu rebellieren. Da sind die Iraner, für die die Hisballah nach wie vor eines ist: Mittel nämlich, um den jüdischen Staat zu zerschlagen. Und da sind vor allem die Syrer, in deren Hauptstadt Damaskus noch immer die wichtigsten libanesischen Fäden zusammenlaufen. Und die eher früher als später ein Interesse daran haben könnten, über erneute Spannungen in der libanesisch-israelischen Grenzregion den nun vorübergehend verschwundenen Druck auf die Regierung in Jerusalem wieder aufzubauen - Um die Israelis zurück an den Verhandlungstisch zu zwingen - zu syrischen Konditionen.

    Man sieht, die Hisballah wird mit einiger Sicherheit weiter im Scheinwerferlicht stehen. Davon, welche Rolle sie nach dem Ende des Konfliktes in Südlibanon spielen wird, hängt einiges ab: für den Libanon, wie für die nahöstliche Region.